Ex-Topspion Wolf ist tot
9. November 2006Markus Wolf stand immer im Schatten von Stasi-Chef Erich Mielke - und das war aus seiner Sicht auch gut so. Denn so konnte er gut 30 Jahre lang, von 1956 bis zu seinem Rückzug 1986, weitestgehend ungestört die "Hauptverwaltung Aufklärung" leiten. Jener für die Auslandsspionage zuständigen Stasi-Abteilung, die vor allem in der Bundesrepublik aktiv war. Denn der Westen Deutschlands war in den Augen der DDR-Machthaber Ausland.
DDR-Spione als "Kundschafter des Friedens"
In diesem ideologisch so fernen, historisch, geografisch, sprachlich und kulturell aber so nahen Land, waren Wolfs Agenten ziemlich erfolgreich. Legendär wurde der Fall Günter Guillaume, der als persönlicher Referent Willy Brandts den damaligen Bundeskanzler ausspionierte. Die Affäre führte 1974 zum Rücktritt des Sozialdemokraten und Friedensnobelpreisträgers Brandt. In der Logik des Markus Wolf war Guillaume - so wie all seine rund 4000 Spitzel - "Kundschafter des Friedens": "Ich habe es als politischen Auftrag der Parteiführung gesehen. Und darüber wird nicht diskutiert. Für mich war das damals nicht ein Teil des Unterdrückungsapparates. Das war ein Kundschafterauftrag."
Geboren wurde Markus Wolf 1923 in Hechingen im heutigen Baden-Württemberg. Sein Vater war der Arzt und Dramatiker Friedrich Wolf, der als Jude und Kommunist Deutschland 1933 verlassen musste. Die Familie, darunter Wolfs Bruder Konrad, der später ein berühmter Filmregisseur wurde, lebte bis 1945 in der Sowjetunion. Zurück in Deutschland arbeitete Markus Wolf zunächst als Journalist für den "Berliner Rundfunk" und berichtete unter anderem über die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg.
"Mann ohne Gesicht" bis 1978
Schon Anfang der 1950er Jahre wechselte er das Metier. Im Westen Deutschlands blieb er lange Zeit der "Mann ohne Gesicht", denn erst 1978 tauchte das erste Foto des Stasi-Generalleutnants auf, der 1980 zum Generaloberst beförderte wurde. Sein Rücktritt 1986 fiel in eine Zeit, als der damalige Kreml-Chef Michail Gorbatschow in der Sowjetunion den Reformprozess einleitete, dem sich die DDR-Machthaber unter Erich Honecker verweigerten.
Späte politische Wende
Wenige Tage vor dem Fall der Berliner Mauer sprach Markus Wolf am 4. November 1989 vor einer Million Menschen auf der historischen Demonstration, zu der DDR-Künstler und Intellektuelle aufgerufen hatten: "Trotz zunehmend mahnender Stimmen in unseren eigenen Reihen konnten wir nicht verhindern, dass unsere Führung bis zum 7. Oktober (40. Jahrestag der DDR-Gründung, Anmerkung der Redaktion) in einer Scheinwelt lebte und selbst dann noch versagte, als die Menschen anfingen, mit den Füßen abzustimmen. Das war bitter für uns Kommunisten."
Unter Pfiffen und Buhrufen warb Wolf für einen Neuanfang unter Beteiligung des Sozialistischen Einheitspartei SED, die ihr Machtmonopol zu diesem Zeitpunkt bereits verloren hatte. Markus Wolfs Wende kam zu spät. Um der Strafverfolgung im vereinten Deutschland zu entgehen, flüchtete er vorübergehend nach Moskau, kehrte 1991 aber nach Deutschland zurück. In mehreren Verfahren wurde er unter anderem wegen Landesverrats verurteilt. Der Bundesgerichtshof sprach den früheren Topspion von diesem Vorwurf allerdings frei - wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. Wolf selbst bezeichnete die Verfahren als "Siegerjustiz". In der Nacht zum Donnerstag (9.11.2006) ist Wolf in Berlin gestorben.