"Ehrenmord" heizt Debatte um Frauenrechte an
18. Juli 2016"Nichts ist gut in dieser Gesellschaft" - immer wieder eckte Qandeel Baloch mit Tweets und Facebook-Posts wie diesem an. Das bekannte Model, das auch als Schauspielerin arbeitete, kritisierte Missstände in Pakistans Männer-dominierter Gesellschaft wie den Umgang mit Frauen oder den religiösen Konservatismus im Land. Wirklich ernstgenommen wurde sie jedoch zeit ihres Lebens kaum, nicht einmal von liberalen Kreisen in Pakistan. Zu sehr wurde sie für ihre oft gekünstelte Haltung kritisiert, für ihre Lust an der Provokation und dafür, die sozialen Medien vor allem zur Selbstdarstellung zu nutzen.
Die herrschenden konservativen Kreise waren jedoch wiederholt Zielscheibe ihrer Attacken. Ihre freizügigen Videos, Bilder und Kommentare aus ihrem Privatleben sorgten immer wieder für Kontroversen, bescherten ihr aber auch eine große Fangemeinde im Netz. Ihre Facebook-Videos wurden millionenfach gesehen. Im vergangenen Monat kam es zum Skandal, nachdem sie Fotos von sich und dem prominenten Kleriker Mufti Qavi hochgeladen hatte, nicht ohne darunter zu bemerken, dass beide gemeinsam im Ramadan tagsüber Zigaretten geraucht und Softdrinks getrunken hätten. Qavi wies dies scharf von sich und entgegnete, er habe mit ihr nur "religiöse Dinge besprochen".
Lokale Medien berichten, dass Baloch - die im wirklichen Leben Fauza Adeem hieß – immer wieder Probleme damit hatte, ihre Social Media-Aktivitäten mit den Werten ihrer konservativen Familie in Einklang zu bringen, und dass sie bereits mehrfach von Unbekannten bedroht worden sei. Baloch habe mehrfach bei offiziellen Stellen um Schutz gebeten, jedoch keine Unterstützung erhalten. Am vergangenen Freitag (15.07.2016) wurde Qandeel Baloch in ihrem Elternhaus bei Multan im Südosten des Landes ermordet - von ihrem eigenen Bruder Muhammad Wasim. Dieser wurde nur einen Tag später festgenommen und soll bereits gestanden haben, seine Schwester erwürgt zu haben.
Patriarchalisches Gedankengut
"Wasim erklärte, er habe seine Schwester umgebracht, um die 'Familienehre' wiederherzustellen, nachdem sie zuletzt erneut mehrere anstößige Videos auf Facebook gestellt habe", sagte Azhar Akram, Polizeichef von Multan. "Als Familie konnten wir das nicht tolerieren - und ich bedauere nichts", sagte Wasim selbst gegenüber verschiedenen pakistanischen Medien. Die Reaktionen auf den Mord aus konservativen Kreisen der Gesellschaft zeigen, wie stark noch immer das patriarchalische Gedankengut in Pakistan verankert ist. "Ich bete zu Gott, dass niemand eine Schwester oder Tochter wie Qandeel Baloch haben möge. Sie hat ihre ganze Familie entehrt", schrieb ein Facebook-User. "Vulgärsein und Nacktheit sind in der Islamischen Republik Pakistan verboten", ein anderer. Die bekannte Tageszeitung Dawn kommentierte, der Mord an Qandeel Baloch sei ein klares Zeichen dafür, dass Sexismus und Frauenfeindlichkeit noch immer den Alltag im Land beherrschten. "Der Tod von Qandeel Baloch sendet eine hinterhältige Botschaft: dass Frauen unter allen Umständen unterdrückt bleiben, ja, sogar ermordet werden, wenn sie versuchen, aus ihrem Rollenmuster auszubrechen. Ihre Ermordung muss ein Anstoß für den Gesetzgeber sein, einen besseren Schutz für Frauen durchzusetzen, die aufgrund einer falschen Interpretation von 'Ehre' bedroht werden."
Ablehnende Haltung gegenüber Frauenrechten
Im Februar hatte Premierminister Nawaz Sharif versprochen, ein Gesetz zum Schutz von Frauen durchzusetzen, aber seitdem ist nichts dergleichen passiert. Während Menschenrechtsgruppen und liberale Kräfte im Land den Gesetzentwurf begrüßt hatten, kritisierten religiöse Parteien und Organisationen, er würde nicht mit dem Koran und den Worten des Propheten Mohammed in Einklang stehen.
