Nordkorea plant große Waffenschau
1. Oktober 2020Am 10. Oktober werden wieder einmal tausende Soldaten im Gleichschritt durch Pjöngjang marschieren, es werden Panzer rollen, Raketen werden durch die Straßen der Hauptstadt gefahren. Vorbei an der Ehrentribüne auf dem zentralen Kim-Il-Sung-Platz, wo Diktator Kim Jong Un sitzen wird, frenetisch bejubelt von den Massen, die die Strecke säumen: Nordkorea feiert an diesem Tag ein wichtiges Jubiläum. Vor 75 Jahren wurde unter dem kommunistischen Staatsgründer Kim Il Sung - dem Großvater Kim Jong Uns - die herrschende nordkoreanische Arbeiterpartei gegründet. Nach nordkoreanischem Verständnis ein würdiger Anlass, um militärische Stärke zu demonstrieren und möglicherweise sogar eine neue Waffe vorzuführen.
Dass etwas Großes in der Luft liegt, ist für die Außenwelt vor allem von ganz oben zu sehen. Satellitenaufnahmen aus dem Frühjahr und Sommer dokumentieren umfangreiche Bauarbeiten sowohl im Zentrum der Hauptstadt als auch etwa zehn Kilometer weiter östlich, auf dem Mirim Trainingsgelände, das als Übungsplatz für militärische Aufmärsche genutzt wird. Dort wurde sogar der Kim-Il-Sung-Platz nachgebaut, um unter möglichst realistischen Bedingungen für Paraden wie die am 10. Oktober proben zu können.
"Den Übungsplatz und die Nachbildung des Kim-Il-Sung-Platzes gibt es schon seit langem", erklärt Jenny Town, die stellvertretende Direktorin des auf Nordkorea spezialisierten US-Think Tanks 38 North. "Alle großen Militärparaden Nordkoreas erfordern Übung, um einen reibungslosen Ablauf und eine straffe Einhaltung des Zeitplans zu gewährleisten."
Die Proben für den 10. Oktober - so zeigen Luftaufnahmen - begannen offenbar im September. Auf Satellitenbildern sind hunderte Fahrzeuge und auch in Formation aufgestellte Truppen zu erkennen.
Aus dem Orbit zu sehen: Bauarbeiten in Mirim
Schon Monate davor bemerkten auf Nordkorea spezialisierte Think Tanks vermehrte Aktivitäten auf dem Gelände - neben 38 North auch das US-amerikanische CSIS (Center for Strategic and International Studies) sowie das Open Nuclear Network in Wien. Aufnahmen aus dem Frühjahr zeigen: Auf dem Trainingsgelände entstanden innerhalb weniger Wochen zahlreiche Gebäude. Dort seien vor kurzem noch unbebaute Felder gewesen, sagt Jenny Town. Bei den Gebäuden soll es sich um Wohnunterkünfte für Soldaten handeln, daneben aber auch um Garagen und Lagerhallen für Lastwagen, Panzer und andere Militärfahrzeuge.
Das sei neu, erklärt Jaewoo Shin, der beim Open Nuclear Network Satellitenbilder analysiert: "In der Vergangenheit hat Nordkorea größere Militärfahrzeuge in provisorischen Unterständen und Zelten gelagert." Das aber hatte für Nordkorea einen entscheidenden Nachteil: Aus Satellitenbildern ließen sich Rückschlüsse darauf ziehen, wieviel militärisches Gerät dort vorgehalten wurde.
Die neu errichteten Garagen und Unterstände sind nach Ansicht von Beobachtern groß genug für die Lagerung mobiler Rampen, von denen Raketen abgeschossen werden könnten. Auch die etwa 22 Meter lange Interkontinentalrakete Hwasong-15, die Nordkorea im November 2017 erfolgreich abfeuerte, hätte genug Platz. Mit einer potenziellen Reichweite zwischen 8.500 und 13.000 Kilometern könnte sie Experten zufolge das US-amerikanische Festland erreichen.
Ende September sichteten die Experten auf Satellitenbildern zudem ein Objekt auf dem Gelände, bei dem es sich ihrer Einschätzung nach möglicherweise um eine Rakete auf einem Transportfahrzeug handeln könnte.
Nordkorea-Experte Shin sieht Grund zu der Annahme, dass das Regime bei der Parade am 10. Oktober eine Überraschung planen könnte. Das Land stecke aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie und der extremen Wetterbedingungen derzeit in einer schwierigen Phase, es wurde in diesem Sommer von einer ganzen Reihe von Taifunen gebeutelt. Gerade in dieser Situation "könnte Nordkorea die Notwendigkeit einer verstärkten Machtdemonstration nach innen und außen sehen".
