Ein Kloster - und die große Kunst
18. September 2020"Wir hoffen natürlich, durch die Kunst Leute wieder zu animieren, sich Gedanken zu machen über Religion. Und den Christen zu zeigen: Es ist nicht etwas Langweiliges. Es ist etwas, das sich zu zeigen lohnt." Mauritius Choriol ist Benediktiner. Als Abt leitet der 60-Jährige die Benediktiner-Abtei Tholey (Titelbild) im Saarland im Westen Deutschlands. Und nun sorgt seine Abtei international für Aufsehen - weit über kirchliche Kreise hinaus.
Tholey gilt als das älteste Kloster auf deutschem Boden. 634 wird es erstmals urkundlich erwähnt. Seitdem gab es eine wechselvolle Geschichte von Zerstörung und Aufbruch. Und derzeit ist viel Aufbruch in dem Gotteshaus, das eine der ältesten gotischen Kirchen des Landes ist. In gut zweijähriger Renovierung wurde aus dem zuvor dunkel und kalt wirkenden Kirchenraum ein aus dem gereinigten Stein heraus geradezu warm leuchtender Raum. Schon die restaurierte Orgel ist ein Kleinod.
Vor allem aber: Buntes Licht flutet in den Bau, durch Weltkunst von unschätzbarem Wert. Hinter dem Altar wachsen drei gewaltige Chorfenster in die Höhe, rund 54 Quadratmeter von Gerhard Richter. Der 88-Jährige gehört zu den weltweit wichtigsten zeitgenössischen Künstlern- und hat bereits erklärt, die jeweils neun Meter hohen Scheiben wären wahrscheinlich seine letzte große Arbeit. Rundherum im Kirchenraum wurden zudem 31 Fenster von Mahbuba Maqsoodi eingebaut, einer in München lebenden, aus ihrer Heimat Afghanistan geflohenen Muslimin.
Eine Kirche, kein Museum
Tholey ist eine Kirche und kein Museum. Trotz der Fenster von Richter, von Maqsoodi. Morgens um halb sechs kommen die zwölf Mönche zum ersten Mal zum Gebet zusammen, abends um viertel vor sieben zum letzten des Tages. Die vergangenen zwei Jahre, während der Sanierung der Kirche, beteten sie in einem Saal neben dem Gotteshaus, mal in geübtem Kirchenlatein, mal in deutscher Sprache. Das regelmäßige Gebet mit fünf täglichen Gebetszeiten ist eine der Säulen benediktinischen Lebens.
Dabei geht der Trend für Klöster in Deutschland seit Jahren zurück. Alle paar Monate vermelden unterschiedliche Orden die Schließung einer traditionsreichen Einrichtung. 2017 schlossen sich nach knapp 900 Jahren die Tore der Zisterzienserabtei Himmerod, einem Kleinod in der Eifel. Und in Maria Laach, einem der wichtigsten Benediktinerklöster Deutschlands, leben heute nur noch halb so viele Mönche wie vor 20 oder 25 Jahren.
"Keine Angst haben"
Auch in Tholey lebten vor einigen Jahren nur noch sieben Mönche. Heute sind es wieder zwölf. Der jüngste ist 24, der älteste 75. Im August gab es ein feierliches Gelübde, im Oktober folgt eine Priesterweihe. Das mag eher am Abt liegen als an der Renovierung der Kirche. Derzeit gehe es bei Kirche immer um Schadensbegrenzung. "Es ist eine schwierige Zeit, speziell für die monastische Welt", sagt Abt Mauritius. "Aber wir sollten keine Angst haben, die Botschaft Gottes weiterzubringen."
