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Einmal Millionär - immer Millionär?

Christian Pricelius7. Oktober 2014

"Das Kapital im 21. Jahrhundert" des Pariser Ökonomen Thomas Piketty ist ein Bestseller. Obwohl, oder vielleicht weil die Thesen des Autors teilweise heftig kritisiert werden. DW hat mit dem Autor gesprochen.

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Französischer Ökonom Thomas Piketty
Bild: picture-alliance/AP

Arm durch Arbeit - Thomas Piketty über Reichtum und Arbeit

DW: Herr Piketty, Ihr Buch ist ein Kassenschlager, wie viele Exemplare wurden bislang verkauft?

Thomas Piketty: Auf Englisch und Französisch zusammen 800.000, auf Englisch waren es 600.000.

Glauben Sie, mit Ihrem Buch etwas bewegen zu können?

Es war meine Absicht, die Leser zu überzeugen, dass die Themen Einkommen und Wohlstand viel zu wichtig sind, um sie einfach den Statistikern und Ökonomen zu überlassen. Es war mein Ziel, den Lesern historische Grundlagen zu liefern, damit sie sich ein eigenes Urteil bilden können. Aber es handelt sich im weitesten Sinne um Sozialwissenschaft und das ist keine exakte Wissenschaft, daher erwarte ich auch nicht, dass alle Leser mir zustimmen.

Wie müsste das Wirtschaftssystem verbessert werden, damit die Arbeitnehmer wieder höhere Erträge mit Arbeit erwirtschaften können?

Da gibt es unterschiedliche Lösungen. Langfristig sind es Investitionen in Bildung. Universitäten sind ein sehr starkes Instrument, um die Ungleichheit zu reduzieren. Eines der großen europäischen Probleme liegt darin, dass wir mehr Geld in die Reduzierung unserer Staatsschulden investieren, als in die universitäre Ausbildung. Das bedeutet nichts Gutes für die Zukunft, wir sollten mehr in die Universitäten stecken.

Welche anderen Lösungen gibt es, damit der Wert der Arbeit steigt?

Die progressive Besteuerung von hohen Arbeitslöhnen und Kapitalerträgen ist auch wichtig. Wir benötigen deshalb ein Steuersystem, welches diejenigen weniger besteuert, die nur von ihrem Arbeitslohn leben und die ohne Kapital und Wohlstand ins Leben starten.

Damit kommen wir zu Ihrer zentralen Aussage, dass viele Arbeitnehmer heute von ihrem Arbeitslohn nur noch existieren können, wieso ist das so?

Es war bis zum Beginn der Baby-Boomer-Generation möglich, mit dem Arbeitslohn auch Geld anzusparen. Denn mit den hohen Wachstumsraten der Wirtschaft konnte man von Null an starten und dann durch Arbeit sogar einen gewissen Wohlstand erreichen und Rücklagen bilden. Für die jetzigen Generationen jedoch gilt: Wenn Sie ein Vermögen in einer Großstadt ansparen wollen, dann brauchen Sie schon ein sehr gutes Arbeitseinkommen. Wenn man allerdings nur Wachstumsraten von 1,5 Prozent hat, bedeutet dies, dass die Kapitaleinkünfte weiterhin vier bis fünf Prozent sind oder mehr,-- bei Risikoinvestment, etwa sieben Prozent auf Aktien. Dadurch werden die anfänglichen Ungleichheiten verstärkt.

Mit welchen Folgen?

Der Zustand reduziert die soziale Durchlässigkeit einer Gesellschaft. Dabei ist die Chance, in die Schicht der Reichsten aufzusteigen, gut für die Effizienz der Wirtschaft und für das Unternehmertum. Warren Buffet hat dazu einmal gesagt: Man will doch nicht, dass bei den Olympischen Spielen von 2030 nur die Kinder des Teams von 2000 antreten.

Sie haben Daten für die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zusammengetragen. Meist Einkommensstatistiken der Finanzämter. In Deutschland aber wird Reichtum über die Statistik gar nicht erfasst.

Wir brauchen mehr Transparenz über Einkommen und Wohlstand. Und das Ergebnis einer progressiven Besteuerung von Kapital und Einkommen wäre, dass wir damit auch verlässliche Informationen über die Einkommensgruppen erzwingen können.

Sie fordern internationale Steuern. Aber wie soll das funktionieren? Die EU-Staaten konkurrieren doch um Investoren und Kapital mit möglichst niedrigen Steuern.

Mit der Annahme liegen Sie richtig: Wenn jedes Land sein eigenes Steuersystem beibehält, wird es sehr schwierig. Das führt dazu, dass multinationale Konzerne schon jetzt relativ weniger an Steuer bezahlen, als kleine oder mittlere Betriebe. Deutschland, Frankreich, Italien stehen im Wettbewerb, um Investoren anzulocken. Dadurch können die Großkonzerne mit den unterschiedlichen Steuersystemen spielen und schaffen es, am Ende dann relativ geringere Steuern zu bezahlen. Es ist nicht nur für die Gleichbehandlung schlecht, auch für Wachstum und Effizienz der Wirtschaft.

