Dreister Diebstahl im Herzen der Hauptstadt
22. April 2005In Berlin ist am Dienstag (19.4.2005) ein Fahrrad geklaut worden. Ein Delikt, das in die Rubrik Alltagskriminalität fällt. Allein 2004 wurden der Hauptstadt-Polizei 22.300 Diebstähle dieser Art gemeldet. Macht 61 entwendete Räder pro Tag. Das Besondere an dem vorliegenden Fall liegt in der Person des Opfers und den Tatumständen. Der seines umweltfreundlichen Gefährts verlustig Gegangene ist nämlich der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele von der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Und das gestohlene Objekt befand sich zum Zeitpunkt seines illegalen Verschwindens vor dem Osteingang des Reichstagsgebäudes, in dem der Bundestag seinen Sitz hat.
Skandalöser Vorfall
Dieser Ort gehört zu den am besten geschützten Berlins, wovon zahlreiche uniformierte Polizei-Beamte künden und etliche Kameras, die an dem Gebäude angebracht sind. Trotz dieser Sicherheitsmaßnahmen konnte das Unvorstellbare geschehen. Ein skandalöser Vorfall, der nach Aufklärung schreit.
Zunächst gilt unser Mitgefühl einem Mann, der unter dem Verlust seines heiß geliebten Fahrrads leidet, das er mit liebevollen Details ausgestattet hat: einem von ihm selbst genähten braunen Sattel-Bezug sowie zwei Aufklebern: "Erststimme Ströbele" und "taz – eine linke Tageszeitung". Lauter gute Gründe, wehmütig um den armen Drahtesel zu trauern. Zeugt der Sattel-Bezug doch vom kreativen Potential eines phantasievollen Volksvertreters. Und die Slogans auf den Aufklebern sind mehr als flotte Sprüche. Denn Ströbele gewann als einziger Grüner ein Bundestags-Direktmandat und gehörte einst zu den Mitbegründern der alternativen "taz".
Wenig Chancen auf ein Happy End
Das geklaute Rad ist also nicht irgendein austauschbares Verkehrsmittel. Nein, das Rad gehört zur Persönlichkeit und zum Image eines Politikers, der nur selten und ungern die Fahrbereitschaft des Bundestages in Anspruch nimmt. Lieber radelt er aus Kreuzberg kommend zu Bundestags-Debatten oder auf Demos. Die Chancen auf ein Happy End stehen allerdings schlecht, denn nur fünf Prozent aller Fahrrad-Diebstähle werden aufgeklärt. Eingedenk dieser entmutigend geringen Wahrscheinlichkeit auf ein Wiedersehen will der Rechtsanwalt Ströbele auf eine Anzeige verzichten und hat einen Finderlohn ausgelobt.
Unschätzbarer ideeller Wert
Sollte der dreiste Dieb diese Zeilen lesen, möge er in sich gehen. Auf dem Schwarzmarkt ist das Diebesgut wegen seines nunmehr großen Bekanntheitsgrades sowieso unverkäuflich, also wertlos. Für den rechtmäßigen Besitzer indes hat es einen unschätzbaren ideellen Wert. Das Beste wäre also, der reumütige Sünder bringt das Rad zurück zum Reichstag. Die dort patrouillierenden Polizisten, die den Raub nicht verhindert haben, drücken bestimmt beide Augen zu.