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Eisernes Kreuz und Dolchstoßlegende

Sarah Judith Hofmann 31. Juli 2014

Von 1914-18 kämpften 100.000 deutsche Juden für ihr Vaterland. "Kurz darauf war dies alles nichts mehr wert", sagt Leonore Maier vom Jüdischen Museum Berlin. Ein Gespräch über Feldrabbiner, Ehrenkreuze und Zurückweisung.

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Ausstellung Der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung
Sedertafel jüdischer Soldaten im Ersten WeltkriegBild: Jens Ziehe/Jüdisches Museum Berlin

DW: Der Erste Weltkrieg ist in diesem Gedenkjahr 2014 überall präsent. Im Jüdischen Museum ist nun in einer aktuellen Ausstellung eine repräsentative Auswahl aus Briefen, Tagebüchern, Fotos, Feldgebetbüchern, Orden, Skizzenbüchern und Kunstwerken jüdischer Kriegsteilnehmer zu sehen. Welche Rolle spielten denn jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg?

Leonore Maier: Im Ersten Weltkrieg kämpften 100.000 jüdische Soldaten auf Seiten des Deutschen Reiches. 12.000 von ihnen fielen im Krieg. Es gab Frontsoldaten, darunter auch in der Marine und bei den Fliegern sowie etliche jüdische Ärzte, die an und hinter der Front in Militärhospitälern tätig waren. Sie alle waren – wie auch nicht-jüdische Soldaten – an der West- und Ostfront eingesetzt. Das spiegelt sich auch in der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin.

Welche Gemeinsamkeiten konnten Sie feststellen? Was trieb diese Männer an, sich an die Front zu melden?

Ich würde gerne mit einem Zitat antworten, das titelgebend war für die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg, die wir vor 10 Jahren zeigten. Es stammt vom damaligen Feldrabbiner Jörg Salzberger: "Gute Deutsche und gute Juden, war dies schon immer unsere Parole, so ist es im Felde zum Schlachtruf geworden." Was die jüdischen Kriegsteilnehmer antrieb war, dass sie sich als gute Deutsche fühlten und als solche auch ihren Beitrag leisten wollten zur Verteidigung des Vaterlandes. Es gab aber – ebenso wie unter nicht-jüdischen Soldaten – auch Skepsis gegenüber dem Krieg. Wir zeigen z.B. ein Tagebuch, dessen erster Eintrag am 31. Juli 1914 von schrecklichen Befürchtungen geprägt ist, wie viel Tod und Verderben ein Krieg bringen werde. Es gibt also eine ganze Bandbreite an Einstellungen gegenüber dem Kriegseintritt.

Ausstellung Der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung
Hochdekoriert und plötzlich nicht mehr dazugehörig: Verleihungsurkunde über das Eiserne Kreuz II. KlasseBild: Jüdisches Museum Berlin

Welche Rolle spielte ihre jüdische Religion für die Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg?

Es gab im Ersten Weltkrieg erstmals Feldrabbiner. Für die Soldaten war es wichtig, dass sie die jüdischen Feiertage begehen konnten. Es gibt Fotos, auf denen man die Soldaten am Sederabend zu Pessach sieht. Auch die Betreuung der Verwundeten und der Familien von gefallenen Soldaten war sehr wichtig. Interessant ist darüber hinaus die Erfahrung an der Ostfront. Dort kamen die deutschen, sehr assimilierten Juden, für die Religion eine untergeordnete Rolle spielte, in Berührung mit den strenggläubigen orthodoxen Juden Osteuropas, die ihre Religion sehr intensiv lebten. Bei vielen führte dies zu einer Rückbesinnung auf das Judentum. Für andere hatte es eher etwas Exotisches.

Ausstellung Der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung
Orthodoxe Juden kennenlernen: Die Große Synagoge in Munkácz 1915Bild: Jens Ziehe/Jüdisches Museum Berlin

Fast alle Objekte, die Sie in der Ausstellung zeigen, stammen aus privaten Schenkungen. Welchen Stellenwert hat die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in jüdischen Familien?

