Effiziente Bayern mit Schwächen
22. November 2017Ohne Punkt und ohne Tor und das nach vier Spielen. Das nennt man wohl Fallobst. Nein, wir wollen dem traditions- und ruhmreichen RSC Anderlecht gewiss nichts Böses. Aber das, was die Belgier in dieser Champions-League-Saison bisher geleistet hatten, war alles andere als furchteinflößend. Vier eindeutige Niederlagen gegen alle Gruppengegner, dazu 15 Gegentore - eine grauenhafte Bilanz. Und dann das: Voller Selbstvertrauen, mit viel Elan und Druck legten die Brüsseler im Heimspiel gegen den FC Bayern München los. Die Elf in Violett störte die Bayern tief in deren Hälfte und wählte dabei eine robuste Gangart. Und die überraschte die Bayern gehörig.
Der konsequente Auftritt der Belgier zeigte prompt Wirkung: Jérôme Boateng vertändelte einen Ball, den Sofiane Hanni aufnahm und von der Strafraumgrenze freistehend abzog. Doch Sven Ulreich war zur Stelle und konnte klären (8.). Damit nicht genug: Anderlecht wurde immer besser. Nicht nur kämpferisch, sondern zunehmend auch spielerisch überzeugte der RSC und schnürte den FCB in dessen Hälfte ein. Nach einer guten Viertelstunde stand nach einem schönen Spielzug Dennis Appiah auf der rechten Seite frei im Strafraum und knallte den Ball mit voller Wucht aufs kurze Eck, doch Ulreich faustete das Spielgerät weg (17.). Nach einer halben Stunde war dann auch Ulreich geschlagen: Lukasz Teodorczyk schloss einen Konter mit einem Schuss aufs lange Eck ab und der Bayern-Keeper konnte nur noch hinterherschauen. Doch der Ball ging knapp neben das Tor. Der FC Bayern mit viel Dusel...
Ulreich hält den FCB im Spiel
... und mit Ulreich. Fünf Minuten vor der Pause fabrizierte Corentin Tolisso einen Katastrophenpass und erneut tauchte Teodorczyk frei vor dem FCB-Schlussmann auf. Ulreich hielt den Ball und dem Bayern die Null. Und dann wartete alles im Stadion auf einen Elfmeterpfiff: Pieter Gerkens wurde im Strafraum von der laufenden Schrankwand Niklas Süle umgestoßen - oder lief er nur gegen letzteren? Die Interpretationen gingen da auseinander. Schiedsrichter Anthony Taylor entschied sich jedenfalls gegen einen Strafstoß (41.).
Anderlecht stellte eindrucksvoll unter Beweis, wie man den zuletzt so dominanten FC Bayern München nicht nur kontrollieren, sondern gar dominieren kann: Mit viel Pressing, aggressiver Zweikampfführung und schnellen Pässen ins Sturmzentrum setze der RSC dem deutschen Rekordmeister zu. Dort, in der Abwehrmitte, standen Süle und Boateng mehrmals zu weit weg von ihren Gegnern, waren leicht zu überspielen. Nur die Abschlussschwäche der Belgier verhinderte einen Pausenrückstand des FCB.
Aus der Kabine kam dann ein verbesserter FC Bayern: strukturierter im Aufbau, energischer in den Zweikämpfen und mit Zug zum Tor. Gut fünf Minuten nach Wiederanpfiff zog James im Zentrum die Gegner auf sich, spielte damit Tolisso frei, der hatte die Übersicht und bediente den völlig freistehenden Robert Lewandowski. Der ließ sich fünf Meter vor dem Tor eine solche Gelegenheiten nicht nehmen - die Führung für den FC Bayern (51.). Kurz danach hatte Anderlecht Glück: Der gelbverwarnte Uros Spajic fällte Robert Lewandowski - doch ein durchaus berechtigter Platzverweis blieb aus (60.).
So wird es mit einer Revanche gegen Paris schwer
Die Violetten berappelten sich schnell: Olivier Deschacht schlug eine präzise Flanke auf Lukasz Teodorczyk, der per Kopf auf Sofiane Hanni ablegte - und der machte den Ausgleich (63.). Verdutzte Gesichter beim FC Bayern. Wieder reichte ein langer Ball ins Abwehrzentrum, um die Bayern-Defensive auszuhebeln. Und dieses Mal machte der RSC auch etwas daraus. Teodorczyk vergab in der Folge noch eine weitere Großchance (76.), was sich rächen sollte. Denn wie aus dem Nichts flankte Joshua Kimmich einen Ball mit Effet an den Fünfmeterraum, wo Corentin Tolisso per Kopf die erneute Bayern-Führung herstellte (71.). Zwei Minuten vor dem Ende stocherte auf der anderen Seite Hamdi Harbaoui den Ball ins Tor, doch der Tunesier stand dabei nicht nur völlig frei, sondern auch knapp im Abseits.
So gewann der FC Bayern auch das neunte Pflichtspiel seit der Übernahme des Trainerpostens durch Jupp Heynckes mit einer Mischung aus beeindruckender Effizienz vor dem Tor und Dusel bei den zahlreichen Chancen des RSC am Ende mit 2:1 (0:0). Der Altvordere unter den deutschen Trainern sprach im Anschluss von einem "schlechten Spiel" seiner Mannschaft, der Sieg sei "kein Ruhmesblatt". Dass obendrein Thiago und Arjen Robben mit Blessuren ausschieden, dürfte die Laune von Heynckes nicht bessern. Gegen den nächsten Gruppengegner in der Königsklasse dürften ähnliche Fehler im Defensivverhalten hart bestraft werden: Paris Saint-Germain, das die Bayern im Hinspiel demütigte und damit den Abschied des damaligen FCB-Trainers Carlo Ancelotti beschleunigte, kommt mit breiter Brust und einem 7:1 gegen Celtic Glasgow nach München. Eine ganz andere Kragenweite als der RSC Anderlecht.