Eine Job-Maschine für Flüchtlinge
11. Februar 2018Viele der Gemüsesorten, die Masood Sutanzadeh jetzt täglich in die Regale räumt, kannte er vor seiner Flucht nach Deutschland noch nicht so genau. Inzwischen arbeitet der 24-jährige Afghane bei einem Bio-Supermarkt im Großraum München und ganz nebenbei verbessert er im Gespräch mit den Kunden sein Deutsch. "Mein Ziel ist ganz einfach", sagt der Einzelhandelshelfer. "Ich möchte wie ein ganz normaler Mensch leben, arbeiten und wohnen. Wichtig ist mir nur, dass es Sicherheit gibt".
Wie "soziale Zeitarbeit" funktioniert
Im krisen-und kriegsgebeutelten Afghanistan arbeitete Masood als Elektriker für die US-Armee, was ihn zur Zielscheibe der Taliban machte. 2015 entschloss er sich zur Flucht, kam über den Iran, die Türkei und den Balkan nach Deutschland. Bereits in den ersten Tagen meldet er sich für den Deutschkurs an. Ein gutes Jahr später beginnt er, sich auf Arbeitsstellen zu bewerben. Schnell wird klar, wie schwer es für ihn ist, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. "Ab und zu kamen Absagen, meistens kamen keine Antworten", erinnert er sich. Dass es mit einem Job dennoch geklappt hat, verdankt er einer Kette von glücklichen Zufällen und der hartnäckigen Arbeit eines Münchner Start-Ups. "Social-Bee hat mir eine Chance gegeben", sagt Masood voller Anerkennung für die Arbeit des Gründer-Duos Maximilian Felsner und Zarah Bruhn. Beide konnten es nicht mehr mit ansehen, dass es mit der Jobsuche von hunderttausenden Geflüchteten so schleppend vorangeht. Sie wollten endlich Erfolgsmeldungen hören, und entwickelten die Idee der "sozialen Zeitarbeitsfirma" als Brücke in den Arbeitsmarkt.
"Wir wirken wie ein Puffer"
Das Prinzip von Social-Bee ist simpel, erklärt Felsner: "Wir stellen die Geflüchteten bei uns an, um sie dann später Partnerunternehmen zu überlassen." Das werde begleitet durch eine sozialpädagogische Betreuung, Sprachförderung und Weiterbildung für die Angestellten. Zudem erhalten sie vom Start-Up ihr reguläres Gehalt, was die Gründer mittelfristig durch die Überlassungsgebühren finanzieren wollen, und was derzeit noch von Stiftungen vorgestreckt wird. Das Ziel sei, sagt Felsner, dass die Social-Bee-Mitarbeiter spätestens nach 18 Monaten fit genug sind, um beim Partnerunternehmen direkt eine Anstellung zu finden. Der große Vorteil: "Wir können für die Unternehmen vorher die ganzen bürokratischen Hürden nehmen und bündeln die Asylfragen, die häufig eben auftauchen." Die Start-Up-Crew habe den Prozess schon mehrfach durchlaufen und könne so den Unternehmen den Rücken freihalten. "Viele sind durch diese Bürokratie abgeschreckt, und wissen oft nicht so recht, wie sie an geflüchtete Mitarbeiter kommen sollen."
Social-Bee will diese Lücke schließen und eine Dienstleistung mit "sozialem Mehrwert" anbieten. Einige Unternehmen ließen sich davon bereits überzeugen. Zu den Kunden gehören namhafte Firmen wie Aldi, Würth, Zeppelin oder Sys Microtech, aber auch Mittelständler und Kleinunternehmen aus dem Großraum München. Besonders wichtig sei dabei das "Erwartungsmanagement", erklärt Felsner. Häufig glaubten die Unternehmen, dass mit dem Geflüchteten jemand in den Betrieb komme, der extrem dankbar sein müsse, und möglichst schnell funktionieren müsse. Komme es anders, könne es da schnell zu zwischenmenschlichen Konflikten kommen. "Wir wirken da eben als Puffer, bereiten auf der einen Seite die geflüchteten Mitarbeiter auf diese Situationen vor, und helfen auf der anderen Seite den Unternehmen, die Mitarbeiter richtig zu verstehen."
100 Geflüchtete sollen dieses Jahr einen Job bekommen
Als gemeinnütziges Unternehmen fließt der Gewinn bei Social-Bee zurück ins Unternehmen - und damit zurück in die Betreuung und Förderung der Geflüchteten. Über 50 Personen hatte das Start-Up bislang unter Vertrag. Über ein Dutzend von ihnen konnte bereits erfolgreich in eine Festanstellung vermittelt werden. "Bis Ende des Jahres wollen wir 100 Mitarbeiter haben, auch in weiteren Städten", hofft der Gründer. Läuft alles gut, sollen bis zu 1000 Geflüchtete in den kommenden drei Jahren vom Mitarbeiter zum Ex-Mitarbeiter von Social-Bee werden. Bislang geht das Konzept auf, sagt Felsner. "Über 90 Prozent der Mitarbeiter, die bei uns mal gearbeitet haben, arbeiten jetzt in Festanstellungen oder haben eine Ausbildung begonnen oder haben ein Studium begonnen". Masood steht in jedem Fall bereit, um anderen Geflüchteten von dem besonderen Start-Up zu berichten. "Ich fühle mich hier wie in einer richtigen Familie", sagt er.
Kampagne: Soft Skills durch Fluchterfahrungen
Damit es diese Szenen auch im ganzen Land gibt, haben sich die Gründer von Social-Bee etwas ganz besonders überlegt: Eine Aufklärungskampagne soll Unternehmen die Scheu vor Mitarbeitern wie Masood nehmen. Die Botschaft der Kampagne: Wer eine gefährliche Flucht hinter sich gebracht hat, der schafft auch den Einstieg ins Berufsleben - und zwar mit links. "Ich habe mit 85 Menschen in einem kleinen Schlauchboot überlebt", sagt Zeray G. aus Eritrea auf einem der Plakatmotive. Und er folgert daraus. "Ich bin teamfähig". Diese gezielte Provokation sagt den Vorurteilen in vielen Personalabteilungen dieser Republik den Kampf an, und sendet vor allem ein Signal: Mit Fluchterfahrung ist man kein schwächerer Kandidat auf dem Arbeitsmarkt. "Das Erlebte kann sich in eine Stärke verwandeln", sagt Felsner.
Masood vom Bio-Supermarkt ist ein Beispiel dafür. Im Arbeitsleben und beim Ankommen in der Gesellschaft hat er bereits viele Hürden genommen. Eine Klippe bleibt ihm allerdings noch, und die ist rechtlicher Natur. Denn seit einigen Monaten droht ihm die Abschiebung, nachdem sein Asylantrag negativ beschieden wurde. "Ohne die Leute von Social-Bee könnte ich nachts überhaupt nicht mehr schlafen", erzählt Masood. Seine Arbeit im Bio-Supermarkt gibt ihm die Kraft, jetzt nicht zu resignieren. Was auch immer passiere, sagt der zum Schluss, gelohnt habe es sich in Deutschland auf jeden Fall.