Diskussion um Initiativen zur Demokratie-Förderung in Belarus
1. September 2005Anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung der polnischen Bewegung Solidarnosc haben sich in Polen zahlreiche europäische Politiker versammelt. Auf vielen Konferenzen und Treffen, die dem Aufbau der Demokratie in Osteuropa gewidmet waren, wurde nicht nur über die Errungenschaften der Vergangenheit, sondern auch über heutige Probleme gesprochen. Ganz oben auf der Tagesordnung steht Belarus, dessen Führung von der europäischen Gemeinschaft wegen ihrer totalitären Methoden verurteilt wird.
Westen braucht neue Belarus-Politik
Über den derzeitigen Stand der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Führung in Minsk sagte der deutsche Politikwissenschaftler und Osteuropa-Experte Rainer Lindner: "Es gibt zwei Ebenen. Es gibt einmal die formale Ebene der Nachbarschaftspolitik, die, wie wir wissen, auf Eis gelegt ist, die sich eben nicht in der Dynamik entwickeln konnte wie im Fall der Ukraine oder auch Moldova, ganz zu schweigen von Russland. Und es gibt die andere Ebene. Es gibt die Ebene der Erwartung der politischen Entwicklung, der Suche nach einer Strategie und der Kontaktaufnahme zu Akteuren, die für ein anderes Belarus stehen. Und diese beiden Ebenen müssen in Einklang gebracht werden. Sie müssen verbunden werden. Der Westen braucht eine neue Perspektive, eine neue Politik für Belarus. Er muss die richtigen Akteure ansprechen und versuchen, einen politischen Umbau in diesem Land zu befördern."
Nachbarländer müssen zusammenarbeiten
Der Experte des Warschauer Zentrums für Oststudien, Rafal Sadowski, betonte, ein gemeinsames Vorgehen der Nachbarländer zur Stärkung einer demokratischen Entwicklung in Belaus sei äußerst wichtig: "Ich denke, das die Zusammenarbeit zwischen den Nachbarstaaten Ukraine, Polen, Lettland und Litauen für die Demokratisierung des Landes große Bedeutung haben kann. Auf offizieller internationaler Ebene ist die Kritik an dem undemokratischen Regime meiner Meinung nach ein gutes Instrument, die belarussische Staatsmacht unter Druck zu setzen. Mehr noch, das wird ein klares Signal für die belarussische Gesellschaft sein: Die Demokratisierung von Belarus ist notwendig."
Partner sind gesellschaftliche Organisationen
Sadowski zufolge ist das Potential für einen Dialog mit Belarus groß - nicht auf politischer, sondern auf gesellschaftlicher Ebene: "Derzeit betrachte ich die belarussische Gesellschaft und Nichtregierungsorganisationen als wichtigste Partner. Sie könnten Partner von gesellschaftlichen Organisationen in unseren Ländern sein. Ein Dialog auf Regierungsebene scheint heute praktisch unmöglich, weil man in Präsident Lukaschenko keinen vertrauenswürdigen Partner sieht. Deswegen denke ich, dass sich in nächster Zeit die Zusammenarbeit auf der Ebene gesellschaftlicher Organisationen gestalten wird."
Medien-Projekt der Nachbarländer
Deutsche und polnische Beobachter machen darauf aufmerksam, dass für eine vollwertige Entwicklung einer Bürgergesellschaft unabhängige Informationsquellen wichtig sind, damit die Menschen in Belarus eine Vorstellung über politische Alternativen zur jetzigen Staatsführung erhalten. Sadowski sagte, Lettland, Litauen, Polen und die Ukraine würden inzwischen ein Medien-Projekt prüfen: "Ein konkretes Beispiel für ein solches Projekt ist die Idee, einen belarussischsprachigen Radiosender zu gründen, der gemeinsam von vier Partnern - Nachbarn von Belarus - betrieben werden würde. Außerdem wird geprüft, ob die Europäische Union mehrere kleine bilaterale Kooperations-Projekte von Nichtregierungsorganisationen fördern kann. Das können trilaterale Projekte unter Beteiligung der Ukraine, von Polen und Belarus sein."
Kritischer Dialog mit Minsk notwendig
Lindner ist überzeugt, es sei wichtig, die Kontakte zur jetzigen belarussischen Führung nicht abzubrechen. Gleichzeitig sollten Nichtregierungsorganisationen unterstützt werden. Dabei dürfe kein Anlass für den Vorwurf geboten werden, man mische sich in die inneren Angelegenheiten des Landes ein: "Es steht natürlich dem Westen nicht zu, sich in die operativen Entwicklungen, in die Formung von Parteien, in die Aufstellung von Kandidaten und in andere innerstaatliche Entwicklungen direkt einzumischen. Es geht darum, die Kräfte zu stärken, die für eine solche Entwicklung stehen. Aber auch die aktuellen politischen Akteure, die Administration des Präsidenten, die Ministerialbürokratie, also das aktuelle amtliche offizielle Minsk, muss man weiterhin in einen solchen kritischen Dialog bringen. Man muss Fragen stellen, Verständnis wecken, aber auch mit unseren Standards und Werten konfrontieren, die inzwischen auch in anderen Nachbarstaaten - im Baltikum, zum Teil in der Ukraine - inzwischen politische Kultur geworden sind."
Ukraine als Vorbild
Lindner und Sadowski sind sich darin einig, dass die Erfahrung einer demokratischen Veränderung in der Ukraine als Vorbild große Bedeutung hat. Deswegen, so Beobachter, ist es auch für die Belarussen wichtig, dass der Regimewechsel im Nachbarland Ukraine sichtbare positive Veränderung bringt.
Eugen Theise
DW-RADIO/Ukrainisch, 31.8.2005, Fokus Ost-Südost