Kritik kam außerdem vom mächtigen "Council of Islamic Ideology" (CII). Das religiöse Organ prüft Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem Islam und berät Abgeordnete. Im März bezeichneten die Kleriker des CII das neue Gesetz als "un-islamisch" und forderten, es zurückzunehmen. "Das Gesetz ist ein Fehler", sagte der Leiter des Rates, Muhhamad Khan Sherani, vor Journalisten in Islamabad. "Zusammengefasst bedeutet dieses Gesetz nach unserer Auffassung, dass muslimische Familien ermutigt werden, die Heiligkeit der Ehe zu verletzen. Es ermutigt Frauen auch dazu, ihr Heim zu verlassen und arbeiten zu gehen", sagte Sherani.
Gewalt gegen Frauen, insbesondere häusliche Gewalt ist in Pakistan weit verbreitet. Menschenrechtsgruppen beklagen seit langem die Tatenlosigkeit des Staates, wenn es um "Ehrenmorde" und Misshandlungen in der Ehe geht. "Letztes Jahr wurden in Pakistan mindestens 178 Frauen im Namen der 'Ehre' ermordet", wie Mumtaz Mughal, Direktorin der Aurat Stiftung im Gespräch mit der DW sagte. "In der Regel stammen die Täter aus der Familie." Oftmals würden sie nicht bestraft, denn im pakistanischen Recht ist es möglich der Strafe zu entgehen, wenn das Familienoberhaupt des Opfers dem zustimmt. Im Fall Baloch, so erklärt Nazish Brohi, eine bekannte pakistanische Aktivistin, könne der Vater seinem Sohn vergeben, der dann nicht bestraft werden würde. "Diese Gesetzeslage ebnet den Weg für 'Ehrenmorde'."
Sexualität und Religion
Frauenrechtsaktivisten erklären, dass im patriarchalischen Ländern wie Pakistan Frauen einen hohen Preis dafür zahlen, wenn sie die Autorität der Männer und die herrschenden Normen herausfordern. Der Kolumnist Salman Abid verurteilte zwar den Mord, kritisierte aber zugleich die verstorbene Schauspielerin. "Es war ihr Fehler, die rote Linie zu überschreiten. In ihrem Wunsch nach Selbstdarstellung hat sie die Traditionen verletzt." Farid Paracha, ein Führer der religiösen Jamaat-e-Islami Partei aus Lahore, gab der jungen Frau eine Mitschuld an ihrem eigenen Tod, fügte aber im Gespräch mit der Deutschen Welle hinzu: "Aber sie trägt die Schuld nicht allein. Die pakistanische Gesellschaft, die Regierung, unser Bildungssystem und die Medien sind ebenso verantwortlich für ihren Tod." Nur Gott allein könne sie letztlich für ihre Fehler strafen.
Derartige Aussagen erzürnen den pakistanischen Modejournalisten Mohsin Sayeed. Er sagte gegenüber der DW: "Pakistanier sind besonders bigott, wenn es um Sexualität und Religion geht." Den Beweis dafür sieht er im Fall Mukhtaran Mai. "Die junge Frau musste auf Geheiß des panchayat(Stammesrats) nackt durch die Straßen laufen und wurde von Gruppen von Männern vergewaltigt. Aber niemand in Pakistan erhob seine Stimme und sagte, das verstößt gegen den Islam. Die Mullahs schwiegen."
Manche sagen, dass die Ermordung Balochs trotz allem den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung stärken wird. Sie war zwar keine Feministin, aber sie hat vielen pakistanischen Frauen eine Stimme gegeben, die nicht bereit sind, sich den männlichen Ehrvorstellungen und dem Patriarchat zu beugen. "Vor ihrem Tod war Qandeel Baloch eine Ein-Frauen-Armee, aber jetzt spricht jeder über sie. Auf ihren Tod werden mehr Frauen wie sie folgen", ist der Schriftsteller Ashfaq Saleem Mirza überzeugt.
Unter Mitwirkung von Zanvir Shahzad, DW-Korrespondent aus Lahore