Drogen in den USA: Jessie und ihre Großtante
Cheryl (71) hat ihre Großnichte Jessie (3) adoptiert. Das Mädchen kam drogensüchtig zur Welt und litt nach der Geburt unter Entzugssymptomen. Von ihrer Mutter fehlt jede Spur. Eline van Nes aus Phoenix, Arizona.
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Jessie bleibt im Kindersitz des Autos, während Cheryl den Buggie aus dem Kofferraum holt, um mit dem Mädchen ins Einkaufszentrum zu gehen. Oft macht Cheryl das nicht, denn solche Ausflüge kosten die Rentnerin viel Kraft. Sie ist mit dem Kleinkind lieber zu Hause oder geht mit ihm auf den Spielplatz. Oder sie besuchen Jessies Schwester, die bei Verwandten zwei Häuser weiter wohnt.
Luftholen im anstrengenden Alltag
Eine Dreijährige aufzuziehen, ist viel verlangt von einer 71-Jährigen. In den USA müssen immer mehr Großeltern für ihre Enkel sorgen, weil die Eltern drogensüchtig sind, besonders durch Missbrauch von Opioiden, die auch in Schmerzmitteln vorkommen. Studien zufolge leben 12 Prozent aller Kinder im Bundesstaat Arizona bei Verwandten wie Großtante Cheryl, darunter neun Prozent bei ihren Großeltern.
Auf dem Behördenkram sitzenbleiben
Anfang Juli ist in den USA ein Gesetz in Kraft getreten, das Großeltern unterstützen soll, die ihre Enkel großziehen. Dazu gehören zum Beispiel Informationen über Sorgerecht, Sozialleistungen und psychotherapeutische Unterstützung. Doch ein Problem beseitigt es nicht: Angehörige, die ein Kind großziehen, bekommen nicht die selbe finanzielle Unterstützung wie Pflegeeltern.
Ein bisschen Spaß muss lange reichen
Jessie war etwas ängstlich, bevor sie sich das erste Mal aufs Karussell getraut hat. Als Cheryl die Tickets kaufte, erkundigte sich der Mann an der Kasse nach Jessie. "Sie ist meine Tochter", hat Cheryl geantwortet. Sie glaubt, dass die leibliche Mutter des Mädchens noch lebt, aber sie weiß nicht, ob und wo sie einen Entzug macht: "Das letzte Mal wurde sie im vergangenen Herbst gesehen."
Dafür sorgen, dass es weitergeht
Cheryl ist sich bewusst, dass sie wegen ihres Alters vermutlich nicht mehr erlebt, dass Jessie erwachsen wird. Sie hat gesundheitliche Probleme und das Leben mit Jessie erschöpft sie - aber es bringt ihr auch viel Freude. Cheryl glaubt, dass es für das Mädchen wichtig ist, bei der Familie aufzuwachsen statt bei Fremden. Wenn Cheryl stirbt, wird ihr Sohn, Jessies Onkel, für die Kleine sorgen.
Sonntagsfreuden
Sonntags besuchen Cheryl und Jessie eine Kirche der Presbyterianer. Jessie ist zu klein, um am Gottesdienst teilzunehmen, sie geht in den Kindergottesdienst, die Sonntagsschule. Danach treffen sie sich mit anderen Familien im Gemeindesaal. Die Kirche unterstützt Cheryl. Sie hat drei Ehemänner und einen Sohn durch Drogenmissbrauch verloren. Jessie ist ihre letzte Berufung, glaubt Cheryl.
Mama ein bisschen rumschubsen
Cheryl hat dauerhafte Rückenprobleme, Arthritis in den Händen und Ischiasbeschwerden in beiden Beinen. Sie trägt eine Rückenstütze, die die Schmerzen lindern hilft, braucht aber zusätzlich Schmerzmittel und andere Medikamente. Anders geht es nicht - vor allem, wenn ein Kleinkind mit ihr spielen und sie auch mal ein bisschen vor sich hertreiben will.
Happy Birthday!
Jessie hat Geburtstag - sie wird drei Jahre alt. Cheryl hat nur wenige Gäste eingeladen, damit die Feier das Mädchen nicht überfordert. Jessie hat noch zwei leibliche Geschwister: Ihre ältere Schwester lebt bei Cheryls Bruder und seiner Frau. Aber sie konnten nicht zwei Kinder aufnehmen. Jessies kleiner Bruder ist von einer fremden Familie adoptiert worden.
Zur Ruhe kommen
Unmittelbar bevor bei Jessies Mutter die Geburtswehen einsetzten, hatte sie noch mal Methamphetamin genommen. Als Jessie auf die Welt kam, schrie und weinte und zuckte sie - typische Entzugserscheinungen. Seitdem muss Jessie mit jeder Menge Gesundheitsproblemen zurechtkommen. Sie steht immer noch unter ärztlicher Beobachtung, um weitere Schädigungen auszuschließen.