Dompteurin im Cyber-Zirkus: Madonna in Berlin
10. November 2001Spätestens als Madonna mit ihrer Familie am Montag in Berlin-Tempelhof gelandet war, griff in Deutschland das Madonna-Fieber um sich. Die US-amerikanische Künstlerin befindet sich derzeitig auf Welttournee und gibt nach elf Jahren Pause auch wieder Konzerte in Deutschland. Nach einem furiosen Auftakt in Barcelona konnte Madonna auch in Berlin überzeugen, dass sie die unangefochtene "Queen of Pop" ist. Mit einer extravaganten High-Tech-Show, in der asiatische Kampfsportarten mit Flamenco, oder Country mit Punk-Rock gemischt werden, begeisterte das Pop-Chamäleon die Fans.
Schon die Vorbereitungen für die vier Berlin-Konzerte der "Drowned World Tour" in der Max-Schmeling-Halle im Bezirk Prenzlauer Berg wiesen auf eine Show der Superlative hin. Über 200 Helfer mühten sich ab, um den Inhalt der 20 Sattelschlepper in die Sportarena zu verfrachten und aufzubauen. Das gesamte Gebäude wurde bereits Tage zuvor von Sicherheitskräften abgeriegelt. Nicht einmal Journalisten war es gestattet, die Aufbauarbeiten zu beobachten: "Die Amis haben Angst, dass jemand ihnen ihre Tricks abguckt", erklärte der Konzertveranstalter Marek Lieberberg. Auch der Ticketverkauf machte deutlich, dass es sich hier um eine Veranstaltung der besonderen Art handelt: 43.200 Karten waren binnen Stunden ausverkauft und die Schwarzmarktpreise stiegen danach auf bis zu 1.500 Mark.
Um so gespannter war das Publikum, darunter viele Promis wie der soeben gewählte Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, als Frau Ciccone mit halbstündiger Verspätung unter Blitzlichtgewitter und Donnerbeats auf einer Hebebühne emporschwebte. Sechs riesige Video-Bildschirme sowie eine gigantische Licht- und Nebelanlage setzten sie - Deus ex Machina - in Szene. Was folgte, war eine 100-minütige Show, in der die Popsängerin mit 10 Tänzern und der eigenen Band Hits ihres letzen Albums "Ray of Light" und "Music" darbot. Schon vor dem Konzert hatte Madonna betont, dass es sich um "eine theatralische Präsentation ihrer Musik" handele. Auch modisch setzte die Verwandlungsartistin wieder einmal Akzente, indem sie von einer Punk-Rockerin über eine Geisha bis hin zum nietenbeschlagenen Cyberpunk-Cowgirl mutierte. Modeschöpfer wie Jean Paul Gaultier oder Dan und Dan Caten taten ihr Bestes.
"Ich fühle mich wie ein Tier, kurz bevor es den Käfig verlässt", so beschreibt Madonna ihre momentane Befindlichkeit. Als Mutter zweier Kinder und Ehefrau des britischen Filmregisseurs Guy Ritchie hatte sie in den letzten Jahren eine eher unauffällige häusliche Existenz geführt. Man merkt ihr an, dass sie trotz des ungeschlagenen Erfolgs und trotzt ihres Alters von 42 Jahren wieder einmal die große Herausforderung suchte. Und dass, obwohl ihr das Tourleben eigentlich gar keinen besonderen Spaß macht. Auf der Bühne hat Madonna nicht nur die Rolle des wildgewordenen Tieres. Vielmehr ist sie es selbst, die in ihrem eigenen virtuellen Cyber-Zirkus als Dompteurin auftritt und die tobenden Massen nach Lust und Laune bändigt. Ihre unnachahmliche erotische Aura ist ungebrochen, obwohl sie diese nicht mehr so plakativ wie früher einsetzt.
Doch bei all dem Perfektionismus wurden nach dem Konzert auch kritische Stimmen laut. Trotz der frenetisch jubelnden Masse fiel es der Popqueen scheinbar schwer, ein paar persönliche Wörter an ihr Publikum zu richten. Außer "Fuck off, motherfuckers!" war nicht viel zu hören. Zudem war ihre erste Zugabe auch schon die letzte. So schnell sie auf der Bühne erschienen war, war sie auch wieder verschwunden. Mit solchen Allüren will Madonna wohl auch deutlich machen, dass es an der Zeit ist, in die Klasse der Super-Diven einer Marlene Dietrich oder Maria Callas aufzusteigen.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Madonna bei all dem Hightech-Zirkus, mit dem sie sich ständig neu erfindet, auch Mittel anwendet, mit denen kaum einer gerechnet hatte. Einen Überraschungscoup landete sie mit ihrem erst kürzlich erlernten Gitarrenspiel. Erinnerungen wurden wach an eine Zeit, die noch nicht von MTVV und multimedialen Reproduktionstechniken der Musikindustrie beherrscht wurde. Einmal mehr hat Madonna damit gezeigt, dass sie in ihrer Kunst postmodern ist und eben geheimnisvoll bleibt.