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Politik

Eine Stimme gegen häusliche Gewalt in Marokko

Fatima Ezzahra Ouazzouz kk
20. Januar 2019

Oft trauen sich Frauen nicht, gegen häusliche Gewalt und Vergewaltigung vorzugehen. Das ist auch in Marokko so. Eine neue Initiative vor Ort hilft Frauen, sich gegen prügelnde Ehemänner zu wehren - und das mit Erfolg.

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Marokko Frauen mit Kopftuch in Marrakesch
Bild: picture-alliance/imagebroker

Blutergüsse und Prellungen - vor allem im Gesicht - das sind die Erinnerungen, die Salma R. an ihre Ehe hat. Immer wieder war sie häuslicher Gewalt und Vergewaltigung durch ihren Ehemann ausgesetzt. Doch der Respekt vor Tradition und Sitte hielt sie davon ab, sich von ihm zu trennen. Salma R. will ihren Nachnamen nicht nennen, so wie auch viele andere Frauen, die betroffen sind.

Sieben Jahre lang habe sie die Vergewaltigungen ertragen, sagt die 23-jährige Frau, die im Bildungsbereich arbeitet. Ihr Mann habe sie geschlagen und ihr mit Mord gedroht. Nicht nur sei ihr Gesicht immer wieder geschwollen gewesen. Sie sei auch süchtig gewesen nach Drogen, da ihr Ex-Mann sie zu der Einnahme gezwungen habe, sagt die Mutter zweier Kinder. So habe sie keine Kraft gehabt, um sich scheiden zu lassen.

"Häusliche Gewalt zerstört die Würde der Frauen", sagt Salma R. Vergewaltigung sei eine der schwerwiegendsten Formen von Gewalt. Sie wisse, dass viele Frauen das ertragen würden und könnten auch nicht darüber sprechen. Salma R. aber beschloss, ihr Schweigen zu brechen. Sie teilte sich einem privaten Radiosender mit, der mit der jungen Menschenrechtsinitiative "Lass deine Stimme hören" zusammenarbeitet. Der Sender brachte Salmas Geschichte an die Öffentlichkeit, die Initiative unterstützte sie psychologisch und juristisch. Dadurch gewann R. so viel Kraft, dass sie sich scheiden ließ und ihren Ehemann wegen Gewaltanwendung und Vergewaltigung anzeigte.

Heirat mit dem eigenen Vergewaltiger

Auch Iman Z., 28, wandte sich an die Initiative. Iman war Opfer häuslicher Vergewaltigung - und das bereits als Kind. Es habe sich um "blutige" Gewalt gehandelt, berichtet sie. In noch jungem Alter habe sie ihren Vergewaltiger heiraten müssen. Das war damals das Gesetz und wurde erst 2018 wieder abgeschafft.Ihr Mann habe sie gezwungen, Drogen zu nehmen, um seine Wünsche zu erfüllen. Iman fand das "abartig".

Tetouan: Kampf gegen Frauengewalt
Lerne, dich zu wehren - die Kampagne "Lass deine Stimme hören" in TetuanBild: DW/ F. Ouazzouz

Sie habe Wünschen entsprechen müssen, die sie als krankhaft angesehen habe. Doch habe sie sich den Forderungen des Mannes nicht verschließen können. Es gebe Menschen in der Gesellschaft, die es tolerierten, wenn Frauen erniedrigt würden, sagt sie. Nicht alle ehelichen Gemeinschaften seien ein Hort der Sicherheit. Viele Schlafzimmerwände seien die einzigen Zeugen der Schreie und Trauer.

Auch sie entschied sich daher, ihr Leid öffentlich zu machen. Und auch sie offenbarte sich dem Radiosender, der Opfern von häuslicher Gewalt eine Stimme gibt. Sie habe die Gesellschaft davon überzeugen wollen, dass Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen sei, über das zu Unrecht nicht gesprochen werde.

 Gewalt öffentlich machen

"Lass deine Stimme hören" ermutigt betroffene Frauen, mit ihrem Leiden an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Idee zu der Initiative hatten Absolventen einer akademischen Initiative, deren Ziel es ist, zivilgesellschaftliche Akteure in diesem Bereich in arabischen Ländern zu stärken. Die Initiative wird unter anderem von der europäischen Menschenrechtsorganisation EMHRF finanziert - der "Euro-Mediterranean Foundation of Support to Human Rights Defenders".

"Inzwischen haben über 120 Frauen an unseren Seminaren teilgenommen", sagt Khadija Khafid, eine der Initiatorinnen von "Lass deine Stimme hören". Sie wollen bei den Frauen ein Bewusstsein für ihre Situation schaffen und erklären ihnen, wie sie sich am besten zur Wehr setzen können - auch indem sie die Frauen in juristischen Fragen beraten.

Marokko Portrait Khadija Khafid
"Wir schaffen Rechtsbewusstsein": Khadija Khafid von "Lass deine Stimme hören!" Bild: DW/E. Ouazzouz

Zu diesem Zweck arbeitet "Lass deine Stimme hören" nicht nur mit dem privaten Radiosender zusammen. Die Organisation betreibt auch eine multimediale Website - die erste ihrer Art in Marokko. Diese präsentiert 16 verschiedene Geschichten häuslicher Gewalt, verbunden mit Hinweisen, wie Frauen gegen Gewalt vorgehen können. Die Initiative kommt nicht nur bei den Frauen gut an. Auch deren Familien zeigen sich meist offen und begrüßen den Schutz, den sie den Betroffenen bietet.  

Gegen Gewalt im Öffentlichen Raum

Auch Nour H. hat von der Initiative "Lass deine Stimme hören" profitiert. Sie wurde aktiv, nachdem sie in einem Bus belästigt wurde. Lange wollte sie über dieses Erlebnis nicht reden, dann aber entschloss sie sich, ihr Schweigen zu brechen. Inzwischen ist sie selbst Botschafterin der Initiative. Diese Initiative habe es vielen Frauen wirklich geholfen, sagt die junge Frau aus Tetuan.

Viele hätten so zum ersten Mal erfahren, auch welcher Gesetzesgrundlage sie gewalttätige Ehemänner vorgehen können. Auch ermutige die Initiative Frauen dazu, Belästigung im öffentlichen Raum, etwa an Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel, publik zu machen. Sie sei davon überzeugt, die Ziele der Initiative würden viele Frauen dazu animieren, Verstöße gegen ihre Würde aufzudecken, sagt Nour H. 

Es sei dringend geboten, über das Konzept "Vergewaltigung in der Ehe" aufzuklären und diesen als Straftatbestand einzuführen, sagt H. Geschlechtsverkehr innerhalb oder außerhalb der Ehe anzunehmen oder abzulehnen sei ein grundlegender Bestandteil der körperlichen Freiheit. Es sei aber weiterhin ein Tabu in der marokkanischen Gesellschaft, darüber in der Öffentlichkeit zu sprechen, auch wenn es inzwischen durchaus Gesetze gebe, die Frauen schützten.