"Ist der Westbalkan nicht stabil, ist es Europa auch nicht"
11. Februar 2022"Russische Interessen (auf dem Westbalkan, Anm. d. Red.) sind sehr präsent, sie decken sich nicht mit europäischen Interessen. Russland versucht, den Beitritt der Länder des Westbalkans zur NATO und auch in die EU zu verhindern, und zwar indem es Instabilität verursacht und eingefrorene Konflikte aufrechterhält. Das können wir an vielen Orten der Welt beobachten, und so ist es auch hier. Insofern ist die offene Kontroverse zwischen Serbien und Kosovo durchaus im Interesse Russlands, und das gilt auch für die Situation in Bosnien. Hier wird das europäische Wertesystem auf die Probe gestellt."
Aus diesem Grund dürfe der Westen nicht tatenlos zusehen. Vielmehr sei eine proaktive Politik seitens der EU und der NATO auf dem Westbalkan notwendig, so Djukanovic:
"In der Geopolitik gibt es kein Vakuum. Entweder Sie leiten das Spiel, oder jemand anderes kommt herein, um das Spiel zu leiten. Es ist dabei logisch, dass die EU und die NATO das Spiel in der europäischen Region anführen.
Leider sind wir in letzter Zeit mit der Passivität der EU in dieser Region konfrontiert worden, was den Raum für andere Akteure geschaffen hat.
Man soll es nicht vergessen, dass hier unter dem Einfluss der russischen Politik der Nationalismus wiederauflebte. Nach der Niederlage in den 1990er Jahren wurde es ruhiger, aber jetzt ist der großserbische Nationalismus wieder da. Unter dem gleichen Deckmantel der angeblichen Gefährdung der Serben in der Region wird in Wirklichkeit die Souveränität der Nachbarstaaten, beginnend mit Montenegro, untergraben. So fing auch in den 1990er Jahren alles an. Das sollte verhindert werden und das liegt nicht nur im Interesse der Länder des Westbalkans, sondern auch im Interesse Europas."
Milo Djukanovic selbst ist nicht unumstritten. Der 60-jährige Politiker lenkt seit über 30 Jahren die Geschicke des gut 620.000 Einwohner zählenden Landes an der Adria – vier Mal als Premierminister und nun zum zweiten Mal als Präsident. Kritiker halten ihm vor, autokratisch zu regieren. Zudem macht man ihn für die grassierende Korruption, sowie die Unterdrückung der Pressefreiheit im Lande verantwortlich. Sogar direkte persönliche Verwicklungen in die organisierte Kriminalität wird ihm vorgeworfen - beweisen ließ sich das allerdings nie.
Andererseits war er maßgeblich daran beteiligt, Montenegro aus der Einflusszone Serbiens heraus und 2006 in die Unabhängigkeit zu führen. Seit 2012 laufen die EU-Beitrittsverhandlungen, seit 2017 ist das Land Mitglied der NATO. Auch deswegen wird Djukanovic seitens des Westens als ein Stabilitätsanker in der Region wahrgenommen.
Nach drei Jahrzehnten an der Macht verlor Djukanovics Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) bei den Wahlen im August 2020 die Mehrheit im Parlament und ging in die Opposition. Djukanovic selbst blieb Präsident, sein Mandat endet regulär erst im Mai 2022. Am 5. Februar stürzte die Expertenregierung von Zdravko Krivokapic nach 14 Monaten durch ein Misstrauensvotum.
Im DW-Interview sprach Djukanovic auch über die Folgen des Fehlens einer offensiveren EU-Politik im Hinblick auf die Annäherung des Westbalkans und die endgültige Mitgliedschaft dieser Länder in der EU.
"Das Hauptproblem des Westbalkans ist die Instabilität, und wir denken, dass es auf dem Westbalkan ein Gleichheitszeichen zwischen Stabilität und Integration gibt. Es ist sehr wichtig, dass Europa, das versteht. Denn wenn Europa das nicht als sein Interesse und seine Priorität begreift, wird es zum wachsenden Einfluss anderer Global Player beitragen. Es sind Akteure, die mit politischen Plattformen kommen, die gegen die EU sind. Es wird ein Wiederaufleben der Instabilität geben. Und wenn der Westbalkan nicht stabil ist, ist Europa auch nicht stabil. Man darf den Westbalkan nicht der destabilisierenden Politik anderer globaler politischer Akteure überlassen."
Das Interview führte Idro Seferi