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Eine Resolution, die spaltet

Richard A. Fuchs, Berlin 1. Juni 2016

Die Türkei droht, Armenien bittet: Der Bundestag will heute eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern verabschieden. Ankara droht mit Konsequenzen. Die Bundesregierung ist diskret und will abwesend sein.

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Gedenkstätte (Foto: DW/A. Gazazyan)
Memorial für die Opfer des Völkermordes in der armenischen Hauptstadt EriwanBild: DW/A. Gazazyan

Es ist eine beachtliche Drohkulisse, die verschiedene türkische Politiker in den vergangenen 48 Stunden aufgebaut haben. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan soll in einem Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit schweren diplomatischen Verwerfungen gedroht haben, wenn der Bundestag am Donnerstag genau das macht, was auf seiner Tagesordnung steht: Eine Resolution verabschieden, die die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich als "Völkermord" einstuft.

Der Beschluss soll mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen zustandekommen. Der neue türkische Ministerpräsident Binali Yildirim nannte die angestrebte Resolution "lächerlich", mit "völlig aus der Luft gegriffenen Vorwürfen".

Politisches Tribunal?

Internationale Historiker sehen das anders. Sie schätzen, dass bei den Massakern des jungtürkischen Regimes vor mehr als 100 Jahren bis zu 1,5 Millionen Armenier und Anhänger anderer christlicher Minderheiten getötet wurden. Systematisch und gezielt – was aus Massakern nach dem Völkerrechtsverständnis einen Völkermord machen kann.

Der türkische Staatspräsident Erdogan will das Wort Völkermord nicht lesen Foto: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images)
Der türkische Staatspräsident Erdogan will das Wort Völkermord nicht lesenBild: Getty Images/AFP/A. Altan

Die Türkei wehrt sich gegen diese Einordnung, auch mit Verweis darauf, dass es sich damals um gegenseitige Kriegsgräuel gehandelt habe. Der türkische Staatspräsident hatte sich im Zuge der Gedenkveranstaltungen nach 100 Jahren im vergangenen Jahr bei den Armeniern entschuldigt. Für das erlittene Leid, nicht allerdings für einen Völkermord.

Die Bundestagsresolution spricht hier eine andere Sprache. An prominenter Stelle heißt es zum Schicksal der Armenier: "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist."

Vor gut einem Jahr hatte der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck beinahe dieselben Worte gesprochen, als er an die Verbrechen erinnerte. Eine Resolution des Bundestags scheiterte damals, aus Rücksicht auf die türkisch-deutschen Beziehungen.

Türkische Verbände demonstrieren in Berlin gegen die Resolution (Bild: DW/O. Coskun)
Türkische Verbände demonstrieren in Berlin gegen die ResolutionBild: DW/O. Coskun

"Mitschuld" des Deutschen Reiches

Über ein Jahr später scheint es, als wollten die Parlamentarier dieses Mal ihre Bedenken beiseite räumen. Dabei sitze die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches "nicht auf der Anklagebank", betonte der Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Grosse-Bröhmer mehrfach. Das Problem daran: Die türkischen Verbände in Deutschland, ebenso wie die AKP-Regierung um Präsident Erdogan und weite Teile der türkischen Oppositionsparteien sehen sich durch diese Resolution auf genau solch einer Anklagebank.

Dabei scheint in der aufgewühlten Situation beinahe unterzugehen, dass es aus deutscher Perspektive gute Gründe gibt, die Aufarbeitung der Armenien-Massaker geschichtswissenschaftlich voranzutreiben. In dem Resolutionsentwurf wird auf die "Mitschuld" des Deutschen Reiches an den systematischen Gräueltaten an Armeniern hingewiesen.

Bundestagspräsident Lammert beim Gedenken an den Genozid an den Armeniern (Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images) Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images
Er war einer der ersten, der von Völkermord an Armeniern sprach: Bundestagspräsident LammertBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Eine Schuld, die im Wegsehen, Tolerieren und teilweise im Unterstützen der Tötungsmaschinerie gelegen habe, heißt es in dem Entwurf weiter: "Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen."

Kanzlerin, Vizekanzler und Außenminister abwesend

Der Zeitpunkt für die Armenien-Resolution im Bundestag bringt die Bundesregierung außenpolitisch in Bedrängnis. Der von der Kanzlerin maßgeblich vorangetriebene EU-Türkei-Flüchtlingsdeal sorgt dafür, dass derzeit nur wenige Flüchtlinge Deutschland erreichen.

Ob dieser Vertrag kippt, wenn die Türkei Konsequenzen zieht, vermag derzeit niemand zu sagen. Markus Löning, früherer Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, riet in einem Zeitungsinterview deshalb dazu, sich den aktuellen Fragen zuzuwenden. "Wir sollten uns auf die drängenden Probleme konzentrieren und das Verhältnis zur Türkei nicht weiter verschlechtern", so Löning gegenüber dem "Tagesspiegel".

Ähnliches dürften wohl auch viele in der Regierungsmannschaft der Kanzlerin hinter vorgehaltener Hand denken. Öffentliche Auftritte oder gar Äußerungen zu der Armenien-Frage vermieden die meisten Kabinettsmitglieder zuletzt so gut wie möglich. Einige Quellen berichten, dass sowohl die Kanzlerin, wie auch ihr Vizekanzler Gabriel und Außenminister Steinmeier nicht an der Debatte teilnehmen werden.

Steinmeier ist am Mittwochabend zu einer Reise nach Argentinien und Mexiko aufgebrochen. Schon vor einem Jahr hatte der Außenminister erkennen lassen, dass er die geplante Armenien-Resolution das deutsch-türkische Verhältnis belasten würde.

Wirtschaftsminister Gabriel wird auf dem Tag der Deutschen Bauindustrie erwartet. Und Kanzlerin Merkel soll genau um diese Zeit in Berlin auf einem Kongress eine Rede zum Thema "Digitale Bildung" halten. Eine Sprecherin der Kanzlerin hob jedoch hervor, dass diese voll und ganz hinter der Armenien-Resolution stehe – auch wenn sie nicht dafür abstimmen könne.

Özdemir: "Keine falsche Rücksichtnahme"

Besonders Grünen-Parteichef Cem Özdemir hatte darauf gedrängt, das Thema noch vor der Sommerpause ins Parlament zu bringen. Er warnte davor, "aus falscher Rücksicht auf Ankara" die Aufarbeitung der Geschichte auf die lange Bank zu schieben. Viele Parlamentarier, die die Resolution unterstützen, begründen dies mit der Hoffnung, damit Impulsgeber für die Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern zu sein.

Ob der notwendige Anstoß für eine türkisch-armenische Aussöhnung aber tatsächlich von Berlin ausgehen kann, das werden wohl die kommenden Tage zeigen. Nimmt der Bundestag die vorliegende Resolution an, dann reiht sich die Bundesrepublik ein bei jenen 20 Ländern weltweit, die die Gräueltaten an den Armeniern "Völkermord" nennen.

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