Chinesische Porträtmalerei in Berlin
12. Oktober 2017Deutsche Welle: Eine Museumsausstellung zu machen, heißt Geschichten zu erzählen, haben Sie einmal gesagt. Welche Geschichte wird mit der chinesischen Porträtmalerei erzählt?
Klaas Ruitenbeek: Mich hat immer fasziniert, dass in China die Hälfte der entstandenen Malerei traditionell nicht als Kunst gesehen wurde. Sie wurde nicht ausgestellt, nicht gesammelt, sie diente nur der eigenen Familie. Es waren die Porträts der Eltern, Großeltern, der Ahnen, für die jedes Jahr an Feiertagen Opfer dargebracht wurden. Und daher ist es die Geschichte der Leute, vor allem der gewöhnlichen Leute, die hier erzählt wird. Wir zeigen die ganze Gesellschaft, wirkliche Porträts, nach dem Leben gemalt. Die Gesichter von Menschen aus Dörfern, die dort vor über 600 Jahren gelebt haben. Natürlich haben wir auch den Bereich der kaiserlichen Porträts und Bilder, die Literaten, Künstler und berühmte Frauen zeigen.
Als Kunst galten - anders als in Europa - in China vor allem Landschaften. Die Porträtmalerei stellt ja das Individuum in den Mittelpunkt. Passt das eventuell nicht so zur fernöstlichen Kultur und Philosophie, wo das Individuum nicht so eine zentrale Rolle spielt?
Nein, das ist ein Irrtum. Die Sehnsucht, sich individuell als extravaganter Mensch oder Künstler zu inszenieren, gab und gibt es in Ostasien genauso wie bei uns. Auch das wollen wir hier als Geschichte erzählen.
Wer waren denn die Auftraggeber? Und was gab den Anstoß dazu, dass sich nicht nur Kaiser und Berühmtheiten porträtieren ließen sondern auch einfache Menschen?
Es waren der Sohn oder die Tochter, die die Großmutter malen lassen wollten, weil sie schon sehr alt war und sie vielleicht nicht mehr lange leben würde. In China ist es wichtig, ein Porträt der Eltern und Großeltern zu haben, denn die Familie gehört mehr noch als bei uns zur Identität. Die Verstorbenen sind als Teil der Familie immer anwesend, in Form von Altartischen, auf denen die Ahnentafeln mit Namen stehen. An Feiertagen werden dort Speisen geopfert und die Ahnenbilder aus den Kisten geholt und aufgehängt. Der Ahnenkult ist das Substrat der chinesischen Religion. Darum sind Ahnenporträts so wesentlich. Die zweite wichtige Kategorie, die wir in der Ausstellung zeigen, sind informelle Literatenporträts, wo sich hohe Beamte, Literaten, Künstler selbst malten oder malen ließen - im Gegensatz zum Ahnenporträt meist in einer Umgebung, in der sie sich inszenierten.
Haben die Maler Namen, und gibt es einen Kult um sie wie in Europa? Oder standen sie nur im jeweiligen Dienst des Porträtierten? Unter vielen Bildern liest man ja: Unbekannter Maler.
Jeder Chinese hatte einen Namen, jeder Bettler, jedes Waisenkind, jeder Maler. Die Namen waren natürlich bekannt in der Stadt. Man ging zu Maler Liu, um ihn zu bitten, den Großvater Wang zu malen. Er kam nach Hause, machte eine Skizze, und in seiner Werkstatt wurde das dann zum formalen Porträt mit schönem Gewand ausgearbeitet. Die Namen sind verloren gegangen, aber damals waren alle Namen bekannt. Es gibt weder in China noch Europa anonyme Porträts, der Unterschied zur europäischen Malerei war aber: Die Bilder, vor allem Ahnenbilder, wurden nicht signiert. Nur manchmal ist der Name des Gemalten auf einem Etikett an der Rückseite vermerkt.
Mit den Sammlungen des Palastmuseums in Peking und des Royal Ontario Museums in Toronto umfasst die Schau einen Zeitraum von mehr als 500 Jahren. Anfangs haben die Porträtierten ziemlich kleine, flache Gesichter. Im Laufe der Zeit aber werden die Gesichter plastischer. Machen sich mehr und mehr europäische Einflüsse bemerkbar?
Ja, chinesische Porträts von Literaten, Künstlern und der gebildeten Oberschicht zeigen, anders als bei uns, meist die ganze Person mit eher kleinem Gesicht. Sie werden im Garten oder vor einem Hintergrund inszeniert, der umso großflächiger ist. Das klassische europäische Gemäldeporträt - wir zeigen ja zum Vergleich etwa auch einen van Dyck - ist dagegen ein Brustbild, das Gesicht ist fast lebensgroß und es gibt einen ruhigen Hintergrund. Doch jede Kultur ist immer im Austausch. Schon im zweiten und dritten Jahrhundert gab es aus Indien erste Einflüsse, die Gesichter durch dunkel-hell Kontraste lebendiger herauszubilden. Um 1600 kamen erneut Missionare, Jesuitenpriester hauptsächlich, die Bilder mitbrachten, um die Chinesen und die Oberschicht zu beeindrucken. Die Chinesen fanden aber eine Nase, die hervorsticht, gar nicht schön. Trotzdem haben sie das in abgeschwächter Form übernommen.
Sie erwähnten gerade, dass ein beachtlicher Teil der rund 100 Werke aus dem Palastmuseum in Peking stammt. Wie lief die Zusammenarbeit mit Peking?
Ich kann nicht anders, als zu sagen: Es war großartig. Natürlich gab es schon lange persönliche und wissenschaftliche Kontakte mit Kuratoren im Palastmuseum. Als ich vor etwa vier Jahren das Palastmuseum besuchte und meine Idee präsentierte, hieß es zuerst: Wir machen selbst eine Porträtausstellung, viele Werke können leider nicht nach Berlin kommen. Doch dann haben sie die Ausstellung abgesagt - aus welchem Grund auch immer - und gaben mir freie Hand. Nicht nur sagten sie uns fast alle Meisterwerke, die wir wollten, zu. Sie gaben mir auch vollständige Freiheit, die Ausstellung zu gestalten. Bis zur letzten Minute konnte ich Änderungen vornehmen, dieses Vertrauen ist nicht selbstverständlich. Auch auf Leihgebühren wurde verzichtet, denn wir haben vereinbart: In etwa drei Jahren geht eine große Ausstellung der Staatlichen Museen dafür ins Palastmuseum.
Klaas Ruitenbeek ist seit 2010 Direktor des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin. Vier Jahre arbeitete er an der Ausstellung "Gesichter Chinas. Porträtmalerei der Ming- und Qing-Dynastie (1368-1912)", die in Zusammenarbeit mit dem Palastmuseum in Peking und dem Royal Ontario Museum in Toronto realisiert wurde. Es ist die erste Ausstellung in Europa, die sich explizit mit der chinesischen Porträtmalerei befasst, die meisten der über 100 Werke sind erstmals in Europa zu sehen. Die Ausstellung läuft noch bis zum 7. Januar 2018 im Berliner Kulturforum.
Das Gespräch führte Tina Hüttl.