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Vom Wald zum Welterbe

Christian Hoffmann13. September 2013

Der Hainich in Thüringen ist der größte ungenutzte deutsche Laubwald. Seit 2011 gehört er zum UNESCO-Welterbe "Alte Buchenwälder Deutschlands". Bis dahin war es ein langer Weg.

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Der Hainich in Thüringen (Foto: DW/C. Hoffmann)
Der Naturpfad Thiemsburg war der erste Pfad im 1997 gegründeten NationalparkBild: DW/C. Hoffmann

Er geht kurz in die Hocke, dann springt Manfred Großmann in die Luft und schnappt nach einem Ast. Er zieht ihn herunter und zeigt auf ein Blatt: "Eine Bergulme. Sie hat behaarte Blätter." Seit 2007 ist Großmann Leiter des Nationalparks. Auf dem vier Kilometer langen Naturpfad Thiemsburg kennt er jeden Baum. Er kann nicht nur die 30 verschiedenen Arten unterscheiden, er weiß auch genau, warum ein Baum gerade ein Stück gewachsen oder ein anderer umgefallen ist.

Als Großmann das erste Mal hier war, sah der Wald noch anders aus. Das war 1993 und die Bundeswehr nutzte große Teile als Truppenübungsplatz. Manfred Großmann bemerkte sofort den alten Baumbestand und war begeistert. Vier Jahre später wurde der Wald zum Nationalpark erklärt. Der Hainich ist heute das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet Deutschlands.

Der Kampf ums Licht

"Die Buche macht's!" Großmann zeigt auf den glatten, silbernen Stamm einer etwa 40 Meter hohen Rotbuche. "Indem sie die anderen Bäume überragt, nimmt sie ihnen mit ihrer Krone das Licht.", sagt er. Die Buche wächst ihrer Konkurrenz wörtlich über den Kopf. Außerdem können Buchensamen jahrelang im Waldboden überdauern. Sie keimen und wachsen erst dann, wenn wieder Sonnenstrahlen den Waldboden erreichen - weil Sturm, Schädlinge oder Pilze die anderen Bäume zu Fall gebracht haben.

Manfred Großmann, Leiter des Nationalparks Hainich (Foto: DW/C. Hoffmann)
Manfred Großmann, Leiter des Nationalparks HainichBild: DW/C. Hoffmann

Hätte der Mensch nicht eingegriffen, wären heute weite Teile Mitteleuropas Buchenmischwälder. Doch bereits im Mittelalter setzte man verstärkt auf die Eiche und sorgte dafür, dass sie sich ausbreiten konnte. Ihr Holz ist robust und ihre Früchte eignen sich als Viehfutter. Bis heute gilt die Eiche als typisch deutscher Baum.

"Die Buche hat mich nach Paris gebracht!"

Wälder wie der Hainich, wo sich die Buche dank ihrer besonderen Eigenschaften durchsetzen konnte, sind heute selten und schützenswert. Das sah letztlich auch die UNESCO so. Manfred Großmann kann sich noch gut an den Moment der Entscheidung im Juni 2011 erinnern. Er war selbst anwesend, als das Welterbe-Komitee in Paris verkündete: "It is adopted!" ("Der Antrag ist angenommen!"). Diese Worte markieren die Krönung seiner beruflichen Laufbahn, bis heute ist er der Buche dafür dankbar. "Sie hat mich nach Paris gebracht!", sagt er und lächelt.

Eine Buche im Hainich in Thüringen (Foto: DW/C. Hoffmann)
Urwaldartig schwingen sich die alten Buchen gen HimmelBild: DW/C. Hoffmann

Dabei war es keineswegs sicher, dass der Antrag aus Deutschland Erfolg haben würde. Nach langer Diskussion war die Entscheidung auf den nächsten Tag verschoben worden, dann ging alles doch ganz schnell. Die Erleichterung war riesig, schließlich hatte die Bewerbung eine Menge Arbeit gemacht. "Die Galapagosinseln haben zwei Seiten für ihren Antrag benötigt und konnten sofort überzeugen, wir brauchten 200 Seiten und es war knapp", sagt Großmann.

