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"Ein Teilerfolg der Vernunft" im Irak

12. November 2010

Acht Monate nach der Parlamentswahl im Irak haben sich die führenden Parteien endlich auf eine neue Regierung geeinigt. Die deutschen und europäischen Zeitungen sehen diese Einigung jedoch mit gemischten Gefühlen.

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Internationale Zeitungen (Foto:dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Süddeutsche Zeitung etwa kann der erfolgreichen Regierungsbildung im Irak nicht nur Positives abgewinnen:

"Die Botschaft, dass sich die irakischen Parteien acht Monate nach der letzten Parlamentswahl endlich auf die Bildung eines neuen Kabinetts geeinigt haben, ist erfreulich, gleichzeitig ernüchtert sie aber auch. Erfreulich, weil sich die neue Führung des Landes nun ihren drängenden Aufgaben widmen kann: Sicherheit vor dem Terror, Aufbau einer Infrastruktur, Ausbau der darniederliegenden Ölindustrie als wichtigste Einnahmequelle des Landes. Ernüchternd, weil die Machtverteilung in der neuen "Regierung der nationalen Einheit" genau dem Vorschlag folgt, der seit gut sechs Monaten vorliegt. Kurz: Man hätte das Ganze auch schneller haben können. Und wahrscheinlich mit weniger Terror-Toten."

Etwas mehr Zuversicht strahlt die Neue Osnabrücker Zeitung aus:

"Es ist ein Teilerfolg der Vernunft über Terror, Hass und Gewalt. Die politischen Eliten des zersplitterten Nachkriegs-Irak haben lange gebraucht, aber acht Monate nach der Wahl doch noch verstanden: In Bagdad gibt es zu einer Regierung der Einheit aus Kurden, Sunniten und Schiiten keine Alternative. Dieses Bündnis wird zwar kein einfaches, da die Machtinteressen auseinandergehen. Es hat jedoch Aussicht auf Erfolg. […] Es ist nicht auszuschließen, dass sich die demokratischen Elemente nach dem Sturz des Diktators Hussein verfestigen. Wichtig wird sein, dass die Regierung die Probleme der Bevölkerung angeht bei Arbeit, Bildung, Strom und im Krankenwesen. Maliki wird angesichts der Herausforderungen über sich hinauswachsen müssen."

Genau das aber traut die Frankfurter Rundschau dem alten und neuen Ministerpräsidenten eher nicht zu:

"Maliki versteht irakische Politik primär als Nullsummenspiel. Was er abgeben muss, nutzt seinem Gegner. Was er anderen abnimmt, kann er selbst einstreichen. Das politische Gespür für ein übergeordnetes Gemeinwohl ist seinem Wesen fremd, sagen viele, die ihn näher kennen. Er macht keine Kompromisse aus Überzeugung. Sein Metier ist der harte Machtpoker. Er denkt antagonistisch und gibt nur nach, wenn der Druck übermächtig wird. Keine gute Wahl für so ein wundes Land, das möglichst bald zusammenfinden muss."

Ähnlich sieht das auch die konservative Wiener Zeitung Die Presse:

"Amerika hat noch keinen Grund aufzuatmen. Nicht nur, weil unsicher ist, welches Ablaufdatum die neue irakische Regierung hat. Sondern auch deshalb, weil Nuri al-Maliki selbst als unsicherer Kantonist gilt. Dem Führer des Blocks der schiitischen religiösen Parteien wird eine zu große Nähe zum Iran nachgesagt - etwas, was den Strategen in Washington naturgemäß Kopfzerbrechen bereitet. Vor allem jetzt, da sie den vollständigen Abzug der US-Soldaten aus dem Zweistromland vorbereiten."

Die niederländische Zeitung de Volkskrant beleuchtet vor allem die interne Machtverteilung innerhalb der neuen irakischen Regierung:

"Es ist ein Kompromiss, der viel von einer "libanesischen Lösung" hat. Posten wurden gemäß der ethnischen und religiösen Verhältnisse verteilt. Der Schiit Maliki bleibt Premier. Die Präsidentschaft fällt wieder an den Kurden Talabani. Den Parlamentsvorsitz bekommt Allawis Block, der dafür wohl einen Sunniten nehmen wird. Allawi selbst wird einen neu zu errichtenden Staatsrat führen, der die Aufsicht über die Sicherheitsbehörden haben soll. Es ist wenig Fantasie nötig, um sich vorzustellen, dass diese Konstruktion in kurzer Zeit neue Risse bekommen wird. Aber eines muss man den Irakern lassen: Immer wenn man denkt, dass gleich alles auseinanderbricht, finden sie im letzten Moment ein Bindemittel."

Weitaus skeptischer beurteilt der Tages-Anzeiger aus Zürich die Einigung im Irak:

"Der auf den ersten Blick ausgewogene Kompromiss birgt allerdings das Potenzial für die Fortsetzung der Grabenkämpfe. Allawi hat sich nur notgedrungen gefügt. Der Wahlsieger musste einsehen, dass ein knapper Stimmenvorsprung bei einer demokratischen Wahl im Irak nicht ausreicht, um ein Kabinett zu bilden. Maliki hingegen hat das Wahlergebnis erfolgreich ignoriert und sich stur am Premierposten festgekrallt. Allawi und seine Wähler werden sich zu Recht betrogen fühlen. Da hinter ihm vor allem die rebellischen Sunniten stehen, kann von wirklicher Versöhnung vorerst keine Rede sein. Im Gegenteil: Der schiitisch-sunnitische Machtkampf wurde nun in die Regierung hinein verlagert und damit möglicherweise institutionalisiert."

Vor diesem Hintergrund hofft die liberale Wiener Zeitung Der Standard auf die Kompromissfähigkeit der handelnden Hauptpersonen:

"Zuerst acht Monate nichts und dann das: Die beiden irakischen Erzrivalen Maliki und Allawi einigen sich nicht nur auf eine Regierung der Nationalen Einheit, sie sind dafür auch bereit, ein paar besonders dicke Frösche zu schlucken. Bestimmt werden einige Anhänger auf beiden Seiten von "Verrat" sprechen. Aber bei der sich seit Jahresbeginn ständig verschlechternden Sicherheitslage gibt es nur mehr den Weg nach vorne. […] Ob sich Maliki und Allawi gemeinsam aufschwingen können, eine Politik für den Irak zu machen, die über die eigenen Machtinteressen und die ihrer Sponsoren im Ausland hinausgeht? Nach acht Monaten Stillstand ist man über jeden Neuanfang froh."

Zusammengestellt von Thomas Latschan

Redaktion: Diana Hodali