Militärisches Schaulaufen hat Tradition
Schon seit der Staatsgründung 1948 spielen Paraden in Nordkorea eine große Rolle. Traditionell begeht das ostasiatische Land wichtige Jahrestage mit großen Militärschauen, beispielsweise den Unabhängigkeitstag, den Gründungstag der Armee und den Geburtstag von Staatsgründer Kim Il Sung. Das Militär nimmt im Reich der Kims eine zentrale und mächtige Position ein. Rund 1,2 Millionen aktive Soldaten zählt die Armee des Landes nach einer Schätzung des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA - bei einer Gesamtbevölkerung von gut 25 Millionen Einwohnern.
Paraden seien ein strategisch geschickter Weg Nordkoreas, Stärke zu zeigen - trotz der umfangreichen Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat gegen Pjöngjang verhängt habe, sagt die ehemalige CIA-Mitarbeiterin Jung H. Pak. Sie arbeitet heute für die "Brookings Institution", einen renommierten Think Tank in Washington. Im April veröffentlichte sie unter dem Titel "Becoming Kim Jong Un" ein vielbeachtetes Buch über den Werdegang und die politischen Ambitionen des nordkoreanischen Diktators. Mit Hilfe von Paraden könne man "Stärke zeigen, ohne Raketen zu testen und dafür möglicherweise bestraft zu werden", sagte Pak der DW.
So präsentierte Kim Jong Un anlässlich des 105. Geburtstags seines Großvaters Kim Il Sung im April 2017 gleich drei neue Mittelstreckenraketen - darunter die sogenannte Pugkuksong-1, mit der Nordkorea seinen mutmaßlich ersten erfolgreichen Raketenstart von einem U-Boot aus durchgeführt hatte. Nordkorea verfügt über ein umfangreiches Arsenal an Kurz-, Mittel- und Langstreckenraketen, von denen einige mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können.
Kim setzt auf Nuklearwaffen
Wird es bei der Parade am 10. Oktober wieder zu einer Premiere kommen? Wird die Welt womöglich "Zeuge einer neuen strategischen Waffe", von der Kim Ende Dezember 2019 erstmals in einer Rede vor dem Politbüro der Arbeiterpartei sprach? Bislang blieb es bei der nebulösen Andeutung. "Wir warten immer noch darauf", sagt Jaewoo Shin vom Open Nuclear Network. Zwar testete Nordkorea zwischen Anfang und Ende März insgesamt neun Kurzstreckenraketen. Doch weitere Tests folgten nicht.
Trotzdem rüstet das abgeschottete Land Beobachtern zufolge stetig weiter auf. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA kritisiert das Nuklearprogramm Nordkoreas scharf. Dieses sei "eine klare Verletzung relevanter Resolutionen des UN-Sicherheitsrats", beklagte IAEA-Chef Rafael Grossi erst am 20. September. Den Inspektoren der Behörde verwehrt Nordkorea seit 2009 den Zutritt zu seinen Atomanlagen.
Kim Jong Un selbst betonte in einer Rede vor Veteranen des Korea-Krieges (1950-53) Ende Juli dieses Jahres noch einmal die atomare Schlagkraft seines Landes. "Wir sind jetzt in der Lage, uns gegen jede militärische Bedrohung durch feindliche Kräfte zu verteidigen. Dank unserer zuverlässigen und wirksamen nuklearen Abschreckung sind die Sicherheit und Zukunft unseres Landes auf ewig garantiert."
Hinter jeder von Kims Aussagen stecke Kalkül, meint die ehemalige CIA-Mitarbeiterin Jung Pak. "Kim möchte, dass unsere Fantasie mit uns durchgeht." Dass der Ankündigung irgendwann Taten folgen werden, davon ist sie überzeugt, es entspreche der üblichen Vorgehensweise Nordkoreas. Welche neue Qualität könnte die angekündigte "strategische Waffe" haben? "Es könnte sich um einen Durchbruch beim Einsatz von Festbrennstoffen handeln", sagt Pak.
Raketen, die mit festem Brennstoff gefüllt sind, haben einen entscheidenden Vorteil: Sie lassen sich in betanktem Zustand transportieren. Und sind damit mobiler und schneller einsetzbar als Raketen, die vor dem Abschuss erst noch mit flüssigem Treibstoff betankt werden müssen.