Noch vor Napoleon eroberte ein Baum den Kontinent

Das könnte daran gelegen haben, dass es die langwierige Entstehungsgeschichte der Buchenwälder war, in der die UNESCO-Mitglieder den "herausragenden universellen Wert" sahen. Diese abzubilden, war für die deutschen Bewerber eine anspruchsvolle Aufgabe. So wuchsen nach der Eiszeit in Mitteleuropa zunächst Weiden, Pappeln und Kiefern. Erst nach und nach setzte sich die Buche durch. Dass sie es schaffte, über Jahrtausende einen ganzen Kontinent zu erobern und riesige Steppen in Wälder zu verwandeln, ist weltweit einzigartig.

Ein morscher Baum im Hainich. Der Hainich in Thüringen ist das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet Deutschlands (Foto: DW/C. Hoffmann)
Der Hainich ist die größte nutzungsfreie Laubwaldfläche DeutschlandsBild: DW/C. Hoffmann

Bei der Entscheidung kam den deutschen Bewerbern zugute, dass 2007 bereits die Buchenurwälder der Karpaten Weltnaturerbestatus erlangt hatten. Dort gibt es ungenutzte Urwälder, die 10.000 Jahre alt sind. Die Kollegen in der Ukraine und der Slowakei stimmten für eine Erweiterung ihrer Welterbestätte. Seit 2011 trägt sie den Titel "Buchenurwälder der Karpaten und Alte Buchenwälder Deutschlands".

Manfred Großmann leitete die Gruppe, die den deutschen Antrag koordinierte. "Die Herausforderung lag für uns darin, die Waldstücke zu finden, die die einst flächendeckende Verbreitung der Buchenwälder in ihrer ganzen Bandbreite am besten zeigen." Neben dem Hainich wurden die Forscher im Nationalpark Jasmund und im Müritz-Nationalpark (beide in Mecklenburg-Vorpommern), im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin (Brandenburg) und im Kellerwald (Hessen) fündig. Auch sie sind seit 2011 Teil des Welterbes.

Werden und Vergehen

Seine Begeisterung für den Hainich hat sich Großmann auch nach Jahren der Leitungsarbeit bewahrt. Egal wie viele Unterlagen sich auf seinem Schreibtisch stapeln, mindestens einmal in der Woche gönnt er sich einen Waldspaziergang. "Damit ich weiß, warum ich das alles mache", sagt er. Der Wald belebt ihn. Er zeigt auf ein ausgetrocknetes Bachbett, das im Moment nur noch ein Steingraben ist: "Im Frühling hören Sie hier das Wasser rauschen und der Boden ist dann bedeckt von weißblühenden Märzenbechern."

Baumkronenpfad im Nationalpark Hainich, Thüringen (Foto: DW/C. Hoffmann)
Über den Baumkronen: Der Baumwipfelpfad im HainichBild: Fotolia/Henry Czauderna

"Werden und Vergehen" ist ein Slogan des Nationalparks, ganz nach dem Gesetz der Natur. Am Wegesrand steht ein abgebrochener Buchenstamm. Daran hängt der Zunderschwamm, ein Pilz. Befällt er einen Baum, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sein Stützgewebe zersetzt - der Baum zerbricht. Das tote Holz ist Lebensraum für Käfer und Pilze. Es wird wieder zu Erde und auf ihm wachsen neue Bäume.

Diese Naturbelassenheit schätzen die Besucher des Nationalparks. Jährlich kommen mehr als 300.000 Menschen in den Hainich. Viele nutzen den Baumwipfelpfad, der in 25 Meter Höhe durch die Baumkronen führt und seltene Einblicke in den Wald bietet. Auch Bundespräsident Horst Köhler war während seiner Amtszeit hier. Für Großmann sind es Zeichen der Wertschätzung für die Natur und seine Arbeit - fast so schön wie der UNESCO-Welterbetitel.