Ikone einer Katastrophe
30. März 2011Jörg Trempler ist Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler an der Humboldt Universität zu Berlin. Seine Habilitation befasst sich mit dem Thema "Katastrophen. Bild und Bedeutung".
Deutsche Welle: Was bedeutet der Begriff Katastrophe in der Theatersprache, aus der er kommt?
Jörg Trempler: Zunächst "Wendepunkt", ganz buchstäblich in der wörtlichen Übersetzung aus dem Griechischen "kata-stréphein". Er kommt aus der klassischen Tragödie, der Dramentheorie. Diese besteht aus drei Teilen: Einem Anfang, in dem die Erzählung aufgebaut wird, dann einem Wendepunkt, der Katastrophe, und dem Schluss. Um Spannung aufzubauen, muss man zwingend diesen Wendepunkt haben. Spannung ohne Wendepunkt wäre langweilig. Deshalb braucht man in der Tragödie zwingend den Wendepunkt als erzählerisches Mittel.
Seit wann wird der Begriff "Katastrophe" genutzt?
Es gab schon immer Ereignisse, die wir heute als Katastrophen bezeichnen. Aber sie wurden erst seit dem 18. Jahrhundert so genannt. Wir können heute sagen: Das ist ein Atomunglück. Das ist ein Erdbeben. Das ist ein Vulkanausbruch. Es gibt aber keinen Zwang dazu, diese Ereignisse als Katastrophe zu benennen. Dann fragt man sich, wann ist ein Erdbeben eine Katastrophe? Historisch greift man auf den eigentlichen Wortsinn der Katastrophe, den Wendepunkt zurück. Ein Ereignis ist demnach dann ein Katastrophales, wenn es einen Wendepunkt- Charakter hat.
Was ist denn dann das Charakteristische einer Katastrophe?
Katastrophen sind nur für Rückversicherer messbar nach der Anzahl des angerichteten Schadens. Aber materiell wird wahrscheinlich keine Definition jemals gelingen. Deshalb meine These: Eine Katastrophe ist kein Ereignis, sondern dessen Interpretation.
Welche Rolle spielen Katastrophenbilder zur Katastrophenerinnerung?
Ich glaube Katastrophenbilder können eine entscheidende Rolle spielen, ein Ereignis zu bewerten. Aber das Entscheidende ist, so mein These, dass man umdenken muss: Wir denken immer, das Ereignis selber ist die Katastrophe, aber man müsste die Katastrophe so verstehen, dass sie bereits ein Ereignis interpretiert und dabei helfen Bilder.
Gibt es eine typisch deutsche Art der Katastrophenerinnerung?
Das kann ich nicht feststellen. Möglicherweise gibt es eine europäische Art der Katastrophenerinnerung. Friedrich Meinecke hat, glaube ich, schon Ende der 40er Jahre ein Buch zum Zweiten Weltkrieg als Katastrophe geschrieben. Das könnte man möglicherweise als deutschen Weg bezeichnen.
Sie arbeiten aktuell in New York. Wie beurteilen sie die amerikanische Berichterstattung vergleichend zur deutschen?
Die Frage lautet: Was lässt die Bilder aus Fukushima aus deutscher Perspektive zu einem Katastrophenereignis werden? Ich denke, das hat damit zu tun, dass wir bereits einen Wendepunkt in der Energiepolitik vollzogen haben. In der amerikanischen Berichterstattung wurde stärker auf das Erdbeben und weniger auf das Atomkraftwerk Bezug genommen. Die Ereignisse im Atomkraftwerk wurden viel kontrollierbarer dargestellt, während sich die deutsche Berichterstattung sehr stark auf die Gefahren bezogen hat und dadurch das Katastrophale im Sinne des Wendepunktes herbeigeführt hat. Generell glaube ich, dass die Wirkung von Bildern sehr abhängig ist von dem Diskussionsstand, auf dem ein Land, beispielsweise energiepolitisch, angelangt ist.
Wie wirkt die Krisenberichterstattung aus Japan auf Sie?
Für mich ist das stärkste Bild aus Japan weniger die Wasserstoffexplosionen, die immer wieder gezeigt werden, sondern das Atomkraftwerk als Ruine. Wenn über das Atomkraftwerk berichtet wurde, sind für uns die harten Fakten wichtig. Für uns ist die Temperatur im Reaktor wichtig, der Wasserstand, der Druck und so weiter. Was wir dazu sehen, ist aber das Bild einer Ruine. In Europa gibt es eine lange Tradition der Ruinendarstellung nach dem Motto `Dinge werden vergehen´und `Dinge werden wieder erstehen´. Ich glaube, das ist eine starke Diskrepanz zur Atomenergie, weil diese in einem ganz anderen zeitlichen Rahmen funktioniert. Ein Atomkraftwerk als Ruine macht Angst, weil es gegen die tradierte Zeitlichkeit wirkt.
Könnte die Ruine nicht gewählt sein, weil Strahlung nicht darstellbar ist?
Das kommt hinzu. Es gibt keine Möglichkeit Strahlung darzustellen. Das Besondere an diesem Fall ist, dass wir bis jetzt auch keine Bilder aus dem Inneren des Atomkraftwerkes haben. Das einzige Bild, das da ist, ist wenig aussagekräftig im Sinne der `harten Fakten´, im Sinne der Bildgeschichte ist es sehr bildmächtig. Es zeigt, dass auch ein Atomkraftwerk, das im Sinne der Sicherheit der Atomkraft niemals verfallen darf, niemals Ruine werden darf. Dieses Gebäude dann als Ruine darzustellen, knüpft an die Tradition der Ruinendarstellung an und vermittelt die Botschaft: Auch dieses Gebäude wird irgendwann zerfallen. Durch die lange Halbwertszeit der Radioaktivität haben wir dann aber definitiv ein Problem.
Wie beurteilen Sie als Bildwissenschaftler die unterschiedlichen Mittel, beispielsweise die Unterlegung mit Musik, Endlosschleifen von Bildern, die in der Berichterstattung zum Einsatz kommen?
Darüber habe ich mir auch viele Gedanken gemacht. Es gibt eine lange Tradition von emotionalisierenden Bildern nach katastrophalen Ereignissen, das ist nichts Neues. Was ich als kritisch empfinde ist, wenn Grenzen vermischt werden zwischen "verkitschten" Bildern und Nachrichtensendungen. Dann ist für mich eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden sollte.
Das Gespräch führte: Jan Hecker
Redaktion: Sabine Oelze