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Ein Nachruf auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt

Rolf Wenkel25. November 2003

Der EU-Stabilitätspakt hat sich beim Streit um das Defizit-Verfahren gegen Deutschland und Frankreich als Papier ohne Wert erwiesen. Das ist Anlass für Rolf Wenkel, diesen Pakt der Europäischen Union zu Grabe zu tragen.

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Die Finanzminister der Eurozone haben in der Nacht zum Dienstag (25.11.2003) den Stabilitäts- und Wachstumspakt beerdigt. Formal mag der italienische Finanzminister zwar Recht haben mit seiner Bemerkung, dass die in Brüssel getroffene Vereinbarung nicht als Verstoß gegen den Stabilitätspakt gewertet werden könne. Schließlich wurde Deutschland verpflichtet, im nächsten Jahr sein um Konjunktureinflüsse bereinigtes Defizit um 0,6 Prozentpunkte zu senken.

Tatsächlich aber wird in Zukunft kein Euroland dieses Instrument zur Selbstdisziplinierung und zur Stärkung der europäischen Gemeinschaftswährung mehr ernst nehmen. Ein Pakt, der nur bei schönem Wetter gilt, ein Pakt, gegen den die großen Euroländer schon seit Jahren verstoßen, ein Pakt, der nur für die kleinen Sünder gelten soll, ist eben kein Pakt mehr - auch wenn die Politiker diese Tatsache mit noch so schönen Worten herunterspielen wollen.

Die Frage ist, ob der Tod des Stabilitätspaktes auch ein Anlass zur Trauer ist. Die Welt scheint doch auch so in Ordnung zu sein: Der Euro ist in den vergangenen Wochen an den internationalen Devisenmärkten in ungeahnte Höhen geklettert, er wird als Leit- und Reservewährung ernst genommen in der Welt. Und nach innen haben die zwölf Euroländer einen beispiellosen Konvergenzprozess vollzogen, der die gemeinsame Währung erst ermöglicht hat. In dessen Folge ist in ganz Euroland die Stabilität eingekehrt, die Inflation ist auch in solchen Ländern kein Thema mehr, die vor gut einem Jahrzehnt noch mit zweistelligen Teuerungsraten zu kämpfen hatten. Wozu braucht man Fesseln, wozu braucht man Sparauflagen, wozu braucht man Sanktionsmechanismen, wenn es anscheinend auch ohne geht?

Wer so argumentiert, der vergisst allerdings, dass die Maastrichter Stabilitätskriterien kein Selbstzweck waren. Sie dienten als Einstiegshürde zur Teilnahme an der Gemeinschaftswährung. Nur wer bei den Zinsen, der Inflation, dem Gesamtschuldenstand und der jährlichen Neuverschuldung unter bestimmten Grenzen blieb, durfte Mitglied werden, und das hatte auch seinen Sinn. Genauso wie die Forderung des damaligen deutschen Finanzministers Theo Waigel, diese Kriterien zum dauerhaften Maßstab zu machen, um einer womöglich nach dem Erreichen dieser Kriterien eintretenden Disziplinlosigkeit vorzubeugen.

Man kann sich zwar streiten, ob die recht willkürlich gewählten Grenzen von drei Prozent bei der Neuverschuldung oder 60 Prozent beim Gesamtschuldenstand Sinn machen. Man kann auch darüber streiten, ob Sanktionsdrohungen in Milliardenhöhe hilfreich wären für einen öffentlichen Haushalt, der in Finanznöte geraten ist. Aber als Idee, als Signal an die Welt, dass Euroland ein elementares Interesse an einem starken und stabilen Euro hat, als ein Bekenntnis zur Stabilität war und ist dieser Pakt unverzichtbar.

Denn die Welt ist gar nicht so in Ordnung, wie sie zu sein scheint. Es stimmt zwar, dass momentan an den Devisenmärkten die Defizitsünden von Deutschland und Frankreich keine Rolle mehr spielen. Aber das kann sich schnell ändern. Denn im Grunde ist nicht der Euro stark, sondern der Dollar schwach, weil die Amerikaner ihr Zwillingsdefizit nicht in den Griff kriegen. Wenn in den USA die Konjunktur anspringt, kann sich die Meinung an den Devisenmärkten sehr schnell ändern. Dann werden sich die Märkte schnell daran erinnern, dass Europa am 25. November 2003 den Stabilitätspakt beerdigt hat - unter unrühmlichen Umständen.