Schottische Region probiert Energiewende
15. Oktober 2012In Scrabster, dem nördlichsten Hafen des britischen Festlands, dockt die Fähre an. 90 Minuten dauert die Fahrt von den Orkney-Inseln hierher - bei gutem Wetter, wie heute. Die beiden Küsten trennt der Pentland Firth, eine Meerenge, die wegen ihrer extremen Strömungs- und Windverhältnisse als eines der schwierigsten Seegebiete im Grenzbereich zwischen Nordsee und Nordatlantik gilt. Gerade diese Faktoren sollen die Zukunft der Region sichern, in Form von erneuerbarer Energie.
13 Kilometer weiter erhebt sich hinter einem Hochsicherheitszaun eine weiße Kugel. Aufgrund der abgelegenen Lage wurde 1955 hier in Dounreay eine Kernkraftanlage gebaut. Weitab von den Bevölkerungszentren im Süden wollte die britische Regierung die Technik des Schnellen Brüters testen. Während manche Kritiker in den entfernten Städten vor den Gefahren der Kernenergie warnten, freuten sich viele Menschen hier oben über Arbeitsplätze und den Ausbau der Infrastruktur. Viele Fischer kehrten ihren Booten den Rücken.
Das Ende der Kernkraft
Caithness erlebte damals einen Strukturwandel. Heute steht der nächste bevor. Bis 2023 soll Dounreay endgültig geschlossen werden. Über 2.000 Arbeitsplätze gehen dann verloren. Jeder dritte Arbeitsplatz in der Region Caithness mit einer Bevölkerung von nur 26.000 sei von Dounreay abhängig, erklärt Trudy Morris von der Handelskammer im nahe gelegenen Thurso.
Die Entscheidung, Dounreay vom Netz zu nehmen, fiel bereits 1994. Im vergangenen Jahr ging der endgültige Abwicklungsauftrag an ein britisch-amerikanisches Konsortium. Die Dounreay Partnership, bestehend aus Babcock, CH2M Hill and URS, hat sich verpflichtet, die Anlage bis 2023 vollkommen zu schließen. Der Zeitplan ist ambitioniert.
Charles Mc Vay ist für die Stilllegung von Dounreay zuständig. Seit Dezember 2011 ist der US-Amerikaner in Schottland. Er steht vor einer großen Herausforderung. Bis 2023 sollen die Gebäude abgebaut, das nukleare Material sicher gelagert, die Erde ersetzt, das Areal in den Zustand vor dem Bau des Reaktors zurück versetzt werden. Dafür braucht McVay hochqualifizierte Fachkräfte. Er muss ihnen Anreize bieten, in Dounreay zu bleiben, obwohl ihre Arbeitsplätze danach verloren gehen.
Energiewende als Jobmotor
Die Wirtschaft in der Region wird trotz oder gerade wegen des Endes von Dounreay wachsen, nicht schrumpfen, sagt Roy Kirk, der regionale Direktor von Highlands and Islands Enterprise, der Agentur für Wirtschaftliche Entwicklung. Die Energiewende, die von der schottischen Regierung mit Nachdruck betrieben wird, soll es möglich machen. Vor der Küste werden Windparks errichtet. Die Bauarbeiten und später die Instandhaltung sollen der Region Jobs und Wohlstand bescheren.
Auf der anderen Seite des Pentland Firth vor Orkney wird die Meeresenergie im Europäischen Testzentrum EMEC entwickelt. "Der erste Schritt hin zum kommerziellen Einsatz ist gelungen", sagt der Wirtschaftsexperte. "Die großen internationalen Firmen investieren. Sie wollen nicht nur grün sein, sondern auch Gewinne erzielen."
Noch arbeiten 2.000 Ingenieure, Sicherheitsexperten und Projektmanager in Dounreay. Diese Qualifikationen seien direkt im neuen Energiebereich anwendbar, sagt Kirk. Jetzt gelte es, dafür zu sorgen, dass die Arbeitskräfte nicht abwandern und die Region zum Zentrum für den wachsenden Offshore-Bereich wird.
Dabei arbeitet Kirk mit der regionalen Handelskammer zusammen. Chefin Trudy Morris hat mit finanzieller Unterstützung der schottischen Regierung, des Europäischen Sozialfonds und der Agentur für die Stilllegung alter Atommeiler (NDA) ein Programm ins Leben gerufen, um Arbeitskräfte zu vermitteln und bei Bedarf umzuschulen. Noch befinde sich die Meeresenergie im Anfangsstadium, betont Morris. Aber: "Wir sind schon jetzt mit den Entwicklerfirmen und Energiekonzernen im Gespräch. Das wird uns helfen, später im Geschäft zu bleiben."
Vertrauensvorschuss für die Meeresenergie
In und um den Hafen von Scrabster wird gehämmert und gebaggert: Der einstige Fischerhafen wird für die Energiewende fit gemacht. 19 Millionen Pfund wurden bisher investiert. "Die neuen Strömungsturbinen und Wellengeneratoren sind teilweise groß, schwer und sperrig", erklärt Hafenchef Sandy Mackie. Die Zufahrt musste verbessert und die Möglichkeiten geschaffen werden, große, schwere Geräte zu heben. Der Hafenbecken wurde vertieft. Aus 1.500 Quadratmeter machen wir 11.000", so Mackie. Bereits in der Konstruktionsphase soll Scrabster im Mittelpunkt stehen.
