Ein "Jüdischer Campus" in Berlin
25. Juni 2023"Das ist ein klares Angebot für eine positive Zukunft. Von hier wird ein Zeichen gesetzt." Noch steht Rabbiner Yehuda Teichtal zwischen Baugeräten und Arbeitern, die letzte Hand anlegen. Aber es sind die letzten Arbeiten. Teichtals großes Werk wird am 25. Juni eingeweiht. Dann eröffnet der "Pears Jüdische Campus" in Berlin-Wilmersdorf im Westen der deutschen Hauptstadt. "Wir wollen eine langfristige, positive, lebendige Zukunft für jüdisches Leben in Deutschland sichern", so Teichtal im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Der Campus ist das größte jüdische Bauprojekt in Deutschland und der erste jüdische Campus in Berlin nach der Shoa. Rabbiner Teichtal als Leiter der Chabad-Gemeinschaft in Berlin spricht von rund 40 Millionen Euro Baukosten. Sie kamen zum Teil aus öffentlicher Förderung durch die Bundesregierung und das Land Berlin, zum Teil von großen Unternehmen und vielen einzelnen Spendern. Als kürzlich noch Geld fehlte, lud Teichtal zu einem digitalen Spendenmarathon und brachte innerhalb von 36 Stunden noch 1,5 Millionen Euro zusammen.
Kita und Kino, Schule und Sporthalle
Schon seit Monaten sieht man von der nahen Westfälischen Straße den siebenstöckigen ovalen Bau in auffallendem Blau. Der Campus, so Teichtal, basiere auf drei Säulen, Bildung, Kultur und Sport. Und dann skizziert er binnen kaum einer Minute die Vielzahl an künftigen Angeboten: eine Kita für 200 Kinder, eine Schule für 350 Schülerinnen und Schüler, eine komplette Sporthalle im oberen Teil des Gebäudes, ein Kino, eine Bibliothek, ein Musiksaal, ein Atelier und ein Cafe.
Gerade das koschere Cafe und "viel Begegnung" sind dem Rabbiner wichtig. Er hofft auf Besuche von Berliner Schulklassen über alle Religionsgrenzen hinweg, auf neugierige Touristen aus dem In- und Ausland. Und er will mit Angeboten der beruflichen Bildung ganz unterschiedliche Adressaten erreichen. Als Beispiel nennt er Ausbildungskurse der Bundespolizei oder andere Institutionen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Führungspositionen ausbilden. "Hier geht es nicht nur darum, etwas von der Vergangenheit zu erfahren, sondern auch Fragen der Gegenwart vorbringen zu können: Was sind Juden? Wie leben sie? Welche Feiertage begehen sie?"
Mit dem Projekt verstärkt die jüdische Bewegung Chabad Lubawitsch ihre Präsenz in der deutschen Hauptstadt. Der gebürtige Rabbiner Teichtal, der seit 2012 auch einer der Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist, gehört zu Chabad Lubawitsch. Sie ist nach Auskunft von Teichtal nicht einfach eine orthodoxe Gruppierung im Judentum. "Wir sind orthodox und offen", betont er.
Die Bewegung, angestoßen und stark geprägt von rabbinischen Einzelpersönlichkeiten und Rabbiner-Dynastien, entstand Ende des 18. Jahrhunderts im frommen osteuropäischen Judentum. Der Name Lubawitsch gehört zu einem kleinen Ort im äußerten Westen Russlands. Seit den 1940er Jahren befindet sich das Zentrum der Bewegung im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Yehuda Teichtal kam mit seiner Frau vor gut 25 Jahren aus New York nach Berlin.
Die ersten Ideen für das Vorhaben kamen nach Angaben des Rabbiners 2013 auf. "Damals war es ein Traum. Jetzt wird es Realität", sagte er bei der Ankündigung des Bauvorhabens 2018. Ihm gehe es um Integration. "Natürlich werden wir nicht alle kriegen. Aber gleichzeitig hoffen wir, dass sich die Mehrheit der Gesellschaft engagiert, nicht nur aus Berlin, sondern bundesweit", sagt Teichtal. Der 51-jährige Rabbiner, der vor gut 25 Jahren aus New York nach Berlin kam, wirbt dafür, auf ein positives Miteinander über Religionsgrenzen hinwegzusetzen. Für ihn stehe das Blau des neuen Gebäudes für den Himmel und für Zukunft.
Die bewusste Offenheit des Gebäudes zeigt sich an vielen Details. So ist das Grundstück von den umliegenden Grundstücken nicht durch eine hohe Sicherheitsmauer getrennt, sondern durch eine Wand aus Panzerglas. Und die auch aus Sicherheitsgründen notwendige Mauer zur Straße wurde von einem Berliner Graffiti-Künstler für eine vielfarbigen Skizze jüdischen Lebens genutzt.
Für Rabbiner Teichtal ist die Fertigstellung des Jüdischen Campus die Erfüllung eines Traums. Seit Baubeginn holte er immer wieder Bundespolitiker in den Bau. Zur Grundsteinlegung 2018 kam der damalige Außenminister Heiko Maas, beim Richtfest 2020 sprach der damalige Finanzminister Olaf Scholz im Rohbau der nun fertiggestellten Turnhalle von einem "sichtbaren Zeichen für jüdisches Leben mitten in Berlin". Dorthin gehöre es, "mitten in unsere Gesellschaft".
Neues jüdisches Leben - dazu gehört in Deutschland und gerade in Berlin immer auch die Erinnerung an jüdisches Leben vor der Shoa, dem Massenmord an sechs Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Aus der Verwandtschaft des Rabbiners Teichtal wurden Dutzende in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.
Aber auch die Chabad-Bewegung hatte vor 1933 schon eine kurze Begegnung mit Berlin. Ihr wohl wichtigster Rabbiner im 20. Jahrhundert war Menachem Mendel Schneerson, 1902 in Mykolajiw im Süden der heutigen Ukraine geboren, von 1950 bis zu seinem Tod 1994 "der Rebbe" der gesamten Bewegung. Gut acht Kilometer vom neuen Campus entfernt, findet sich in Berlin-Moabit gleich am Ufer der Spree eine Erinnerungstafel. Dort am Hansa-Ufer 7 lebte der junge Rabbiner ab 1928. Er war regelmäßig zu Gast in einem der orthodoxen Rabbiner-Seminare der Stadt und studierte zeitweise an der Kaiser-Wilhelm-Universität Mathematik, Geometrie und Physik. Im März 1933 ging er nach Paris. Später gelang er mit seiner Frau über Nizza und Portugal mit einem der letzten Flüchtlingsboote in die USA.
Heute ist die Chabad-Bewegung ein Element neben den orthodoxen, liberalen, reformierten oder säkularen Strömungen in der deutschen Hauptstadt. Und im Viertel rund um die Synagoge der Chabad-Bewegung gehören jüdische Beter oder jüdische Familien durchaus wieder zum Straßenbild, so wie in einigen Straßen der Ostberliner Stadt-Mitte.
Aber Teichtal denkt und plant schon weiter. Denn die am anderen Ende des Grundstücks gelegene Synagoge, die Ende 2007 aus einem früheren Industriebau entstand, ist mit 250 Plätzen längst zu klein. In Teichtals Büro steht bereits das Modell für eine Erweiterung des Gebäudes und einen Neubau der Synagoge, die dann knapp 600 Plätze haben soll.