Ein Generalstreik gegen Trump?
10. Februar 2017Die Frage, wann der letzte Generalstreik stattfand, der die USA lahmlegte, ist schnell beantwortet. Es gab ihn nicht. "Generalstreiks existieren in den Vereinigten Staaten nicht", sagte Kevin Boyle Historiker an der Northwestern University und Experte für amerikanische Sozialbewegungen.
Was es gibt, sind Generalstreiks auf lokaler Ebene, ergänzt Andrew Wender Cohen, Historiker an der Syracuse University. Aber auch diese seien sehr selten. "Der letzte große Generalstreik fand 1946 in Oakland, Kalifornien statt", so Cohen. Damals verließen zehntausende Arbeiter im Kampf um die Gewerkschaftszugehörigkeit vor Ort ihre Arbeitsplätze.
Kühnes Anliegen
Während es also früher Generalstreiks auf lokaler Ebene in Städten wie San Francisco oder Philadelphia gab, ist dies Cohen zufolge schon seit längerem kaum mehr vorstellbar. Heutzutage gebe es im ganzen Land jährlich nur etwa 20 bis 30 größere Ausstände, das heißt, solche, an denen sich mindestens 1000 Streikende beteiligten. Just weil massenhafte Arbeitsniederlegungen in den USA so selten sind, sind die Aufrufe zum Generalstreik von den Organisatoren des Women's March aber auch von anderen Gruppen nicht nur erwähnenswert, sondern kühn.
"Diese Idee ist wirklich sehr außergewöhnlich," betont Boyle. "Dass die Menschen überhaupt über so etwas reden, verdeutlicht, wie tiefgehend die Opposition gegenüber der Trump-Regierung ist. Es zeigt uns das dramatische Ausmaß der Mobilisierung in den Vereinigten Staaten in vergangenen zwei Wochen." Die Aufrufe zum Generalstreik machen anschaulich, wie "bestürzt und wütend" viele Menschen seien, ergänzt Boyle's Kollege Cohen von der Syracuse University.
Doch für die Historiker stellt sich die Frage, ob der geplante Generalstreik überhaupt erfolgreich sein kann in einem Land, in dem die Menschen nicht nur viel weniger durch das Arbeitsrecht geschützt sind als in Europa, sondern in dem auch die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft viel seltener ist als in Europa, wo Generalstreiks häufiger vorkommen. "Die Kernfrage ist, ob es den Organisatoren gelingt, die Leute zu überzeugen, das Risiko einzugehen, entlassen zu werden oder sich dem Unmut ihres Arbeitgebers auszusetzen", sagte Cohen.
Angestellte im Vorteil
Northwestern University-Historiker Boyle hält bereits die Idee eines Generalstreiks für problematisch, weil sie eine Präferenz für die Mittelschicht enthalte. "Für Angestellte ist es viel leichter, die Arbeit für eine Stunde zu verlassen als für Menschen aus der Arbeiterklasse. Für Millionen von Menschen ist das schwer zu begründen. Und beim örtlichen Wal-Mart (größte Supermarktkette der USA, die Red) wird so etwas nicht gut ankommen."
Boyle verbindet mit der Idee eines Generalstreiks noch ein weiteres Problem: Wenn die Beteiligung daran nicht gigantische Ausmaße annehme, laufe man Gefahr, dass die Aktion als Fehlschlag gedeutet werde, selbst wenn sich viele Menschen beteiligen. Als Ziel dessen, was realistisch erreichbar sei, verweist Boyle auf das Moratorium zum Ende des Vietnamkriegs vom 15. Oktober 1969. Auch dieser Protest sei ursprünglich als Generalstreik geplant, dann aber in ein Moratorium umbenannt worden. Statt eines Generalstreiks kam es damals zu Massenkundgebungen an verschiedenen Orten der USA und weltweit; weitere Massendemonstrationen folgten einen Monat später.
Europa als Vorbild
Für die Frau, deren Artikel im britischen Guardian die Idee eines Generalstreiks gegen Donald Trumps populär machte, spielen solch taktische Fragen der Organisation oder der Wahrnehmung des Protests nur eine Nebenrolle. "Ich bin keine Organisatorin", sagt Francince Prose, Schriftstellerin und frühere Präsidentin des PEN American Center, der DW. "Ich habe diese Idee einfach nur öffentlich gemacht."
"Ich habe viel Zeit in Italien verbracht und erinnere mich, wie ich auf den Bus in Rom gewartet habe, der niemals kam", sagt sie. Ihr sei bewusst, dass Generalstreiks in den USA viel ungewöhnlicher seien als in Europa, ergänzt sie. Und dass es für Amerikaner viel riskanter und schwerer sei, an Arbeitsniederlegungen teilzunehmen als für Europäer.
Warum sie dennoch zu einem Generalstreik aufgerufen hat, sei ganz einfach, so Prose: "Ein Teil von mir denkt einfach, dass das Einzige, worum es diesen Menschen geht, Geld und Handel ist. Und deshalb ist vielleicht der einzige Weg, sie wirklich zu treffen, die Dinge für einen Tag still zu legen oder für Schwierigkeiten zu sorgen, es ungemütlich zu machen." Dies bedeute jedoch nicht, dass man den Erfolg des Generalstreiks ausschließlich an der Auswirkung auf die Wirtschaft festmachen sollte.
Was wäre ohne Proteste passiert
"Angenommen, alle Amerikaner blieben an einem einzelnen Tag ihrer Arbeit fern, kauften nichts und reisten - ich glaube nicht, dass dies Donald Trump zum Rücktritt bewegen würde", sagte Prose. Deshalb sei es wichtig, sich nicht auf eine bestimmte Art des Protests oder auf eine bestimmte Aktion zu konzentrieren, sondern jeden Protest als Übung für das nächste Mal zu betrachten.
Wenn jemand etwa den Arbeitsplatz nicht verlassen könne, so Prose, dann könne er ja stattdessen ein Kongressmitglied anrufen, um zu protestieren. Da es jedoch generell schwierig sei, die Auswirkungen der Proteste greifbar zu machen, schlägt Prose vor, den Erfolg der Proteste auf andere Art zu messen. "Wir können nur erahnen was passiert würde, wenn nicht deutlich wird, dass ein bedeutender Anteil der amerikanischen Bevölkerung diese Dinge ablehnt."