"Es ist schon ein riesiger Vertrauensvorschuss", gibt Mackie zu. "Die Technologien müssen sich noch beweisen. Aber wir sind zuversichtlich." Bis 2050 soll nach Berechnungen der Regierung in den Gewässern zwischen Orkney und dem schottischen Festland 1,6 Gigawatt Wellen- und Gezeitenenergie erzeugt werden. "Wenn man das in eine Anzahl an Geräten transferieren würde, hätten wir ein Riesenvolumen, das alle Häfen in der Umgebung zusammen nur mit Mühe bewältigen könnten. Aber das ist eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen", schmunzelt der Hafenchef.
Baulärm und Verkehrsbelästigung nimmt die Bevölkerung von Scrabster gerne in Kauf, sagt Mackie. "Das ist ein kleiner Preis für eine gesicherte Zukunft. In den letzten 60 Jahren haben wir eine wertvolle soziale Infrastruktur aufgebaut: Schulen, Krankenhäuser. Das wollen wir auch so halten."
Neue Geschäftsmöglichkeiten
Auch die Firmen, die mit Dounreay Geschäfte abgewickelt haben, bereiten sich auf die Zeit nach der Schließung vor. "Unser Hauptproblem ist, qualifizierte Arbeitskräfte zu bekommen", sagt Will Campbell, Direktor von JGC Engineering and Technical Services. "Dounreay hat früher 35 Lehrlinge pro Jahr ausgebildet. In den letzten 15 Jahren wurde dort nicht mehr investiert. Meine Firma bildet jetzt aus. Aber die jungen Fachkräfte werden dann von der Offshore-Industrie abgeworben."
Dabei seien die Löhne in Caithness hoch, die Lebenskosten niedrig, sagt Campbell. Im Rückblick bezeichnet er die Stilllegung des Kernkraftwerks allerdings als Glücksfall für seine Firma. "Vorher waren wir sehr stark von Dounreay abhängig - bis zu 85 Prozent. In den letzten fünf Jahren haben wir viele neue Auftraggeber gefunden."
Ob das Geschäft mit den erneuerbaren Energien das alte Nukleargeschäft ersetzen könne? "Eigentlich müsste es viel mehr hergeben", sagt Campbell. Die Frage sei nur, wann die Meeresenergie zum kommerziellen Einsatz komme. "Da kann man eigentlich nur optimistisch bleiben."
Hi-Tech-Kameras für Tauchfahrzeuge
Auch Bill Baxter erhofft sich neue Geschäftsmöglichkeiten durch die Meeresenergie. Seine Fabrik stellt im Auftrag der norwegischen Firma Kongsberg Maritime in Wick Unterwasserkameras her. Die Firma ist führend in der Herstellung von Geräten für den Einsatz in rauen Gewässern, unter anderem in der Forschung und der Ölindustrie.
Die Tatsache, dass seine Kunden im Öl- und Gasgeschäft sich auch in erneuerbaren Energien engagieren, erleichtert den Einstieg in den Markt, sagt der schottische Manager. Allerdings bringe der neue Industriezweig auch neue Herausforderungen für die Kameraherstellung. Da die Geräte teilweise in relativ flachem Wasser arbeiten sollen, fehle der starke Druck, der in der Tiefsee die Kameradichtungen verstärkt. "Ein weiteres Problem ist der Befall durch kleine Schalentiere und andere Organismen gerade im flachen, lichtdurchlässigen Wasser."
Umweltforschung unter Zeitdruck
Die Erforschung solcher Aspekte ist ein weiteres Wirtschaftsstandbein der Region. Im Jahr 2000 wurde das Umweltforschungsinstitut ERI in Thurso eröffnet. Es gehört zur University of the Highlands and Islands. Wie sich Geräte zur Erzeugung von Wellen- und Gezeitenenergie auf die Umwelt auswirken, ist ein wichtiges Thema, das auch ökonomische Konsequenzen hat, erklärt Forscher Angus Jackson.
Die Geräte können Algen oder Schalentiere anziehen. Das wirkt sich auf die Geräte, aber auch auf das Ökosystem aus. Invasive Arten könnten einerseits heimische Arten verdrängen, so Jackson. Anderseits könnten sie größere Probleme für Aquakulturen und Fischzuchtanlagen bedeuten, da sie oft schnell wachsen und Netze und Käfige beschmutzen könnten.
Die Region Caithness steht unter Druck, sich schnell an die neue Industrie anzupassen. Die ersten Wellengeneratoren vor Orkney liefern bereits Strom ins Netz. Die politische Unterstützung für diese Form der grünen Energie sei wahrscheinlich besser als sonst irgendwo in der Welt, meint Jackson. Das findet er sehr ermutigend.
"Es ist aber auch eine echte Herausforderung für die Entwicklerfirmen und Forschungsinstitute wie unsere", sagt der Wissenschaftler. "Sie müssen die Geräte möglichst schnell zum kommerziellen Einsatz bringen - und wir müssen dafür die Umweltdaten rechtzeitig zur Verfügung stellen". Damit die schottische Region zum Vorbild für die grüne Energiewende werden kann.