Ein Doppelagent packt aus
18. September 2010Bei der Buchpräsentation in Berlin signiert Werner Stiller seine Bücher mit dem Namen Peter Fischer - seiner zweiten Identität, für sein zweites Leben. Nach der Flucht in den Westen hatte er dem Bundesnachrichtendienst (BND) eineinhalb Jahre lang alles erzählt, was er über die Struktur und die Methoden der Staatssicherheit der DDR wusste.
Gejagt vom ostdeutschen Geheimdienst konnte der BND Stillers Sicherheit in Westdeutschland nicht mehr garantieren und gab ihn in die Hände des CIA. Der US-amerikanische Geheimdienst sorgte ab 1980 für ein neues Leben als Peter Fischer in den USA. "Ich hab in meinem ganzen Leben immer das Abenteuer gesucht", erklärt Werner Stiller, alias Peter Fischer, seine Motivation.
Als Abenteurer hat er nicht viel übrig für moralische Fragen. Für die Staatssicherheit habe er nur angefangen zu arbeiten, weil diese ihm eine spätere Tätigkeit im Westen versprochen hatte. Als er merkte, dass daraus nichts werden würde, war klar: Diesen Schritt muss er selbst in die Hand nehmen. "Aber ich wollte nicht einfach nur abhauen. Dazu hätte ich wirklich mit einigen Auslandsreisen genügend Gelegenheit gehabt. Ich wollte schaden - und zwar so groß wie möglich."
"Den Stasi-Leuten einen Bären aufbinden"
Das ist ihm gelungen. Kofferweise lieferte er dem BND geheime Dokumente und deckte damit rund 70 DDR-Spione im Westen auf, einige davon hatte er zuvor selbst angeworben. Zudem konnte Stiller erstmals den Chef der DDR-Auslandspionage Markus Wolf auf einem Foto identifizieren, dass dann auch prompt auf der Titelseite des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" landete. Zuvor galt Wolf als "Mann ohne Gesicht", ein Unsichtbarer im deutsch-deutschen Geheimdienstkrieg. Nachzulesen war das bereits 1986 in seinem Buch "Im Zentrum der Spionage". Sein neues Buch bereinigt nun diejenigen Darstellungen, die er gemeinsam mit dem BND bewusst umgedichtet hatte, "um den Stasi-Leuten einen Bären aufzubinden", wie erzählt.
Dass der BND ihn angeworben habe, stimmt beispielsweise nicht. Eine falsche Fährte, um die Stasi glauben zu lassen, der westdeutsche Geheimdienst sei im Osten bereits überaus aktiv. Vielmehr kostete es Werner Stiller viel Zeit und Geschick, um überhaupt einen Kontakt zum BND herzustellen. Nach einigen gescheiterten Versuchen ist es ihm schließlich über den Bruder einer Geliebten gelungen, der im Westen lebte. Aber auch weitere Erlebnisse beschreibt Stiller erstmalig, allen voran einige schwerwiegende Fehler des BND.
"Stümperhafter BND"
So erzählt Stiller von sogenannten toten Briefkästen, mit deren Hilfe der westdeutsche Geheimdienst mit ihm kommunizieren wollte. Doch diese Briefkästen wären entweder in Zügen angebracht gewesen, die gar nicht in der DDR hielten oder aber an derart exponierten Stellen befestigt, dass es unmöglich gewesen sei, nicht aufzufallen. "Einer dieser toten Briefkästen war in zwei Meter Höhe neben der Berliner Marienkirche versteckt. Da hätte ich eine Leiter mitnehmen müssen, um da dran zu kommen." Das Vorgehen des BND nennt er rückblickend "unprofessionell" und "stümperhaft".
Vor allem hätte der BND das einmalige Insider-Wissen von Stiller, besonders vor dessen Flucht in den Westen, nicht annähernd genutzt: "Wir hätten die ganze Hauptverwaltung Aufklärung verwanzen können. Wenn man einmal so einen Ausweis hatte, gab es keine Kontrolle mehr. Ich hätte dort zehn Mann mit reinschleppen können - wir hätten alles durchsuchen können." Dazu hätte es aber dem BND laut Stiller an Mut gefehlt. "Das waren einfach nur Beamte, die von Geheimdienstarbeit keine Ahnung hatten. Deren größte Sorge galt ihrer Pension."
Dennoch reichten die Informationen, die Stiller mit in den Westen nahm, aus, um den DDR-Geheimdienst massiv zu verunsichern. "Die Stasi war erfolgsverwöhnt. Die hätten niemals vermutet, dass jemand aus den eigenen Reihen zu so etwas fähig wäre." Auch HVA-Chef Markus Wolf gab später in einem Interview zu, dass der Überläufer Stiller der schwerste Schlag für den Stasi-Chef Erich Mielke gewesen sein soll. Dieser erließ auch gleich nach der Flucht seines ehemaligen Oberleutnants einen Haftbefehl. Mit der "Operation Schakal" sollte der Überläufer zurückgeholt und vor Gericht gebracht werden. Doch zu diesem Zeitpunkt saß Werner Stiller alias Peter Fischer bereits im Flugzeug in Richtung USA.
Ob die in Stillers neuem Buch geäußerten Vorwürfe alle der Wahrheit entsprechen, lässt sich derzeit schwer eruieren. Die Akten der westlichen Geheimdienste sind bisher unzugänglich.
Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Kay-Alexander Scholz
Werner Stiller: Der Agent. Mein Leben in drei Geheimdiensten
Verlag: Ch. Links Verlag
ISBN: 978-3-86153592-8
Preis (EURO): 19.90