Selbst nach mehr als 35 Jahren in einem deutschen Kloster ist dem Geistlichen beim ersten Wort seine französische Herkunft anzuhören. Das passt. Tholey ist mehr als ein deutsches Kloster. Auf der nahen Autobahn A1 sehen Autofahrer schon seit Jahren in deutscher und französischer Sprache den Hinweis auf die "Benediktinerabtei/Abbaye benedictine". Und wie es im Saarland mit seiner wechselvollen Geschichte, in der es mal zu Deutschland, mal zu Frankreich gehörte, so ist: Auch Tholey gehörte mal zu Deutschland, mal zu Frankreich. Tholey, sagt ein Bischof, der das Kloster seit Jahren kennt, "liegt näher an Paris als an Berlin".
Küche und Kloster
Abt Mauritius kam 1983 an diesen Ort. Der gelernte Koch war in einer Luxemburger Sterne-Küche tätig, als er mit 23 Jahren ins Kloster ging. Damals, sagt er, sei er schon als "Spätberufener" betrachtet worden, weil viele Mönche beim Kloster-Eintritt noch jünger waren. Nun, 35 Jahre später, kommen Mönche, die die Mitte des Lebens erreicht haben. Frater Wendelinus (48) arbeitete bis vor einigen Jahren als Historiker. In Tholey organisierte er die Renovierung, hielt Kontakt mit Handwerkern, auch den beteiligten Glaswerkstätten. In einem Monat wird er dann vor den neuen Fenstern zum Diakon geweiht, Mitte nächsten Jahres folgt die Priesterweihe. Andere waren im früheren Leben Bäcker oder Zeitsoldat, Manager, KFZ-Mechaniker oder Philosophieprofessor und entschlossen sich zum Eintritt ins Kloster, als sie die 30 oder 40 überschritten hatten. Bruder Markus übrigens, früher Blechbauer, sorgt jetzt als Imker für 1000 Kilogramm Kloster-Honig im Jahr.
Was für Abt Mauritius das häufige Singen und Beten bedeutet? "Die Liturgie ist ein bisschen das himmlische Jerusalem", sagt er der Deutschen Welle. "Liturgie ist wirklich eine Freude und, wie die Fenster von Gerhard Richter, ein Trost. Das Beten lohnt sich. Es befreit – das wollen wir vermitteln." Aber er sagt das mit der ruhigen Stimme eines früheren Kochs, der übrigens im Gästehaus St. Lioba des Klosters auch für die Küche sorgt, nicht mit der Altklugheit eines Theologen.
Zwischen Mainz und Metz
Gebetet wird ab jetzt mitten in Weltkunst, für die übrigens eine mittelständische Unternehmerfamilie aus der Region als Mäzen fungierte. Wer sich weltweit mit dem Werk Richters befasst, muss nun irgendwann nach Tholey kommen. Wer überraschende Kirchenfenster, gestaltet von einer Frau, von einer Deutschen afghanischer Herkunft, von einer Muslima in einer katholischen Kirche sehen will, muss gleichfalls in diesen entlegenen Ort kommen. Ein Highlight zwischen den Domen von Köln und Reims, zwischen Chagall-Fenstern in Kirchen in Mainz und Metz.
Und so erwartet die Abtei nun bis zu hunderttausend Besucher im Jahr. Sie baute neue Parkplätze. Seit Monaten gibt es Werbung am Straßenrand. Der gesamte Ort soll aufleben. Am Ende des Klostergartens, hinter den Bienenstöcken, harrt ein Besucherzentrum der Fertigstellung. Mehrere Mönche werden künftig die Fenster, das Gotteshaus erklären können. Es bleibt eine Kirche, es wird kein Museum. Frater Wendelinus sagt, dem Kloster sei es wichtig, dass der Eintritt in den Bau kostenfrei bleibe. Nur wenn Studiengruppen in den Bereich hinter dem Altar und nah an die Richter-Fenster herantreten wollten, müssten sie eine Gebühr zahlen, sagt er der Deutschen Welle.
Hunderttausend Besucher? In der Kirche, dem Ort des Stundengebets? "Angst habe ich nicht", sagt der Abt. "Das ist Neuland für mich. Für uns alle. Wir werden Regeln finden und aufpassen, dass unser religiöses, monastisches Leben nicht behindert wird."