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Ein ethischer Dammbruch

Carola Hoßfeld20. November 2003

Das Europäische Parlament hat sich am Mittwoch (19.11.2003) für eine weitreichende Förderung der Embryonenforschung ausgesprochen. Ein Kommentar von Carola Hoßfeld.

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In Straßburg und Brüssel sitzen die Bauherren Europas. Ein weiterer Grundstein für das "gemeinsame Haus" ist nun gelegt. Wirtschaftliche Interessen prägen seine Kontur. Die Union versteht sich primär als Wirtschaftsgemeinschaft und erst sekundär als Wertegemeinschaft. Einigungen lassen sich nur auf niedrigstem ethischen Niveau erreichen. Nach mehrheitlichem Willen der Europaparlamentarier soll die Forschung an überzähligen menschlichen Embryonen künftig großzügig mit EU-Geldern gefördert werden. Das Parlament hat zwar in dieser Frage nur eine empfehlende Funktion, die endgültige Entscheidung trifft der EU-Ministerrat Anfang Dezember. Doch dürfte die Entscheidung der Ministerrunde maßgeblich durch das jetzige Votum beeinflusst werden.

Kein Stichtag mehr

Erst in diesem Sommer hatte sich die EU-Kommission für eine finanzielle Förderung von Projekten an überzähligen Embryonen ausgesprochen, allerdings mit der Einschränkung, dass nur solche Embryonen verwendet werden, die vor dem 27. Juni 2002 existierten. Das sollte garantieren, dass Embryonen nicht eigens für die Forschung erzeugt werden. Die Parlamentarier in Straßburg entschieden sich jedoch gegen jedwede Stichtagsregelung und das ist das eigentliche Alarmzeichen aus Straßburg. Der Forschung an Embryonen wären somit keine Grenzen mehr gesetzt. Im Klartext heißt das: Der Erzeugung von Embryonen eigens für Zwecke der Forschung sind Tür und Tor geöffnet.

Die Menschenwürde steht zur Debatte

In diesem Streit zwischen Fortschrittsgläubigen und ethischen Bedenkenträgern geht es um eine Abwägung der Rechtsgüter von Menschenwürde und Forschungsfreiheit.

Die Befürworter erwarten sich von dieser Forschung neue Heilungschancen bei Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Parkinson, weil sich aus embryonalen Stammzellen durch genetische Eingriffe gesunde Organe und Gewebe züchten lassen. Jedoch sind die Erfahrungen auf diesem Gebiet mehr als ernüchternd. Nach fast 20jähriger Forschung gibt es keine Ergebnisse. Die wenigen Medikamente auf Genbasis sind immens teuer, für einen breiten Einsatz daher nicht zu gebrauchen. Doch der Fortschrittsglaube ist ungebrochen uns schließlich geht es um viel, sehr viel Geld.

Innovation ohne Rücksicht auf Verluste

Wer menschlichen Embyronen keine Menschenwürde zuerkennt, kann die Degradierung menschlicher Gene zu Rohstofflieferanten achselzuckend in Kauf nehmen. Ganz auf dieser Linie liegt im übrigen die deutsche Bundesregierung unter Gerhard Schröder, der bei vielen Gelegenheiten eine Ethik des Heilens argumentativ gerne verknüpft hat mit Chancen auf Wirtschaftswachstum. Innovationsschub heißt das Zauberwort.

Erinnert sei nur an das jüngste Plädoyer der deutschen Bundesjustizministerin für eine Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellengesetzes zugunsten von mehr Forschungsfreiheit. Ende Oktober sprach Brigitte Zypries der befruchteten Eizelle, dem Embryo in der Petri-Schale, die Menschenwürde ab. Ihre Begründung: Er habe lediglich die "Perspektive", das auszubilden, was sie als wesentliche Bestandteile von Menschenwürde verstehe. Embryonen, die im Reagenzglas befruchtet werden, hätten nur die abstrakte Möglichkeit, sich als Mensch zu entwickeln. Das reiche für die Zuerkennung einer Würde nicht aus.

Doch verträgt der Schutz der Menschenwürde Abstufungen? Kann ihr Beginn je nach Interessenlage verschoben werden? Lässt sich die Schwelle, wann der Mensch ein Mensch ist, beliebig neu interpretieren? Die Gegner der unbegrenzten bioethischen Forschung halten dem ein klares Nein entgegen, weil alle Begründungen für spätere Zeitpunkte als die Befruchtung mangelhaft sind.

Europas Abschied von seinen Wurzeln

Wo Menschwürde beliebig definierbar wird, hat sich das einstige christliche Abendland von seinen spirituell-geistigen Wurzeln vollends. Das spirituell-religiöse Erbe Europas, das in der europäischen Verfassung festgeschrieben werden soll, gerät zu einer inhaltsleeren Floskel. Wehret den Anfängen! - diese Warnung scheint längst zu spät. Der ethische Dammbruch, vor dem die Kirchen und Politiker aller Parteien so gerne warnen, hat sich bereits ereignet.

Innerdeutsch hat die Embryonendebatte noch einen pikanten Begleitaspekt: Sollte sich der EU-Ministerrat Anfang Dezember entsprechend der Straßburger Vorgabe entscheiden, werden im EU-Ausland mit deutschem Geld Projekte finanziert, für die Wissenschaftlern in Deutschland Haftstrafen drohen. Hinzu kommt: Nach einem Beschluss des Deutschen Bundestags soll die EU nur solche Projekte fördern dürfen, die alle Mitgliedsstaaten gutheißen. Der politische Klärungsbedarf ist groß.