"Papst Franziskus ist ein einzigartiger Mensch"
14. Juni 2018So nah kam noch kein Film einem Papst. Der deutsche Regisseur Wim Wenders tüftelte seit Ende 2013 an seinem Dokumentarfilm über das katholische Kirchenoberhaupt. Das 96-minütige Werk "Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes", das beim Festival in Cannes außerhalb der Konkurrenz im Wettbewerb lief, und diesen Donnerstag (14.06.2018) in die deutschen Kinos kommt, ist eine Reise mit und zu diesem merkwürdigen Mann, eine Begegnung und Meditation im besten Wenders-Stil.
Zu Beginn blickt die Kamera lange auf Assisi, das Städtchen in Mittelitalien. Seit dem Wirken von Franz von Assisi (1181-1226) ist Assisi so etwas wie ein katholisches Gegen-Rom. Franz, das Kind reicher Leute, wendete sich radikal den Armen zu, machte sich regelrecht nackt vor seinem Gott, entdeckte die Welt, die Schöpfung neu. Wenn die sonore Stimme von Wim Wenders diese Geschichte minutenlang aus dem Off erzählt, dann erinnert das auch an Passagen aus "Der Himmel über Berlin" oder an "Salz der Erde". Schon in diesem Beginn ist der Film auch eine "Meditation über die Zeit".
Die Kamera tritt mit Jorge Mario Bergoglio, der plötzlich zu Papst Franziskus geworden ist, aus dem Konklave auf den Balkon des Petersdoms. Und sie reist mit ihm um die Welt: in eines der gefährlichen Elendsviertel von Rio, einen Knast in den USA, auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa, zu einer schäbigen Roma-Siedlung am Rande Roms, zu Opfern eines Wirbelsturms auf den Philippinen. Es sind zum Teil unveröffentlichte brillante Bilder aus dem Fundus des Vatikan.
Auf den Fersen des Papstes
Die sogenannten Großen der Welt, Trump, Obama, Putin oder auch Merkel, kommen am Rande vor, Gesichter nur für Sekunden. Ja, Franziskus trifft sie. Aber begegnen tut er anderen. In Rio de Janeiro zum Beispiel. Da rollt das Papamobil durch die Straßen, während die Menge am Straßenrand jubelt. Franziskus winkt hier, segnet da. Eine lange, rasche Fahrt, wie ein Sog, im Film untermalt von dem Gesang der Südamerikanerin Mercedes Sosa. Bis Franziskus abrupt anhalten lässt. Er hatte eine alte Ordensschwester in der Menge entdeckt, der er 1969 (!) begegnet war. Zwei Alte, die einander lange herzen. Später sagt Schwester Maria Eufemia mit ihren strahlenden Augen in die Kamera: "Gott schickt uns den Papst, den die Welt gerade braucht." Momente wie diese sind besondere Begegnungen des Franziskus. Umarmungen mit Strafgefangenen, Berührungen mit Kranken.
Das sterbenskranke Kind
Irgendwann erzählt Franziskus der Kamera, wie er vom Wunsch eines schwerst krebskranken Achtjährigen erfuhr, einmal mit dem Papst zu sprechen. So rief er dort an, das Kind schlief. Der Papst landet auf der Mailbox, hinterlässt Grüße. Ein zweites Mal, wieder vergeblich. Schließlich erreicht er die Mutter. Der arg geschwächte Junge kann ihm nur noch zuhören, dann dankt er dem Papst. Stunden später, sagt er, sei das Kind verstorben. Und er zitiert dessen "Grazie, Grazie". Aber das Leid in der Welt treibt diesen Papst um.Dass die langen Gesprächspassagen, die aus insgesamt vier Interviews mit Franziskus stammen, so dicht und nah wirken, erreichte Wenders mit einem technischen Trick. Er selbst wollte nicht als Interviewer im Film auftauchen. So spricht Franziskus direkt mit einer Kamera mit einem Teleprompter. Doch statt eines Textes zeigt das Gerät das Gesicht von Wenders. Franziskus hört dessen Fragen, antwortet seinem gegenüber und spricht durch Wenders in die Kamera. Auch das nimmt den Betrachter mit hinein in eine Nähe, die gelinde gesagt ungewöhnlich ist. Man hört, passend zur Nähe, das schöne, langsame Italienisch des Franziskus und liest die Untertitel.
Nicht ein Film über den Papst, sondern ein Film mit ihm
Er habe, sagte der 72-jährige Wenders in einem Interview, nicht "einen biografischen Film über Franziskus" machen wollen, "sondern einen Film mit ihm". Ihm gehe es um die Ideen dieses Papstes. Und Wenders nannte dessen Offenheit gegenüber allen Menschen, für die sozialen Probleme der Welt, "insbesondere auch der immensen Herausforderung der drohenden Klimakatastrophe. Damit ist er sehr einzigartig."
Wie sehr Franziskus und das System Kirche da auch in Spannungen stehen, das zeigt beispielhaft ein Detail. In dem Film pocht der Papst bei einem der zwischen 2013 und 2016 geführten Interviews auf "Null Toleranz" gegenüber Kindesmissbrauch durch Kirchenleute. "Die Kirche muss die Schuldigen bestrafen", Aufklärung unterstützen und mit staatlicher Justiz zusammenarbeiten.
Keine Toleranz gegenüber Pädophilie in der Kirche
Er sagt das sehr ernst, es wirkt zutiefst entschieden. In den ersten Monaten dieses Jahres treibt Franziskus kaum ein anderes Thema mehr um als Fälle von Pädophilie durch Kleriker in Chile, die er selbst, als er das Land im Januar besuchte, als unbewiesen abtat. Ein Gau. Mehrfach entschuldigte er sich öffentlich, sprach mit Opfern, bestellte alle Bischöfe Chiles nach Rom ein. "Null Toleranz", sagt er im Film. "Es gibt keinen anderen Ausweg: Null Toleranz."
Das Beispiel zeigt die Kluft zwischen diesem System und jenem Franziskus, der sich mit seiner Wahl auf den Weg gemacht hat. Man hört der so warmen, ruhigen Stimme von Wim Wenders, der den Film selbst vertonte, die Verwunderung darüber an, dass niemand zuvor sich nach seiner Papstwahl für den Namen Franziskus entschied, diesem "Revolutionär nicht nur der gesamten Christenheit, sondern der ganzen Menschheit".
Wim Wenders wagt einen fast zärtlichen Film über oder auch mit diesem Franziskus, für ihn eine "sehr einzigartige" Gestalt. Es ist kein Film über die Kirche. Und doch: Der Film zeigt, dass diese knapp 2000 Jahre alte Institution - Gemeinschaft von Glaubenden, mal gewaltiges Machtsystem, mal globale Aufbruchsbewegung - nach diesem Mann "vom Ende der Welt" nicht mehr dieselbe sein wird, nicht mehr dieselbe sein kann.