Sprachkünstler Dylan
14. Oktober 2016DW: Herr Roos, Sie haben sich viel, auch künstlerisch, mit dem Werk Bob Dylans beschäftigt, sowohl als Musiker als auch als Filmemacher und Philosoph - wie finden Sie die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees?
Theo Roos: Das stand ja schon lange an. Als Elfriede Jelinek den Preis 2004 bekommen hat, habe ich einen Film über sie gemacht. Und sie sagte mir damals, sie habe sich gewundert, dass Dylan den Preis nicht schon längst bekommen habe. Er wurde ja auch immer wieder vorgeschlagen. Ich finde, es war jetzt wirklich an der Zeit, dass er ihn bekommt.
Was macht Bob Dylan so viel preiswürdiger als die anderen Kandidaten, die schon seit Jahren favorisiert werden?
Was diesen besonderen Kick bei Dylan gibt, ist, dass er eben auch ein Sänger ist. Ein Performer. Er performt seine Lyrik und seine Dichtung. Das erinnert mich an die alten griechischen Rhapsoden, die umherwanderten und ihre Gedichte vortrugen, wie die von Homer. Und in dieser Dimension würde ich Dylan auch sehen. Als einen modernen Rhapsoden, der auf einer nie endenden Tour ist, immer um die Welt fährt und seine Dichtung vorträgt. Diese Mitgift der Musik, dass er seine Sprache mit Musik einfasst, dass sich das wechselseitig beeinflusst, dass er ein extremes Sound- und Sprachbewusstsein hat als Musiker und Textdichter - das macht seine Songs so besonders.
Bob Dylan war nicht immer nur der Good boy - er hat seine Fans oft verprellt und wurde sogar auf einem Konzert als Judas beschimpft. Dennoch steht er wie der Godfather der Folkmusik da, einer der wie kein anderer die Pop- und Rockmusik beeinflusst hat. Wie kommt diese Ikonisierung zustande?
Er hat sich immer dagegen gestellt, eine bestimmte Rolle einzunehmen. Man hat ihm schnell zugeschrieben, die Stimme einer Generation zu sein. Und er hat immer gesagt: "Nein, das bin ich nicht." Weil er natürlich wusste, wenn er so was annähme, stünde er unter einem bestimmten Zwang, diesen ganzen Leuten, die ihn verehren, zu dienen. Das fand ich immer toll, dass er das abgelehnt hat. Ich war auf vielen seiner Konzerte. Und man hat richtig gemerkt, wenn die Leute ihre Alt-68er-Nummern haben wollten wie "Blowing in the Wind", und die so ein bisschen Dylan-schunkeln wollten, dann hat er seine Songs selber zerstört, etwa indem er sie weggenuschelt hat oder ähnliches. Er hat immer polarisiert und wollte keinem Massenpublikum dienen.
Was war es, was Bob Dylan so von seinen Kollegen abhob?
Abgesehen vom sprachlichen und literarischen Wert ist Dylan für mich auch ein Philosoph. Man muss Dylan auch denken. Man kann ihn auch als Sprachkünstler genießen. Wie die Beat-Poeten damals, Kerouac oder Ginsberg - die dem Bewusstseinsstrom folgten. Darin ist Dylan auch ein Meister, dass er assoziativ Sprachwelten aufbaut. Dass er Kontexte in die Pop- und Folkmusik bringt, die vorher nie da waren. Er war radikal und hat die Folk- und Rockmusik für philosophische und literarische Gedanken geöffnet. Er hat, was die antiken Philosophen "Ethos" nannten: eine Haltung!
Sein Grundstein war das "Great American Songbook" (Sammlung amerikanischer Unterhaltungssongs der 1930er bis 1960er Jahre [Anmerk. d. Red]). Dort hat er gesehen, dass diese Folkdichtung eben auch Literatur ist. Da hat er sich hinein begeben und dies mit anderen Gedanken und literarischen Bildern auf eine neue Weise verarbeitet. Das hat dann diese wunderbaren Songs geschaffen. Das macht ihn aus, dass er in einem Song eine große Geschichte erzählen kann, alles in drei, vier Sätze verdichtet und das Ganze dann auch gedanklich interessant macht.
Zum ersten Mal ein Litertaurnobelpreis für einen Popmusiker - ein Schlag in den Nacken des Weltliteraturbetriebs?
Vielleicht sollten Schriftsteller wieder anfangen, Sänger zu werden. Es gab ja schon Anklänge. Literaten zitieren Popmusik etwa, man spricht ja auch von Popliteratur - also es ist schon ein bisschen zusammengewachsen. Dylan ist eine Jahrhundertstimme. So ein Album wie "Time out of Mind" (1997), das muss man einfach noch mal hören. Auf die Sprache achten. Das ist ganz große Literatur und ganz große Musik. Und da singt auch noch eine große Stimme. Wobei man sich ja oft darüber lustig macht, dass sie klingt wie aus dem Hinterhof einer Lungenheilanstalt, und dieses Näseln. Im Übrigen war er der erste Rapper. "Subterranean Homesick Blues" war der erste Rap! (zitiert: "Johnny's in the basement, Mixing up the medicine, I'm on the pavement, thinking about the government…")
Ist der Nobelpreis für Bob Dylan Motivation für Tausende Singer-Songwriter, deren Lyrik bisher nicht so im Fokus stand?
Wer weiß - vielleicht werden jetzt öfter Singer-Songwriter den Literaturnobelpreis bekommen.