Griechenland in der Post-Krise
12. März 2018Menelaos Karamaghiolis sieht zufrieden aus. Eben gerade ging die zweite Vorführung seines neuen Films Die Rückkehr zu Ende, der auf dem diesjährigen 20. Dokumentarfilmfestival in Thessaloniki seine Weltpremiere feierte. Beide Vorstellungen waren gut besucht und das Publikum hat im Anschluss interessiert Fragen gestellt. Karamaghiolis zählt zu den wichtigsten und renommiertesten Dokumentaristen Griechenlands.
In Die Rückkehr widmet sich der 55-jährige dem griechischen Jugendvollzug. Zentrum der Handlung ist ein Gefängnis für straffällig gewordene, junge Männer. Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund oder stammen aus den wirtschaftlich schwachen Schichten Griechenlands, eines Landes, in dem eine soziale Absicherung durch den Staat faktisch nicht vorhanden ist. Ausgerechnet im Gefängnis kommen die jungen Erwachsenen - häufig zum ersten Mal - in Kontakt mit Bildung und Kultur. Sie gehen zur Schule und ein engagierter Schauspieler hat eine Theatergruppe für sie gegründet – freiwillig und unentgeltlich.
Kreativer Umgang mit staatlichen Institutionen
Durch das Theaterspielen geraten die jungen Männer in Kontakt mit sich selbst, reflektieren ihre Situation und ziehen Alternativen in Betracht. "Die Insassen haben in der Regel eine sehr beschränkte Sichtweise auf die Welt. Wenn sie dann vor Publikum auftreten, werden sie auf einmal von Menschen wahrgenommen, von denen sie normalerweise einfach verurteilt werden", erklärt Karamaghiolis. Nach den Vorstellungen käme es zu persönlichem Kontakt zwischen Insassen und Zuschauern. "Ein Prozess der Individualisierung wird in Gang gesetzt und es werden Grundlagen für einen (Re)Sozialisierungsprozess gelegt."
Bewusst hält sich Karamaghiolis mit der Kamera im Hintergrund. Seine Sicht auf die Dinge soll objektiv bleiben. Damit gibt er dem Zuschauer einen unverfälschten Eindruck von den tiefen Gräben zwischen der griechischen Gesellschaft und dem Staat.
Krisenreflexion nach den Schockjahren
Für Eleni Androtsopoulou, Leiterin des griechischen Programms des Thessaloniker Festivals, machen solche Filme die Qualität des Festivals aus. Es gehe darum, den griechischen und ausländischen Besuchern möglichst vielfältige Einblicke in das Land zu gewähren und Hintergründe zu verstehen.
Gerade in diesem Jahr wird deutlich: Griechenland hat sich entwickelt. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise hatten sich die Kameras der Filmemacher vor allem auf die wirtschaftliche Misere im eigenen Land gerichtet. Deutschland spielte dabei primär die Rolle des Schuldigen. "Das waren die erste Schockjahre der Krise", erinnert sich Androtsopoulou. Doch man habe sich entwickelt. "Die griechischen Filmemacher sind internationaler geworden. Es gibt viele Koproduktionen mit anderen europäischen Ländern. Man hat begonnen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen."
In der Tat sieht man im Abspann der mehr als 80 griechischen Festivalbeiträgen häufig die Logos deutscher Medien- und Filmförderungsanstalten. Dabei geht es um weit mehr als reine Finanzierung. Die griechische Sicht auf die Krise ist einer Reflexion auf europäischer Ebene gewichen. "Die Regisseure heute befassen sich weniger mit direkten Auswirkungen der Krise, als mit gesellschaftlichen Transformierungsprozessen", erklärt Androtsopoulou.
Für die griechischen und nicht-griechischen Besucher ist das Festival somit auch ein Forum des Austausches. Dabei wird nicht nur ein Einblick in die griechische Lebenswelt gewährt. Regisseure aus aller Welt reisen nach Thessaloniki, um ihre Filme zu präsentieren, der jährliche Filmmarathon hat sich inzwischen zu einem der wichtigsten Events der Branche weltweit entwickelt. Deutlich wird dabei nicht zuletzt: Es gibt viele gemeinsame Herausforderungen.
Zentrale Fragen des medialen Zeitalters
Eine davon präsentiert der deutsche Regisseur Hans Block. Er ist zum ersten Mal in Thessaloniki und präsentiert seinen Film "The Cleaners" (gemeinsame Regie mit Moritz Riesewick). "Das Sundance-Festival war nicht so gut organisiert", lacht der 32-jährige in Erinnerung an die Weltpremiere seines Erstlingswerks auf dem amerikanischen Prestigefestival. Sein Film begleitet junge Filipinos in Manila, die als sogenannte 'Content Manager' arbeiten. Abgeschirmt von der Gesellschaft und von den Arbeitgebern zur Verschwiegenheit verpflichtet, entscheiden sie, welche visuellen Inhalte auf den sozialen Netzwerken geteilt werden dürfen, und welche nicht. Bis zu 25.000 Bilder pro Tag zensiert ein jeder von ihnen.
Dabei stellen Block und Riesewick eine zentrale Frage des medialen Zeitalters: Wer entscheidet, was wir sehen und was nicht? Kinderpornographie, islamistische Hinrichtungen, Selbstmord: Die Content Manager in Manila werden täglich mit allem konfrontiert, das in unserer Gesellschaft geächtet, verboten und tabuisert ist. Der Druck ist hoch. Einige bringen sich um.
"Ich hatte keine Ahnung, dass das Menschen sind, die den Content kontrollieren", sagt eine Zuschauerin nach dem Film. Und in der Tat scheint Facebook wenig Interesse daran zu zeigen, mit diesen Zensurpraktiken an die Öffentlichkeit zu gehen. "Wir haben ständig versucht, Facebook zu kontaktieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern. Eine Antwort haben wir nie bekommen", erklärt Block.
"Das Internet ist immer noch der Wilde Westen"
Die beiden Regisseure inszenieren "The Cleaners" wie einen Politthriller. Ranghohe Manager von Google werden interviewt, ohne sich wirklich zu den Problemen zu äußern. Ihnen gegenübergestellt wird der bizarre Arbeitsalltag der jungen, teils hochreligiösen Filipinos. Im realen Leben gebe es Institutionen wie Regierungen, Gerichte oder auch den Journalismus. Das Internet aber sei immer noch der Wilde Westen, meint Block.
Dabei fragt der Film, wie wir unseren demokratischen Grundwerten im Internet Form verleihen. Wo fängt Zensur an und wo endet Meinungsfreiheit? "Niemand will, dass wir eine völlig unzensierte soziale Plattform haben, wo die schlimmsten und unmenschlichsten Dinge zu sehen sind. Doch darf diese Verantwortung allein in den Händen einer privaten Firma liegen?", bedenkt der Regisseur.
Der Film bietet verstörende Einsichten in eine Welt, die zum einen fester Bestandteil unseres Alltags ist und gleichzeitig weit weg und kaum greifbar. In Thessaloniki war der Film nur einer von 180 Beiträgen, die die Komplexität unserer Zeit ein wenig greifbarer machen.