Ich würde sagen, die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg hat in jüdischen Familien einen anderen Stellenwert als in nicht-jüdischen. Sie ist verknüpft mit der späteren Erfahrung der Ausgrenzung und des Verrats während der NS-Zeit. Jüdische Weltkriegsteilnehmer haben auf der einen Seite die Erfahrung gemacht: wir sind als gute Deutsche in den Krieg gezogen, wir gehörten dazu. Und während der NS-Zeit war das alles nichts mehr wert, Juden wurden ausgegrenzt. So wird das in den Familien erzählt. Aus jüdischer Perspektive sind beide Erfahrungen eng miteinander verbunden.

Auf das Ende des Ersten Weltkriegs folgte die Dolchstoßlegende: Plötzlich sollten Juden und Sozialdemokraten schuld daran gewesen sein, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Diese Hetzpropaganda muss für die jüdischen Soldaten, die zum Teil hochdekoriert aus dem Krieg zurückkamen, ein Schock gewesen sein.

1919 wurde der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten gegründet – als Reaktion auf massiven Antisemitismus. Er publizierte zum Beispiel ein Gedenkbuch mit den Namen der gefallenen jüdischen Soldaten. Damit wollte er gegen die Dolchstoßlegende vorgehen und öffentlich protestieren. Der Reichsbund hatte teilweise 55.000 Mitglieder – eine bedeutende Organisation.

Ausstellung Der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung
"Gute Deutsche und gute Juden": Orden, Ehrenzeichen und Embleme eines jüdischen FrontsoldatenBild: Jens Ziehe/Jüdisches Museum Berlin

Wie wurde mit ehemaligen Frontsoldaten umgegangen? Gab es unter den Nationalsozialisten "Privilegien" für ehemalige jüdische Offiziere und Träger des Eisernen Kreuzes?

Jüdische Frontsoldaten waren zunächst von dem "Arierparagraphen", mit dem die Nationalsozialisten 1933 sämtliche Beamte jüdischen Glaubens aus ihren Ämtern entließen, ausgenommen. 1934 wurde durch den damaligen Reichspräsident Hindenburg das so genannte "Ehrenkreuz" an ehemalige Frontkämpfer, Kriegsteilnehmer und Familien von gefallenen Soldaten verliehen. Davon waren zu diesem Zeitpunkt auch Juden nicht ausgenommen. Dass Juden in Zeiten der Verfolgung noch Orden bekommen haben, ist den wenigsten bekannt und kaum vorstellbar. Insofern sind die Ehrenkreuze in der Ausstellung wirklich Schlüsselobjekte. Sie sind mit der Überlieferung verbunden: Mein Vater oder Großvater oder Onkel hat doch als guter Deutscher am Ersten Weltkrieg teilgenommen! Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, hat selbst unter Hitler noch ein Ehrenkreuz bekommen und dann wurde die Familie vertrieben und ermordet. In diesem Spannungsfeld von Zugehörigkeit und Ausgrenzung bewegt sich die Ausstellung.

Ausstellung Der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung
Zeichnung von Max Liebermann: "Den 10.000 gefallenen jüdischen Frontsoldaten"Bild: Jens Ziehe/Jüdisches Museum Berlin

Hat die Erinnerung an den Holocaust den Ersten Weltkrieg in der Erinnerungskultur überlagert?

In der kollektiven Erinnerung Deutschlands mit Sicherheit. Aber in den jüdischen Familien konnten wir feststellen, dass die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg mit den Erfahrungen der Verfolgungszeit während des Nationalsozialismus verknüpft – und somit auch nicht vergessen wurde. Die Erinnerungsstücke aus dem Ersten Weltkrieg wurden selbst über die Verfolgungszeit des Zweiten Weltkriegs aufbewahrt. Und dabei wurde der Erste Weltkrieg auch verklärt. Es gibt auch Berichte von Menschen, die sich während der NS-Zeit das Leben genommen haben – behängt mit ihren Orden aus dem Ersten Weltkrieg. Hier zeigt sich die unglaubliche Enttäuschung und Verzweiflung über den Verrat, der ihnen zugefügt wurde.