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Reise

Eine kurze Geschichte des Badeurlaubs

18. August 2016

Baden im Meer ist heute Urlaubsvergnügen für Millionen. Vor 200 Jahren aber war es eine Mutprobe. Schwimmen konnte kaum jemand. Das "Bade-Museum" auf Norderney gibt Einblick in die Geschichte der deutschen Seebäder.

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Deutschland Nordseebad Norderney Photochrom um 1900
Männerstrand auf Norderney um 1900Bild: picture alliance/akg

Noch im 18. Jahrhundert galt das Meer vielen Menschen als Reich des Satans, sturmgepeitscht und bevölkert von gruseligen Ungeheuern. "Die Küste als Urlaubsgebiet war anders als die Berge ein weißer Fleck", sagt der Leiter des Bade-Museums auf der Nordsee-Insel Norderney, Manfred Bätje. Und wer seinen Fuß trotzdem ins Wasser setzte, "stieg in etwas Ungewisses".

Vorbild Brighton

Das änderte sich erst, als die britische Aristokratie die Heilkraft des Salzwassers entdeckte. Bereits um 1780 galt Brighton, Englands größtes und ältestes Seebad, als lebhafter Kurort.

Den entscheidenden Anstoß in Deutschland gab der Göttinger Philosoph und Physiker Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) mit seinem Aufsatz "Warum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad?". Darin regte er 1793 eine Gründung an der Nordsee, in Cuxhaven an. Unterstützt wurde er vom damals bedeutendsten deutschen Mediziner, dem Leibarzt des preußischen Königs, Christoph Wilhelm Hufeland.

Deutschland Nordseebad Norderney / Plakat 1892
Seebad Heiligendamm, Stich um 1840Bild: gemeinfrei

Doch es sollte anders kommen. Das erste deutsche Seebad entstand im September 1793 an der Ostsee in Heiligendamm. Vier Jahre später folgte die Genehmigung für Norderney, dem ersten deutschen Seebad an der Nordsee. "In der ersten Badesaison im Juli und August 1800 gab es 250 Gäste, heute sind es bei knapp 6000 Einwohnern jährlich 530.000 Kurgäste und 230.000 Tagesausflügler", zählt Bätje auf.

Sehnsuchtsort für Romantiker

Die Gemälde von Caspar David Friedrich, etwa über die Kreidefelsen auf der Ostseeinsel Rügen, verliehen dem Badetourismus im 19. Jahrhundert zusätzlichen Schwung. Das Meer galt fortan nicht mehr als "gefräßiges Ungeheurer". Vom Strand aus gab sich der kultivierte Europäer nun der Melancholie des unendlichen Wassers hin. "Das ruhige Meer diente als Projektionsfläche unbestimmter Sehnsüchte, die Wellen als Ausdruck von Lebenskraft und Tatendrang - im Grunde bis heute", meint Museumsdirektor Bätje.

Flash Galerie Schmalspurbahn Bäderbahn Molli
Die Bäderbahn Molli verbindet seit 1896 Heiligendamm und Bad DoberanBild: Bäderbahn Molli

Doch die Anreise blieb lange schwierig. So dauerte eine Fahrt auf holprigen Wegen mit der Postkutsche von Hamburg bis in die nordfriesische Stadt Aurich 30 Stunden. Die "Schnell-Droschke" von Bremen aus in die ostfriesische Stadt Norden war immerhin noch 16 Stunden unterwegs - inklusive sechsmaligem Wechsel der Pferde. "Komfortabel war das nicht", sagt Bätje. Erst das Aufkommen der "Bäderdampfer", die von Bremen und Hamburg aus die Inseln ansteuerten, und der Ausbau der Eisenbahn vereinfachten die Sache.

Deutschland Promenade Heiligendamm
Badekleider für FrauenBild: picture alliance/akg

Strenge Baderegeln

Zunächst waren es vor allem Vermögende aus Bürgertum und Adel, die sich eine Seebäderkur leisten konnten. War die Gesellschaft damals prüde, war es das Strandleben allemal. Badekarren dienten als Umkleidekabinen. Gebadet wurde nur getrennt nach Geschlechtern, der nasse Stoff durfte nicht ankleben. Die Frauen trugen bei ihrem Gang ins Meer sackartige Flanellkleider, darunter Pluderhosen, die sich auf geradezu lebensgefährliche Weise mit Wasser vollsaugten.

Schwimmen konnte ohnehin so gut wie niemand. "Die meisten blieben nicht einmal zwei Minuten im Wasser, manche nur Sekunden. Es galt die Regel der Engländer: "Three dips and out" - also: "Dreimal Eintauchen und raus", erläutert Archivar Bätje, dessen Bade-Museum in einem stillgelegten Wellen-Schwimmbad untergebracht ist. Es liegt auf Norderney nur ein paar Meter vom Weststrand entfernt, an dem sich jetzt im Sommer die Feriengäste in Strandkörben und auf Liegedecken tummeln, umweht von salziger Meeresluft.

Anfang des 20. Jahrhunderts kam das Sonnenbaden in Mode und in den USA wurden die ersten Badeanzüge produziert. "Ab 1919 entwickelte sich langsam die gegenwärtige Badekultur", blickt Bätje zurück. Gleichzeitig änderten sich Schönheitsideale wie etwa der Blick auf die Bräune, die lange als Kennzeichen hart arbeitender Bauern und Proletarier gegolten hatte. Bätje: "Da achteten die Leute noch auf vornehme Blässe."

Geschichte des Badeanzugs Seebad Ostsee
Ab 1920 setzte sich der Badeanzug durchBild: picture-alliance/ZB/S. Sauer

Wasser, Wellen, Wellness

Heute überwiegen die Sonnenanbeter, der Bädertourismus boomt. Allein an der Nordsee wurden im vergangenen Jahr rund 12,9 Millionen Übernachtungen gezählt. Wobei die Gesundheit wieder ein zentrales Thema ist: Meeresluft, Meerwasser, Meersalz, dazu Algen und Schlick, die für kosmetische und therapeutische Thalasso-Anwendungen eingesetzt werden. "Das ist wie in den Anfängen", meint Bätje. Auch mehr als 200 Jahre später mögen die Urlauber die frische Seeluft und das gesunde Reizklima.

Dieter Sell (epd)