Eiszeit zwischen Ungarn und Rumänien
21. Februar 2013In Budapest spricht Außenminister János Martonyi davon, dass die ungarisch-rumänische Zusammenarbeit "gefährdet" sei. In Bukarest droht sein Amtskollege Titus Corlătean mit der Ausweisung des Botschafters. Und die regierungsnahen Medien in beiden Ländern inszenieren nationalistische Kampagnen wie es sie zuletzt vor anderthalb Jahrzehnten gegeben hat. Dabei hat alles nur mit einer Fahne in einer rumänischen Provinzstadt angefangen, blau-gold-blau, oben links eine Sonne und ein Halbmond.
Vorgeblich wegen dieser Fahne sind die Beziehungen zwischen Ungarn und Rumänien derzeit auf einem Tiefpunkt. Der ungarische Soziologe Pál Tamás spricht von einer "Lokalposse, die zu großpolitischen Zwangshandlungen eskaliert ist". Der rumänische Philosoph Andrei Cornea empfiehlt unterdessen, die EU solle Gespräche zwischen beiden Ländern moderieren, da sie "unfähig sind, bilateral zu verhandeln".
Mit der Fahne fing es an
Der Auslöser des Konfliktes: Am 2. Februar hatte im mehrheitlich von Ungarn bewohnten rumänischen Landkreis Covasna ein neuer Präfekt sein Amt angetreten. Bei der feierlichen Zeremonie in einem Gebäude der Stadt Sepsiszentgyörgy - auf rumänisch Sfântu Gheorghe - war die blau-gold-blaue Fahne des Szeklerlandes, wie die Region im Südosten Siebenbürgens heißt, aus dem Raum entfernt worden, da sie nach Auffassung rumänischer Behörden ein Symbol für die Bestrebungen der ungarischen Minderheit nach territorialer Autonomie und Abschaffung des rumänischen Nationalstaates darstellt. Kurz darauf hatte der Budapester Außenstaatssekretär Zsolt Németh von einer "symbolischen Aggression gegen die ungarische Gemeinschaft in Siebenbürgen" gesprochen. Es war der Beginn des ungarisch-rumänischen "Flaggenkrieges".
Dahinter steckt ein Konflikt mit historischer Brisanz. Als Teil Siebenbürgens gehörte das Szeklerland einst zum ungarischen Königreich. Im Friedensvertrag von Trianon 1920 wurde Siebenbürgen Rumänien zugesprochen. Die von Rumänien bereits 1918 zugesicherte Autonomie für die Minderheiten in Siebenbürgen kam jedoch nie zustande.
Streben nach Eigenständigkeit
Seit dem Sturz der Ceausescu-Diktatur streben die politischen Vertreter der anderthalb Millionen Ungarn in Siebenbürgen mehr administrative Eigenständigkeit im extrem zentralistisch organisierten Rumänien an, vor allem für das mehrheitlich von Ungarn bewohnte Szeklerland. Die gemäßigten Politiker der ungarischen Minderheit würden sich dabei mit größerer lokaler Steuerhoheit und mehr Befugnissen im Kultur- und Verwaltungsbereich zufrieden geben, die Radikalen verlangen eine Autonomie wie für Südtirol in Italien oder Katalonien innerhalb Spaniens. In Rumänien ist die Forderung nach Autonomie jedoch eines der größten nationalen Tabus.
"Es geht dabei letztlich um eine politische Konfrontation zwischen dem liberal-individualistischen Staatsmodell, das die Rumänen vertreten, weil sie in der Mehrheit sind, und dem multikulturell-kollektivistischen Staatsmodell wie in Belgien oder Kanada, das die Ungarn befürworten", erklärt die Politologin Alina Mungiu-Pippidi.
Die Geste, während einer offiziellen lokalen Zeremonie eine Fahne zu entfernen, deren Verwendung als lokales Symbol ein rumänisches Gericht letzten November ausdrücklich erlaubt hatte, empfanden nicht nur radikale ungarische Minderheitenpolitiker in Rumänien als Affront, sondern auch Vertreter der Orbán-Regierung in Budapest, die sich als politische Interessenvertretung aller Auslandsungarn sieht.
Budapest mischt sich ein
Seither geht es Schlag auf Schlag: Als Außenstaatssekretär Zsolt Németh von einer "symbolischen Aggression" Rumäniens sprach, verbat sich der rumänische Regierungschef Victor Ponta diese "Frechheit" und eine "Einmischung in innere Angelegenheiten". Als der Außenminister Titus Corlătean mit der Ausweisung des Botschafters drohte, stellte Németh seinerseits "diplomatischen Maßnahmen" Ungarns in Aussicht. Dutzende ungarische Städte und Gemeinden ließen die Szeklerflagge hissen, am Wochenende wehte sie gar am Budapester Parlamentsgebäude. In Rumänien wiederum treiben einflussreiche nationalistische Medien die Regierung vor sich her.
Eigentlich hatten sich die beiden Länder historisch ausgesöhnt - eine Vorbedingung des EU-Beitrittes. Im Zuge dessen gab es gemeinsame Regierungssitzungen, der gemäßigte Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien (RMDSZ) war insgesamt 16 Jahre lang an Koalitionsregierungen in Bukarest beteiligt.
Doch seit einiger Zeit kühlt das Verhältnis ab. Die Budapester Orbán-Regierung unterstützt besonders die radikalen Minderheiten-Vertreter. Sie hat das Wahlrecht für Auslandsungarn eingeführt; deren Stimmen braucht sie für die Wahlen im kommenden Frühjahr, denn unter einheimischen Wählern wird sie wegen der sozialen Kahlschlagspolitik zunehmend unpopulär.
Spiel mit dem Feuer
Umgekehrt geht es der rumänischen Regierung ebenfalls darum, von ihrem radikalen Sparkurs abzulenken. Vor allem aber will sie eine geplante Territorialreform mit nationalistischer Rethorik legitimieren. Im Zuge dieser Reform würden drei überwiegend ungarisch besiedelte Kreise in einen zentralrumänischen Großkreis eingegliedert werden - der ungarischen Minderheit gingen so viele Rechte verloren.
Der ungarische Philosoph und Publizist Attila Ara-Kovács sieht denn auch angesichts der politischen Konstellation in beiden Ländern vorerst keine Chance für einen ungarisch-rumänischen Ausgleich. "Die Lage ist sehr ernst, und sie ist die Konsequenz einer sträflichen, unverantwortlichen, aber gut durchdachten Absicht der Orbán-Regierung, die bislang modellhaft guten Beziehungen zu den Nachbarländern kaputtzumachen", sagt Ara-Kovács. "Leider arbeitet auch die rumänische Ponta-Regierung daran, die bilateralen Beziehungen zu zerrütten, und sie hat dabei in Orbán einen geeigneten Partner gefunden."