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Einigung ohne Verlierer

Peter Philipp27. August 2004

In Nadschaf ist Ruhe eingekehrt. Was viele nicht mehr für möglich hielten, ist nun doch geschehen. Zu verdanken ist dies Ali el Sistani, der seine Autorität in die Waagschale warf und offensichtlich erfolgreich war.

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Peter Philipp

Großajatollah Ali el Sistani scheint Erfolg zu haben, wo alle anderen vor ihm gescheitert sind: Seit den späten Nachtstunden auf Freitag (27.8.) gibt es eine Vereinbarung mit dem radikalen Schiiten Moqtada el Sadr. Die Kämpfe in Nadschaf sollen endgültig beendet und die Gefahr für die Stadt, ihre Einwohner und das den Schiiten heilige Grab von Imam Ali abgewendet werden. Die Milizionäre El Sadrs sollen ihre Waffen niederlegen und die irakischen und amerikanischen Truppen sollen sich zurückziehen. Nadschaf soll künftig nur noch von der Polizei kontrolliert werden und Bagdad die Opfer der jüngsten Kämpfe entschädigen.

So einfach diese Lösung auch aussehen mag, so unwahrscheinlich war sie in letzter Zeit doch geworden: Amerikaner und Truppen der Bagdader Übergangsregierung rückten immer näher auf die Imam-Ali-Moschee vor, in der sich Anhänger Moqtada el Sadrs verschanzt hatten. Aber die militärische Entscheidung blieb ebenso aus, wie das Einlenken der Milizen auf wiederholte Ultimaten der Regierung. Es war eine klassische Patt-Situation: Sadr konnte die Belagerer nicht abschütteln und vertreiben. Diese wiederum konnten seiner nicht habhaft werden, ohne das Heiligtum zu beschädigen und damit einen Flächenbrand auszulösen.

So hätte es noch lange weiter gehen können, mit einer täglich wachsenden Zahl ziviler Opfer. Und der Gefahr einer Ausweitung auf andere Teile des schiitischen Süd-Irak, der bis vor kurzem noch relativ ruhig geblieben war. Solche Ruhe und Zurückhaltung waren zu einem großen Teil das Verdienst El Sistanis. Der geistliche Führer der irakischen Schiiten ist kein Freund der Amerikaner. Er weiß aber, dass bewaffneter Widerstand die Dinge nur noch schlimmer machen und den eingeleiteten Demokratisierungsprozess sabotieren würde. Ein Prozess, von dem in erster Linie die Schiiten profitieren würden, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen, bislang aber immer von der Macht ausgeschlossen waren.

Niemand außer Sistani hätte in dieser Situation helfen können: Er hat den erforderlichen Einfluss auf seine Glaubensbrüder, genießt deren Respekt, und er versucht, klar zu trennen zwischen Politik und Religion: So ist er nicht nur gegen eine irakische Kopie des iranischen Gottesstaates, er schließt sich auch nicht der einen oder anderen Konfliktpartei an - selbst nicht aus taktischen Gründen. Sistani scheint in erster Linie Wert darauf zu legen, dass sein Land rasch zur Ruhe kommt und Fortschritte macht in Richtung auf eine Demokratie.

Ziele, die den Wünschen einer Bevölkerungsmehrheit entsprechen und mit denen sich auch die Regierung in Bagdad und die USA identifizieren können. So gibt es denn eigentlich keine "großen Verlierer" bei der Einigung von Nadschaf. Es sei denn, Sadrs Anhänger kommen plötzlich zu der Überzeugung, dass für sie der Preis zu hoch sei. Dann können auch "kleine Verlierer" die Einigung gefährden und zum Platzen bringen.