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Ein Canyon mitten im Ozean

Gabor Paal18. Juni 2003

Forscher haben am Meeresboden vor der afrikanischen Küste einen riesigen Canyon entdeckt. Von der Ausdehnung entspricht er einer Schlucht, die sich von den Alpen ins norddeutsche Flachland erstreckt – nur unter Wasser.

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Unterwegs mit dem Forschungsschiff MeteorBild: FS METEOR

Ein Kontinent wie Afrika hört nicht an der Küstenlinie auf. Er setzt sich vielmehr unter Wasser noch ein Stück ins Meer hinein fort. Das heißt, es kommt erst mal relativ flacher Schelfbereich mit Tiefen von vielleicht 200 bis 300 Meter, und erst weiter draußen im Meer geht es richtig in die Tiefsee runter auf 3000, 4000 Meter oder noch tiefer. Dort, wo der Meeresboden so steil abfällt, ist der so genannte Kontinentalhang. Den erforschen Horst Schulz und seine Kollegen vom Forschungszentrum Ozeanränder der Universität in Bremen.

Mit dem Forschungsschiff Meteor waren sie unterwegs vor der afrikanischen Westküste, genauer: Vor Mauretanien. Und dabei fanden sie, eher zufällig einen gewaltigen Canyon. Horst Schulz erklärt die Ausmaße des neu entdeckten Canyons: "Der fängt an am Kontinentalhang bei einer Wassertiefe von 200-250 m, da beginnt er, und geht dann bis zu einer Wassertiefe von 3200-3300 m."

Der Canyon ist etwa 300 Meter tief in den Meeresboden eingeschnitten, und hat, so Schulz, sehr viel Ähnlichkeiten mit normalen Flüssen wie Mosel oder Rhein – in mehrerer Hinsicht. Auch hier gibt es die typische Mäanderführung und eine Struktur von Altarmen des eigentlichen Canyons. "Schlingen, die sich fast wieder berühren und irgendwann wieder durchschnitten werden und dann Altarme zurücklassen."

Ein Fluss am Grunde des Meeres

Erst kürzlich hatten britische Wissenschaftler den Meeresboden vor der afrikanischen Küste kartiert – den Canyon hatten sie schlicht übersehen – obwohl er 900 km lang und stellenweise 2-3 km breit ist. Er ist ihnen wohl auch deshalb entgangen, weil ein Canyon an dieser Stelle völlig ungewöhnlich ist.

Horst Schulz führt aus, dass auch ein paar andere Canyons dieser Größe aus anderen Gebieten der Welt bekannt sind. Zum Beispiel vor der Mündung des Amazonas – aber da rechne man auch eher mit einem Canyon: "Da ist der Amazonas da mit tiefen Einschnitten auf dem Land, und die setzen sich dann auch in der Tiefsee fort. Aber hier ist kein Fluss dahinter, hier ist die Sahara und das Gebiet südlich der Sahara, aber keine großen Flussmündung."

Die Ähnlichkeiten des Canyons mit Flüssen an Land sind auch deshalb erstaunlich, weil er unter völlig anderen Bedingungen entstanden ist. Bei Flüssen wie Neckar oder Rhein kann man sich vorstellen, wie das Wasser, von der Schwerkraft getrieben, sich seinen Weg vom Gebirge ins Meer sucht. Wie sich die Flüsse dabei ins Gebirge einschneiden und Mäander bilden. Doch wie soll man sich einen Fluss am Meeresboden vorstellen, ein Fließgewässer, das sich seinen Weg wiederum durch Wasser bahnt? Der Canyon, soviel steht fest, entstand durch so genannte Trübeströme. Mächtige Schlammströme, die den Kontinentalhang hinab gleiten und sich dabei über Millionen von Jahren ebenso einschneiden wie ein Fluss ins Gebirge. Allerdings sind diese Trübeströme nicht ständig vorhanden, sie treten vielmehr alle 2-3 Jahre auf, wie die Analyse der Bohrkerne zeigte. "Man weiß das nicht, wie das im einzelnen abläuft", erklärt Horst Schulz, "es hat niemand zugesehen, wenn ein solcher Trübestrom einen Canyon bergab fließt."

So groß und alt wie Vater Rhein

Anhand seismischer Messungen haben die Forscher auch das Alter der Sedimentschichten bestimmt. Das Ergebnis: Der Canyon vor der afrikanischen Küste existiert seit mindestens 10 Millionen Jahren. Er ist somit nicht nur so groß wie der Rhein, sondern etwa auch so alt.

Die Entdeckung des Canyons liefert ein neues Bild darüber, wie Sedimente von den Kontinentalrändern in Richtung Tiefsee verfrachtet werden. Offenbar gibt es zwei grundlegend verschiedene Mechanismen: Zum einen eben die Trübeströme, bei denen, wie in diesem Fall, das Material eher in einem begrenzten Canyon transportiert wird. Und daneben große flächenhafte Rutschungen, bei denen sich gewaltige Massen des Kontinentalhangs vom Untergrund lösen und lawinenartig in die Tiefe gleiten.

Diese Rutschungen erforschen Horst Schulz und seine Kollegen eigentlich. Zum einen weil bei diesen Rutschungen am Kontinentalhang auch viel organisches Material in die Tiefsee verfrachtet wird – diese Prozesse zu verstehen, könnte deshalb künftig bei der Suche nach Erdgas oder Erdöl helfen. Zum anderen könnten solche lawinenartigen Rutschungen am Meeresboden gravierende Folgen haben. Ob diese Rutschungen aber schnell ablaufen oder eher langsam – das ist noch offen.