Neue Regierung im Kongo: Ehrgeizige Ziele, viel Ernüchterung
20. September 2024Vor 100 Tagen nahm die erste von einer Frau geführte Regierung der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) ihre Arbeit auf: Judith Suminwa Tulukas Team umfasst 54 Mitglieder, darunter 18 Frauen. Grundlage der neuen Regierungsarbeit ist ein auf sechs Säulen gestütztes Programm: nationale Ökonomie, Sicherheit, Raumplanung, soziales Wohlergehen, Aufbau von Kapazitäten der Bevölkerung sowie verantwortungsvoller Umgang mit dem Ökosystem.
Milliardenschweres Investitionsprogramm
"Es ist noch sehr früh, um wirklich über ihre Bilanz an der Spitze der Regierung zu sprechen", sagt Trésor Kibangula, politischer Analyst beim kongolesischen Forschungsinstitut Ebuteli. "Konkrete Ergebnisse brauchen oft mehr Zeit, um sich zu materialisieren." Trotzdem seien in den gut drei Monaten bereits Maßnahmen etwa für die Wirtschaft ergriffen worden - "insbesondere, um die Einfuhrsteuern zu senken, die Kaufkraft zu stärken und die Lebensmittelpreise zu senken", so der Analyst. Als guten Schritt bewertet er auch, dass elf Regierungsmitglieder als sogenannte Technokraten rein wegen ihrer Expertise ausgewählt wurden.
Suminwa Tuluka hat ein äußerst ehrgeiziges Investitionsprogramm angekündigt - den Umfang veranschlagt sie auf fast 93 Milliarden US-Dollar für die nächsten fünf Jahre. Die Premierministerin versuche hier, die "Zusagen und Verpflichtungen von Präsident Felix Tshisekedi in konkrete Taten umzusetzen", sagt Kibangula. "Er hat mehr Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und mehr Kaufkraft versprochen. Außerdem eine integrativere Wirtschaft und eine bessere Effizienz der öffentlichen Dienstleistungen."
(Am 16. September 2024 bringt Suminwa Tuluka drei Gesetzentwürfe in die Nationalversammlung ein: für das Haushaltsgesetz 2025, für das Gesetz über die Rechnungslegung 2024 und für das Berichtigungshaushaltsgesetz 2024.)
Zufrieden ist anders: "Der Fisch stinkt vom Kopfe her"
Die Regierung selbst findet für ihr Programm erwartungsgemäß lobende Worte, Beobachter eher weniger. Und die Opposition - ebenfalls erwartungsgemäß - schon gar nicht: Die Partei "Zusammen für die Republik" von Moïse Katumbi ist der Ansicht, die kongolesischen Behörden würden vor allem die Ressourcen unter sich aufteilen, während die Bevölkerung im Elend lebt. "Der Fisch stinkt vom Kopfe her", sagt Parteisprecher Hervé Diakiese gegenüber der DW. "Wenn man sich die soziale Lage und die wirtschaftliche Not unserer Bevölkerung ansieht, die anhaltende Korruption, Mangel und Verfall der Infrastruktur - dann ist die Bilanz weitgehend negativ."
"Diese Regierung hat mit Worten und Versprechungen geglänzt", sagt Jonas Tshiombela. Er ist der nationale Koordinator der "Neuen kongolesischen Zivilgesellschaft", einer Plattform zivilgesellschaftlicher Organisationen. "Die einzige Bilanz, die wir von dieser Regierung haben, sind Reden und diese Art von Hilflosigkeit gegenüber den diplomatischen Fragen zum Krieg im Osten. Es gibt nichts Konsequentes zu verzeichnen, was zum Nutzen der Bevölkerung getan worden wäre".
Ende Juni, nur wenige Tage nach ihrer Amtseinführung, besuchte Suminwa Tuluka den unsicheren Osten der DR Kongo. "Ich denke an all diese Menschen, und mein Herz schlägt für sie", hatte sie in ihrer ersten Rede im staatlichen Fernsehen gesagt - und versprochen, sich für Frieden einzusetzen.
