Windenergie flaut deutlich ab
14. Juni 2019Wenn der Bau der Windanlagen weiter derart einbricht, seien tausende Arbeitsplätze gefährdet, warnen Branchenvertreter. Rund 160.000 Menschen arbeiten noch für die deutsche Windindustrie, aber die Zukunft sehe düster aus, weil in Deutschland kaum mehr Windanlagen gebaut würden.
"Wir leiden derzeit sehr stark unter zurückgehenden Aufträgen. Es gibt kaum noch Genehmigungen für neue Windanlagen", sagt Heinrich Bartelt vom Bundesverband Windenergie der DW. "Wir haben erste Insolvenzen; Mitarbeiter werden entlassen."
Wurden 2017 in Deutschland noch Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 6,6 Gigawatt (GW) gebaut, waren es 2018 nur noch knapp die Hälfte. Für 2019 werde man bereits deutlich unter einem Gigawatt liegen, warnt Stefan Gsänger, Generalsekretär vom Weltwindenergieverband (WWEA).
Um Kohle, Öl und Gas zu ersetzen und das Klimaziel von 1,5 Grad zu erreichen, müssten in Deutschland neun GW Windkraft pro Jahr dazukommen, hat Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, in einer Studie berechnet.
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Gesetzesänderung bremst Windausbau
Seit dem Jahr 2000 gibt es in Deutschland das Energieeinspeisegesetz (EEG), das über 20 Jahre eine festgelegte Vergütung für die Stromerzeugung mit Wind und Sonne garantiert. Bürger, Landwirte, Genossenschaften und kleine Kommunen konnten so ohne großes Risiko in die saubere Energieerzeugung investieren.
Rund 1,5 Millionen Bürger wurden Eigentümer von Wind- und Solaranlagen. Die deutsche Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien liegt deshalb vor allem in Bürgerhand. Die vier großen Stromkonzerne (RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall) investierten dagegen kaum und besitzen aus diesem Grund nur einen kleinen Anteil an den Windparks (Onshore) in Deutschland.
Durch die neue Konkurrenz der Erneuerbaren gingen ihnen große Marktanteile im Stromgeschäft verloren. Der Anteil der erneuerbaren Energien im Netz liegt heute bei 40 Prozent; vor 20 Jahren waren es nur sieben Prozent.
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2016 beschloss die große Koalition einen Paradigmenwechsel in der Energiepolitik durch ein stark verändertes Fördersystem. SPD und CDU verständigten sich im Koalitionsvertrag auf Obergrenzen beim Ausbau von erneuerbaren Energien. Es gab die Befürchtung, dass die Energiewende bei einem schnellen Ausbau zu teuer würde und zugleich Kohleregionen und alte Energiekonzerne viel verlieren könnten. Nun wird über Wettbewerbsverfahren gesteuert, wer überhaupt noch Windanlagen bauen darf.
"Das ist ein sehr unglücklicher Wechsel. Dabei sind viele Akteure verloren gegangen und es gibt viele Unsicherheiten," sagt Bartelt.
Kompliziert und teuer
Die vier großen Stromkonzerne hätten die Erneuerbaren und deren Dynamik unterschätzt. "Man will die großen Energieversorger schützen. Sie sollen nicht so sehr unter der Energiewende leiden," sagt Bartelt und sieht darin den Hauptgrund für die Gesetzesänderung.
Die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer (SPD) sah die Gesetzesänderung, die von ihrer Partei mitgetragen wurde, von Anfang an kritisch. Die Umwelt- und Energieexpertin sieht ihre Befürchtungen nun bestätigt. "Der breit angelegte Ausbau der Erneuerbaren wie in den Vorjahren funktioniert so nicht mehr. Der Ausbau wurde verkompliziert und der Kreis der Akteure verengt."
Durch die Gesetzesänderung stiegen zudem die Kosten für die Entwicklung von Windparks sowie die Kosten für die Stromverbraucher. Scheer will die Beteiligung der Bürger an Wind- und Solarparks durch den Abbau von Hemmnissen wieder fördern und damit den Ausbau von erneuerbaren Energien wieder anschieben.
Deutschland als schlechtes Vorbild?
Die deutsche Energiewende mit Einspeisegesetz EEG gilt bisher als weltweites Vorbild: "Über 70 Länder haben dieses Einspeisemodell übernommen und es hat in sehr vielen Ländern die Windindustrie wirklich nach vorne gebracht. Heute spielt die Windenergie dort eine substantielle Rolle", sagt Gsänger.
"Leider stellen wir jetzt aber auch fest, dass viele dem deutschen Weg folgen und ebenfalls diese Wettbewerbsverfahren mit Ausschreibungen einführen. Das sorgt dann überall für ähnliche Probleme wie in Deutschland," ergänzt der WWEA-Generalsekretär.
Als ein Beispiel nennt er Indien. "Die Preise für die Errichtung von Windparks steigen dort, es gibt nicht mehr genug Investoren und der erforderliche Ausbau kommt nicht wie gewünscht voran", so Gsänger.
"Wichtig ist für den Erfolg und Akzeptanz der erneuerbaren Energien, dass möglichst breite Schichten der Gesellschaft selbst partizipieren und einen direkten konkreten Vorteil haben. Und da ist der einfache Einspeisetarif im Moment das erste Mittel der Wahl", so Gsänger gegenüber der DW.
Hans-Josef Fell, der vor 20 Jahren als grüner Abgeordneter im Bundestag das deutsche EEG fraktionsübergreifend entwickelt hatte, empfiehlt ebenfalls ein möglichst einfaches Vergütungssystem, damit "alle großen und kleinen Investoren dezentral die Möglichkeit haben zu investieren."
Laut Fell treiben Südamerika und China ihre Energiewende derzeit erfolgreich voran. China ist schon seit Jahren führend beim Ausbau der erneuerbaren Energien und hat die Vorreiterrolle von Europa übernommen. Rund die Hälfte aller neuen Photovoltaik und Windanlagen in der Welt werden derzeit in China aufgestellt.