Pak hält es auch für denkbar, dass es sich bei der "strategischen Waffe" um eine ballistische Rakete handeln könnte, die von einem U-Boot aus abgeschossen werden kann. Auf See abgefeuerte Raketen sind in der Lage, die gegnerische Raketenabwehr leichter zu überwinden.
Welche Strategie verfolgt Nordkorea?
Das U-Boot, von dem aus das geschehen könnte, wird auf der Sinpo-Südwerft an der nordkoreanischen Ostküste vermutet. Seit 2017 arbeitet Nordkorea dort an einem neuen U-Boot der sogenannten Sinpo-C-Klasse. Auf Satellitenbildern ist im geschützten Hafenbecken immer wieder ein abgedecktes Objekt zu sehen, das Experten für das neue U-Boot halten und genau beobachten.
Dies sei ein absolutes Prestige-Projekt, erklärt Jenny Town, die stellvertretende Direktorin des US-Think Tanks 38 North gegenüber der DW. "Das U-Boot der Sinpo-Klasse ist das einzige in Nordkorea, das für den Abschuss von ballistischen Raketen ausgerüstet ist. Es kann jeweils ein bis zwei Raketen auf einmal transportieren." Im Juli 2019 gab es in Sinpo hohen Besuch: Kim Jong Un höchstpersönlich war gekommen, um das im Bau befindliche U-Boot zu inspizieren.
Seitdem halten sich hartnäckig Spekulationen darüber, wie weit Nordkorea mit dem Bau des U-Bootes tatsächlich ist. Dass ein U-Boot bei einer Militärparade erstmals öffentlich präsentiert wird, hält Jenny Town von 38 North insgesamt für "höchst unwahrscheinlich". Denkbar sei aber, dass es um den 10. Oktober herum eine feierliche Einweihung des neuen U-Bootes in Anwesenheit von Kim Jong Un geben könnte. "Aber das hängt natürlich maßgeblich davon ab, wie weit die Konstruktion des Bootes fortgeschritten ist - und diesbezüglich können wir derzeit keine Angaben machen."
Zuletzt wurden auf Satellitenbildern um die Sinpo-Südwerft herum verstärkt Aktivitäten beobachtet, was zunächst den Verdacht aufkommen ließ, es könnte sich um Vorbereitungen für einen Raketentest handeln. Doch diese Vermutung scheint sich nicht zu bestätigen. Sowohl 38 North als auch das Open Nuclear Network gehen davon aus, dass tatsächlich ein Taifun Grund für die Bewegungen auf der Werft war. "Das bedeutet aber nicht, dass das Land nicht in der Lage wäre, einen U-Boot-gestützten Raketentest anlässlich der Parade am 10. Oktober durchzuführen", sagt Jaewoo Shin.
Nordkorea und die USA: Angespanntes Verhältnis
Auch das abgekühlte Verhältnis zu den USA könnte für Nordkorea ein Grund sein, an einem wichtigen Jahrestag Stärke zu demonstrieren. Im September 2018 fand die bislang letzte große Parade in Pjöngjang statt. Nordkorea feierte damals den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung - mit Panzern, Kampfflugzeugen und Raketenwerfern. Ballistische Raketen wurden bei dieser Parade nicht gezeigt. Beobachter werteten das damals als Signal: Das Jubiläum fiel in die Phase der bilateralen Annäherung zwischen Pjöngjang und Washington, nur wenige Wochen zuvor - im Juni - war es in Singapur zum historischen ersten Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Kim Jong Un gekommen.
Seit dem gescheiterten zweiten Gipfel im vietnamesischen Hanoi im Februar 2019 haben sich die Beziehungen deutlich verschlechtert. Zwar deutete US-Außenminister Mike Pompeo in diesem Sommer weitere Gesprächsbereitschaft von Seiten der USA an: Man sei hoffnungsvoll, den Dialog wieder aufnehmen zu können. Die Antwort aus Nordkorea allerdings fiel eindeutig aus. In einer Stellungnahme gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA gab Kim Yo Jong, die einflussreiche Schwester des nordkoreanischen Diktators, an, sie schätze die Chancen auf einen weiteren Gipfel in diesem Jahr "persönlich als unwahrscheinlich" ein. Nordkorea hätte davon "keinen Nutzen", anders als die USA.
Eine klare Botschaft. Die nächste könnte folgen - in wenigen Tagen bei der Parade am 10. Oktober.