Immer die richtigen Worte
15. April 2010Richard von Weizsäcker ist ein Mann des 20. Jahrhunderts. Er hat oft - und bereits als junger Mann - erlebt, wie sich seine eigene Geschichte mit der Weltgeschichte verknüpft hat. Sei es der Tod seines Bruders zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, sei es seine enge Freundschaft zu einigen der Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 oder sei es die Rolle seines Vaters als SS-Mann im nationalsozialistischen Regime. Vielleicht sind es diese konfliktreichen Jahre, die schon den jungen Weizsäcker zu jemandem gemacht haben, der stets nach einer festen Überzeugung handelt und seine Entscheidungen wohl durchdenkt.
Als Staatsmann zeigt er die Qualitäten, die man sich wünscht. Er strahlt Würde aus, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und ist ein brillanter Rhetoriker. Man sagt von ihm, er redigiere die Texte seiner Redenschreiber stets peinlichst genau und wenn sie ihm gar nicht gefielen, so schriebe er sie selber um.
Historische Worte am 8. Mai 1985
Er ist gerade ein Jahr als Bundespräsident im Amt, als er seine bemerkenswerteste Rede verfasst. Wochenlang feilt er, unterstützt von seinen Beratern, an der Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes. "Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum feiern", sagt Weizsäcker am 8. Mai 1985 im damaligen Bundestag in Bonn zu Beginn der Rede. Wohl aber sei es ein Tag der Befreiung - er habe uns alle von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft befreit.
Mit diesen Worten zeigt er dem Bundestag, den Deutschen und der Weltöffentlichkeit: Hier ist ein Mann, der es schafft, die Gefühle der Deutschen zu kanalisieren und darzustellen - nach innen und nach außen.
Dieser Bundespräsident kann ungemütlich sein, er reflektiert und hinterfragt und schert sich nicht um parteipolitische Differenzen. Er traut sich, in aller Offenheit Themen anzupacken, die das deutsche Gewissen beschäftigen. So spricht er in seiner historischen Rede auch von der Schuld und der Verantwortung der Deutschen und versucht behutsam, den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass man nicht allen Deutschen eine Kollektivschuld am Holocaust geben könne. Gleichzeitig mahnt er die Deutschen, verantwortungsvoll mit ihrer Vergangenheit umzugehen.
Beliebter Gesprächspartner im In- und Ausland
Weizsäcker ist ein Mann, dem man zuhört - auch im Ausland. Sein früherer Studienaufenthalt in Oxford beschert ihm nicht nur 1988 die Ehrendoktorwürde, sondern vor allem auch hervorragende Englischkenntnisse, die ihm auf seinen zahlreichen Auslandsreisen zugute kommen. Doch auch seine Gäste im Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten in Berlin, können sich seiner meisterhaft vorgetragenen Rhetorik nicht entziehen.
Immer hat sich Weizsäcker für die Aussöhnung mit dem Ostblock eingesetzt. Mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow findet er einen ebenbürtigen Gesprächspartner - einen reformwilligen aufmerksamen Geist.
So spricht er bei einem Besuch Gorbatschows mit ganz genau gewählten Worten das aus, was bisher noch kein Westeuropäer gewagt hat, so auszudrücken: "Wenn ein europäisches Haus entsteht, mit dem in einer friedlichen Ordnung Trennungen überwunden werden, indem also Europa wieder zusammenwächst, wie es einer Bestimmung entspricht, dann sind wir auf dem richtigen Weg."
Dieser Prozess war bereits in Gang gesetzt. Wenige Monate nach diesem Treffen im Juni 1989 fällt der Eiserne Vorhang und Deutschland steht vor der Wiedervereinigung. Als im Oktober 1990 die Einheit vollzogen wird, mahnt Weizsäcker dennoch: "Kein Weg führt an der Erkenntnis vorbei: Sich zu vereinen heißt: teilen lernen."
Freiheit heißt Verantwortung
Zehn Jahre lang, von 1984 bis 1994, war Weizsäcker Bundespräsident. Aus der aktuellen Politik stieg er danach zwar aus, doch sein Einsatz ging weiter. Mit der Überwindung der Teilung Europas sei noch lange nicht alles getan, sagt er. Denn jetzt müssten die Staaten mit ihrer Freiheit, selbst entscheiden zu können, vernünftig umgehen lernen. Wobei die großen Staaten die kleineren unterstützen sollten. Dabei hätten die Deutschen seiner Meinung nach eine ganz besondere Rolle, und dieser Prozess sei maßgeblich für die nächsten Jahre, meint der jetzt 90-Jährige.
Autorin: Silke Wünsch
Redaktion: Martin Schrader