Duell der Sterne
22. November 2014Nach 18 Rennen als Vorspiel muss ein Duell in der Dämmerung den Titel-Zweikampf zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg entscheiden. Auf dem Yas Marina Circuit von Abu Dhabi will der deutsche Mercedes-Fahrer am Sonntag (Start 14 Uhr MEZ, Rennen im DW-Liveticker) seinen britischen Teamrivalen auf den letzten Kilometern dieser Formel-1-Saison doch noch abfangen und sich zum ersten Mal zum Weltmeister krönen. "Es ist erst vorbei, wenn die Zielflagge fällt", sagt Rosberg vor dem Wüsten-Krimi, der noch im Hellen beginnt und erst in der Dunkelheit enden wird.
Doch der 29-Jährige benötigt Schützenhilfe, um als dritter Deutscher nach Michael Schumacher und Sebastian Vettel Champion zu werden. Der gleichaltrige Hamilton liegt 17 Zähler vor Rosberg. Ein komfortabler Vorsprung, wäre da nicht die Verdopplung der Punkte beim letzten WM-Lauf. Statt 25 Punkten bekommt der Sieger in Abu Dhabi 50 Zähler gut geschrieben, der Zweitplatzierte 36 Punkte. Daher würde Hamilton ein zweiter Rang auch bei einem Erfolg Rosbergs zum Titelgewinn reichen. Schlechter darf er aber nur dann sein, wenn Rosberg nicht gewinnt.
Rosberg: "Habe keine Angst"
Ans Verlieren will Rosberg jedoch nicht denken und von Nervosität nichts wissen. "Ich gehe ohne Angst in dieses Rennen. Ich glaube fest daran, dass ich den Titel gewinnen kann", beteuert Rosberg, dessen Vater Keke vor 32 Jahren im Williams den WM-Titel holte. Zuversicht kann Rosberg junior aus seinem fehlerfreien Rennen in Brasilien ziehen, als er Hamilton endlich wieder besiegen konnte und der Engländer sich sogar einen groben Fahrfehler leistete.
Ein erneuter Patzer könnte den WM-Spitzenreiter doch noch um den zweiten Titel bringen, dem er seit seinem Triumph von 2008 mit McLaren nachjagt. "Ehrlich gesagt fühlt es sich für mich so an, als ob ich erneut um meine erste Weltmeisterschaft kämpfen würde", sagt Hamilton und fügt hinzu: "Ich habe noch den gleichen Hunger, den gleichen Siegeswillen und ich habe in dieser Saison von Anfang an alles gegeben." Mit 10:5-Saisonsiegen liegt Hamilton im teaminternen Vergleich klar vorn. Doch trotz einer Schwächephase im September und Oktober hielten Rosbergs Konstanz und Beharrlichkeit die Titel-Hoffnung des Deutschen bis zum Schluss am Leben.
Psychospielchen vor dem Rennen
"Lewis hat alles zu verlieren, ich habe alles zu gewinnen", sagt Rosberg und zieht sich auf die Rolle des Außenseiters zurück. "Ich glaube an den Titel und bin optimistisch. In meiner Karriere ist das bis jetzt der Höhepunkt. Das ist ein richtig cooles Gefühl, das macht das Wochenende intensiv." Bevor es aber auf der Rennstrecke richtig rund geht, werden sich die beiden Kontrahenten noch ein paar Mal über den Weg laufen - sehr zur Freude von Rosberg: "Es ist sehr gut, wenn ich ihn bei den Briefings sehe. Ich muss ja versuchen, ihn so gut wie möglich nervös zu machen dieses Wochenende. Das ist ja meine Aufgabe. Da hilft es, dass wir die ganze Zeit zusammensitzen." Ein Gespräch unter vier Augen wird es aber wohl nicht geben.
"Hier zu gewinnen, das ist für mich das Entscheidende", stellt Rosberg klar - und kündigt gleichzeitig an, sich bei einem direkten Duell mit aller Macht verteidigen zu wollen. Trotzdem soll das Titelrennen sportlich entschieden werden. Rosberg möchte nicht von einem Hamilton-Ausfall profitieren. "Nein, ich würde mich nicht darüber freuen", sagt Rosberg. Es sei denn, so der Herausforderer, Hamilton scheide durch einen eigenen Fehler aus. "Dann ist es okay." In der bisherigen Saison hatte es immer wieder kleinere Reibereien zwischen den beiden Kontrahenten gegeben. Höhepunkt war der offenbar mutwillig von Rosberg herbeigeführte Zusammenstoß in Spa, bei dem Rosberg Hamilton mit dem Frontflügel einen Reifen aufschlitzte und ihm so die Chance auf den Sieg nahm. Der Deutsche musste sich anschließend beim gesamten Team entschuldigen und fährt seitdem "auf Bewährung".
Drahtseilakt fürs Team
Sollten beide Silberpfeil-Piloten fehlerlos fahren, wäre Rosberg auch im Falle eines Sieges auf die Hilfe anderer Fahrer angewiesen, um den Titel zu gewinnen. Daher wäre er über etwas Unterstützung von einem Landsmann nicht böse. Der noch amtierende Champion Sebastian Vettel, der vor dem Rennwochenende seinen Wechsel zu Ferrari bestätigte, stellte für seinen Red-Bull-Abschied den Angriff aufs Podium in Aussicht. "Wenn ich ihm irgendetwas Gutes tun kann an dem Wochenende, kann er gerne zu mir kommen: Was immer er braucht, um eine Riesenperformance abzuliefern", flachst Rosberg, der sich über die breite Unterstützung aus der Heimat freut: "Es sind ja nicht nur die bekannten Sportler, sondern von überall, auch in den sozialen Medien. Das ist toll und in diesem Maße neu für mich." Genauso wie seine Psychospielchen in Richtung Lewis Hamilton.
"Als Team dürfen wir uns glücklich schätzen, eine so begabte Fahrerpaarung zu haben", meint Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Einen seiner Piloten wird er am Sonntag feiern dürfen, den anderen trösten müssen. "Mir sind beide gleich wichtig", sagt Wolff diplomatisch. Für das Team wird das Finale zum Drahtseilakt. Peinlich genau werden alle Beteiligten darauf achten, dass keine Seite der Garage sich benachteiligt fühlen kann. Beide Autos, alle wichtigen Teile sollten gleich mehrfach gründlich überprüft werden, verfügte Team-Aufseher Niki Lauda. Eine WM-Entscheidung durch einen Technik-Defekt "wäre ein Alptraum", gesteht Wolff. Das Titelrennen solle auf der Strecke entschieden werden - und das ohne Zuhilfenahme der umstrittenen doppelten Punkte. 305,355 Kilometer noch - es geht um alles oder nichts für Lewis Hamilton und Nico Rosberg.
asz/sn (dpa, sid)