Ein Sturm der Entrüstung bedrängt Bush
7. September 2005Eine "zeitnahe und eingehende" Untersuchung kündigten führende Vertreter des US-Senats angesichts der anhaltenden Kritik an den Fehlern Washingtons beim Katastrophenmanagement an. Der Präsident indessen lehnte eine unmittelbare Untersuchung ab. Denen, die das jetzt forderten, gehe es nur um Schuldzuweisungen, sagte George W. Bush am Dienstag (6.9.2005): "Wir haben Probleme zu lösen. Wir sind Problemlöser. Die Menschen werden noch reichlich Zeit haben herauszufinden, was richtig und was falsch gelaufen ist. Woran ich interessiert bin ist, beim Retten von Leben zu helfen."
"Bush braucht nur in den Spiegel zu schauen"
Dass Bush die Untersuchung zu Versäumnissen persönlich leiten will, stieß auf weitere Kritik. "Er braucht nur in den Spiegel zu schauen", sagte die Fraktionschefin der Demokraten im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi. Die Menschen am Golf von Mexiko seien von zwei Katastrophen heimgesucht worden, erklärte Pelosi. "Zuerst kam der Hurrikan und dann das Versagen der Bundesregierung in einer Zeit der großen Not." Damit sprach die Oppositionspolitikerin aus, was viele in den USA denken. Denn längst sind auch Bushs Parteifreunde unter den Kritikern. So gab der republikanische Senator David Vitter der Bush-Administration die Note "ungenügend" und Chuck Hagel, der als potenzieller Präsidentschaftskandidat der Partei gilt, erklärte: "Es wird Rechenschaft geben müssen."
Das Bush erst 48 Stunden nach der Katastrophe entschied, seinen Urlaub zu beenden und erst Tage später das betroffene Gebiet besuchte, kam in der Öffentlichkeit ebenso schlecht an wie die Tatsache, dass Vizepräsident Dick Cheney seine Ferien in Wyoming fortsetzte und Außenministerin Condoleezza Rice in New York beim Kauf von Schuhen im Wert von 7000 Dollar gesehen wurde, während New Orleans unterging.
"Seid Ihr blind?"
Entsprechend war die Berichterstattung. "Herr Gott noch mal, seid ihr denn blind?", schrie eine Reporterin des US-Fernsehsenders MSNBC den von Bush gelobten Chef des Katastrophenschutzes, Michael Brown an. "Ihr klopft euch gegenseitig auf die Schulter, während hier die Menschen sterben." Noch nie zuvor, so meinen viele Beobachter, sind US-Reporter so direkt, so emotional selbst zu wütenden Anklägern geworden. Sie erzählen nicht nur eine Geschichte, sondern sie sind selbst ein Teil davon geworden.
Fassungslos, erst langsam begreifend, stolperten vor allem die Fernsehreporter durch die ersten Stunden der Berichterstattung. Dann kamen die Emotionen und die Wut. "Dies ist nicht Irak, dies ist nicht Somalia, dies ist unsere Heimat", rief ein NBC-Fernsehreporter aus. Einem CNN-Reporter platzte vor laufenden Kameras der Kragen, als Senatorin Mary Landrieu in einem Interview lobend auf ein vom Kongress verabschiedetes Hilfspaket verweist. "Entschuldigen Sie, Senatorin", unterbrach er. "Ich habe davon noch nichts gehört, weil ich in den letzten vier Tagen damit beschäftigt war, Tote hier auf den Straßen zu sehen. Und wenn ich höre, wie der eine Politiker hier den anderen beglückwünscht... Da war gestern eine Leiche auf der Straße, die von den Ratten angefressen wurde, weil der Körper schon seit 48 Stunden dort lag..."
Problem Irak
Schon vor dem Desaster war Bush wegen des Irak-Krieges zunehmend unter Druck geraten. Während der Präsident angesichts der medienwirksamen Proteste von Soldaten-Müttern immer wieder auf den Krieg gegen den Terror verwies, sehen inzwischen viele in den chaotischen Zuständen dort eine von Bush erst geschaffene Brutstätte für neue Terroristengenerationen. Neben anderen kritisierte auch Bushs einstiger Antiterrorberater Richard Clarke, der seinen Dienst quittierte, die blinde Entschlossenheit zum Irak-Krieg, der seiner Ansicht nach auf Kosten des Kampfes gegen bekannte Terrorgruppen ging. Die Bedrohung sei heute "dezentralisierter und radikaler" als je zuvor.
"Katrina" lenkte die Aufmerksamkeit dann auch noch darauf, dass ein großer Teil der Nationalgarde, die eigentlich für den Heimatschutz zuständig ist, an Euphrat und Tigris steht; zudem wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit der Krieg zu Lasten des Katastrophenschutzes ging. Inzwischen haben die Medien begonnen, von "Katrinagate" als der größten Herausforderung für das gesamte politische Establishment seit der Watergate-Affäre in den siebziger Jahren zu sprechen. (stu)