Eine Quote für Ostdeutsche?
20. Februar 2019Seit fast 14 Jahren ist eine Ostdeutsche Chefin der deutschen Bundesregierung. Angela Merkel, 1954 in Hamburg geboren, wuchs in Brandenburg auf und gehörte zur Wendezeit 1989 dem "Demokratischen Aufbruch" an. Wenn man so will, ist eine der wichtigsten, wenn nicht gar die wichtigste Führungsposition in Deutschland, ostdeutsch besetzt. Und sonst?
Ostdeutsche sind unterrepräsentiert
Sonst sind Ostdeutsche offensichtlich unterrepräsentiert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 werden nur 1,7 Prozent der Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur von Ostdeutschen besetzt. Und das, obwohl rund 17 Prozent der Deutschen aus den ostdeutschen Bundesländern kommen.
Die Lösung des Problems sehen viele in einer Ost-Quote. Heißt: Ein bestimmter Prozentsatz von Führungspositionen sollte in Zukunft an Ostdeutsche vergeben werden. Die ehemalige Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag und heutige Unternehmerin Antje Hermenau schlug im Deutschlandfunk vor: "Überall da, wo Steuergelder die Gehälter finanzieren, könnte man das machen. 20 Prozent Ost-Quote im Bund und vielleicht 55 Prozent Ost-Quote in den ostdeutschen Ländern selbst, da, wo mehrheitlich Ostdeutsche wohnen."
Matthias Höhn, Abgeordneter der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag, zieht das Grundgesetz als Begründung für eine Ost-Quote zumindest in Bundesbehörden hinzu: "Es gibt eine Ost-Quote, wenn man sie so nennen will, bereits im Grundgesetz im Artikel 36. Der nämlich regelt, dass die Bundesländer und die Menschen aus den Bundesländern in den Bundesbehörden angemessen vertreten sein müssen." Und das, so Höhn, gelte dann selbstverständlich auch für Deutsche aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen.
Spitzenpositionen für "Quoten-Ossis"?
Die aus Brandenburg stammende Wissenschaftlerin und Buchautorin Judith Enders sieht das anders. Eine Quote würde ostdeutschen Führungskräften womöglich sogar schaden, sagt sie der DW: " Manche würden dann vielleicht jemandem aus Ostdeutschland, der in eine Führungsposition aufrückt, sagen 'Du bist hier als Quoten-Ossi'."
Die ganze Diskussion zeige auf, dass offensichtlich in 30 Jahren Nachwende-Deutschland die Gesellschaft versagt habe, wenn es darum geht, Gleichheit zwischen Ost und West herzustellen. "Es ist auch einfach traurig, über so ein Instrument zu diskutieren, weil es zeigt, dass man es anders nicht geschafft hat, diese Machtverhältnisse zu ändern", so Enders.
Ungleichmäßige geografische Verteilung von Bundesbehörden
Doch wie steht es um die Chancen, dass eine solche Quote tatsächlich kommt? Wenn es nach dem Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Christian Hirte, geht, wird es Quoten für Ostdeutsche zumindest in Bundesbehörden so schnell nicht geben - sie seien schlicht nicht nötig. Und das, obwohl auch der CDU-Politiker das Ungleichgewicht durchaus anerkennt. "Ich glaube, eine Ost-Quote braucht es nicht, das hilft am Ende auch nicht. Damit ganz normale Menschen die Chance haben, bei einer Bundesbehörde tätig zu werden, dafür muss die Behörde vor Ort sein", so Hirte gegenüber der ARD.
Wichtig sei es deshalb, dass mehr Bundesbehörden in Ostdeutschland angesiedelt würden. Derzeit gehören Stellen wie das Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau oder der Rostocker Standort des Bundesamts für Seeschifffahrt zu den Ausnahmen einer ansonsten sehr von der "alten Bundesrepublik" vor 1990 geprägten Verteilung der Behörden. Die meisten Behörden sitzen heute in Berlin sowie im Umkreis der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn. Eine gleichmäßigere geografische Verteilung könnte laut Hirte eine Quote überflüssig machen.
Resignation im ländlichen Bereich?
Für Judith Enders liegen die Gründe dafür, dass eine Diskussion wie die um die Ost-Quote überhaupt geführt wird, tiefer. Sie gehen ihr zufolge zurück auf die Anfangsjahre des wiedervereinigten Deutschlands. "Das Versagen liegt darin, dass es nach der Wende versäumt wurde, die DDR, das Empfinden der Menschen zu verstehen", so die Politologin. "Hinzu kamen ökonomische Interessen, die darauf abzielten, in Ostdeutschland Märkte zu erschließen. Da ging es nicht um Menschen, da ging es um Zahlen."
Mit den Jahren seien außerdem viele Regionen in Ostdeutschland abgehängt worden. Zahlreiche Ostdeutsche hätten schlicht nicht mehr den Antrieb, in Führungspositionen zu drängen. "Neben den großen Leuchtturmstädten Berlin, Leipzig, Rostock, Dresden gibt es große Flächen an Land, die so abgehängt sind von positiver Entwicklung und konstruktiver Haltung, dass die Menschen dort eine resignative Haltung und mit Selbstverantwortung Schwierigkeiten haben", so Enders.
Vor Deutschland liegt also offensichtlich auch im 30. Jahr nach der friedlichen Revolution in der DDR noch ein weiter Weg bis zu einem tatsächlichen Zusammenwachsen. Zumal es gut möglich ist, dass auch im Bundeskanzleramt spätestens 2021 wieder jemand aus Westdeutschland einzieht.