Wie schlagen Sie also vor?

Die Lösung ist ziemlich einfach: Wir brauchen eine gemeinschaftliche Steuerpolitik. Es geht nicht an, dass wir mit einer einheitlichen Euro-Währung gleichzeitig 18 verschiedene Steuersysteme aufrecht erhalten, die miteinander im Wettbewerb stehen - mit 18 verschiedenen Staatsverschuldungen und 18 verschiedenen Zinsen auf Staatsanleihen. Wir brauchen deshalb eine viel engere fiskalische und politische Union in Europa, beginnend mit einer kleinen Gruppe von Ländern und dann mit mehreren.

Woher nehmen Sie den Optimismus, dass das klappt?

Bei der Erhebung von Bankinformationen über Kapitaldepots ist es uns gelungen, diese Informationen zu erlangen, aber das dauert seine Zeit und es fordert die Bereitschaft zu Sanktionen. Wir können nicht höflich darum bitten, dass Steuerparadiese endlich aufhören, Steuerparadiese zu sein. Wir waren in Europa bezüglich unserer Herangehensweise extrem naiv. Die Schweiz übermittelt nun automatisch Bankinformationen über ihre Kunden. Und das lag einzig daran, dass die USA den Schweizer Banken Sanktionen auferlegt hat.

Welche Folgen hat die Kapitalanhäufung in den Händen der Reichsten für die Mittelschicht?

Wir brauchen eine starke Mittelschicht für das Wachstum und für die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Europa ist noch egalitärer strukturiert, als vor einem Jahrhundert und noch egalitärer als die USA. Aber in den USA ist die Einkommens- und Wohlstandkonzentration so stark, dass viele meinen, dass dies die Demokratie beeinträchtigen könnte. Einzelne Gruppen könnten die Politik beherrschen. In den USA gibt es unbegrenztes privates Geld in der Politik, das ist ein richtiges Problem.

Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Situation in Europa und den USA?

In Paris und der Eurozone stagniert die Wirtschaft, Wachstumsraten laufen gegen Null, auch die Inflation. Die Arbeitslosigkeit steigt. Was ich besonders traurig finde: Unsere anfängliche Staatsverschuldung war nicht dramatischer als in den USA, Großbritannien oder Japan. Aber hier haben wir die große Schuldenkrise in eine Krise des Vertrauens münden lassen, das ist unser Hauptproblem.

Wie manifestieren sich diese Probleme für die Leute auf der Straße?

In manchen Ländern Europas ist ein Viertel der jungen Generation arbeitslos. Und selbst wenn die Menschen ein Einkommen haben, ist es extrem schwierig, Kapital zu bilden. Die Große Gefahr in Europa ist, dass immer mehr Menschen den Eindruck gewinnen, dass die Globalisierung für sie nicht funktioniert oder dass die Kapitalbesitzer, die unverhältnismäßig großen Gewinner sind. Das halte ich für gefährlich, weil es extremistische Bewegungen befördert.

Die Anhänger eine liberalen Wirtschaftsordnung sagen, Geld werde momentan genug gedruckt und gerecht verteilt, die hohen Gewinne aus Kapital würden den Arbeitnehmern ja nicht einfach weggenommen.

Die Frage ist doch: Ist es gut für die Effizienz des Wirtschaftssystems, wenn Manager 10 Millionen Dollar bekommen? Ich habe die Daten genau angeschaut und fand keinen Beweise dafür, dass so etwas sinnvoll wäre. Letztendlich sind es Kosten, die dem Rest der Wirtschaft entstehen und den niedrigen und mittleren Arbeitslöhnen auferlegt werden.

"Die Reichen werden immer schneller immer reicher, weil sie auf einem Kapitalstock sitzen, der deutlich mehr Rendite abwirft als Arbeit." "Die Rendite aus den Arbeitslöhnen reicht für den Großteil der Bevölkerung hingegen nicht mehr, um Rücklagen zu bilden." Mit diesen Thesen sorgte der Wirtschaftsprofessor Thomas Piketty aus Paris für Furore. Sein Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" erscheint am 7. Oktober auf Deutsch.

Das Interview führte Christian Pricelius.

Thomas Piketty ist Professor der Ökonomie an der Paris School of Economics und der École des Hautes Études en Science Sociales (EHESS) und lebt mit seiner Frau und drei Töchtern in Paris. Er hat unter anderem am MIT in den USA unterrichtet und verfolgt seit etwa 20 Jahren die Themen Einkommen, Kapital und soziale Gerechtigkeit. Sein Buch "Das Kapital im 20. Jahrhundert" ist in mehreren Sprachen erschienen und wurde mit einer verkauften Auflage von fast einer Millionen Exemplaren zum internationalen Bestseller.