DR Kongo und Ruanda: Hoffnung auf Friedensabkommen
Die gute Nachricht: Das Interesse und das Engagement, gemeinsam nach einer nachhaltigen Lösung für den Konflikt zu suchen, ist offenbar vorhanden. Am 4. August 2024 sind Waffenstillstandsvereinbarungen zwischen der DR Kongo und Ruanda in Kraft getreten. Und am 9. und 10. September haben sich Vertreter beider Seiten unter Vermittlung Angolas in Luanda getroffen. Das große Ziel: ein Friedensabkommen, das den Konflikt im Osten der DR Kongo beenden soll.
"Der Luanda-Prozess wurde neu belebt", sagt Ebuteli-Analyst Trésor Kibangula. "Ruanda und der Kongo diskutieren über ein Abkommen, das vielleicht die ruandischen Truppen dazu bringen könnte, kongolesischen Boden zu verlassen." Beim sogenannten Luanda-Friedensprozess 2022 war die Forderung nach einem nachhaltigen Waffenstillstand allerdings nicht erfüllt worden. Und auch jetzt bleiben die Beobachter skeptisch: "Das Echo, das wir erhalten haben, zeigt, dass es noch keinen entscheidenden Fortschritt gibt", so Kibangula.
An der Grenze zu Ruanda im Ostkongo kämpft die kongolesische Armee unter anderem gegen Rebellen der sogenannten M23 - und das ist nur eine von weit über 100 bewaffneten Gruppen im Osten des Landes. Die DR Kongo, die Vereinten Nationen und westliche Länder beschuldigen Ruanda seit Jahren, die M23-Rebellen zu unterstützen, um die lukrativen Bodenschätze der Region zu kontrollieren. Kigali bestreitet diese Vorwürfe. Der schon lange andauernde Konflikt hat zu einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt geführt.
Umgang mit Mpox: Sorge vor Veruntreuung von Hilfsgeldern
Neben der Wirtschaftslage, den sozialen Problemen und dem Konflikt im Ostkongo ist - gezwungenermaßen - auch die Mpox-Epidemie weit oben auf dem Zettel der neuen Regierung: Von der DR Kongo aus verbreitete sich das Mpox-Virus in Afrika. Auch Deutschland hat 100.000 Impfdosen gespendet. Doch der Impfstoff kommt offenbar nicht so schnell bei den Menschen an wie benötigt, es gab Verzögerungen.
Analyst Trésor Kibangula äußert Sorgen bezüglich der "Undurchsichtigkeit bei der Verwaltung der finanziellen Ressourcen", die zur Eindämmung der Epidemie eingesetzt werden. "Vergangene Epidemien haben gezeigt: Das Geld landet oft in den Taschen der Politiker." Der ehemalige Gesundheitsminister Oly Ilunga Kalenga war 2019 wegen Missbrauch von Ebola-Hilfsgeldern und Korruption zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Vor allem die zivilgesellschaftlichen Organisationen seien hier in der Verantwortung, wachsam zu bleiben und die Geldflüsse zu überwachen.
"Die 100 Tage von Judith Suminwa lassen uns noch durstig zurück"
Trotz einer bisher doch eher ernüchternden 100-Tage-Bilanz: Viele Kongolesen sind weiterhin der Meinung, dass man Suminwa Tuluka noch Zeit geben muss. Und vor allem die Kongolesinnen hoffen, - und trauen ihr auch zu - dass sie es besser machen kann als ihre Vorgänger: "Es gibt Männer, die sagen, dass Frauen nicht können, was sie tun", so die Studentin Sefora Wameh in Kinshasa zur DW. "Aber ich glaube fest daran, dass wir Frauen dieses Mal die Möglichkeit haben, es besser zu machen als die Männer."
In Suminwa Tulukas eigener Regierungspartei UDPS äußert man sich betont vorsichtig: "Es gibt immerhin einige Minister, die sich unter den anderen hervortun", erklärt etwa der UDPS-Abgeordnete Adolphe Amisi Makutano gegenüber der DW. "Der Finanzminister, der Justizminister und der Innenminister. Auch die anderen bemühen sich, aber ihre Taten sind noch nicht sichtbar." Man müsse ihre "Gesamtvision" erst noch erkennen. "Die 100 Tage von Judith Suminwa lassen uns also immer noch durstig zurück."
Mitarbeit: Eric Topona, Jean Noel Ba-Mweze (Kinshasa)