Podiumsdiskussion in Abidjan
3. Juni 2017Ein schönes Haus, ein schnelles Auto, genügend Geld, um die Familie zu versorgen, die in der Heimat geblieben ist - so malen sich viele junge Menschen an der Elfenbeinküste ihre Zukunft in Europa aus. Dass Realität und Wunschdenken auseinanderklaffen und der Weg nach Europa lebensgefährlich sein kann, das wollen viele Ivorer nicht wahrhaben: "Das Eldorado, das alle suchen, existiert nicht. Unsere Jugendlichen müssen verstehen, dass sie ihr Schicksal auch im eigenen Land verändern können", meint Issiaka Konaté.
Der Staatssekretär im Integrationsministerium der Elfenbeinküste spricht von einer "Aufzugsmentalität" in seinem Heimatland: "Der Aufzug ist bequem, die Treppen anstrengend. Die meisten nehmen die Treppen. Dabei müssen wir uns anstrengen, unsere Gesellschaft aufzubauen, und es uns nicht bequem machen."
Chancenlosigkeit trotz Wirtschaftskraft
Doch wie genau soll das gehen in einer Gesellschaft, in der die Jugendarbeitslosigkeit bei über 30 Prozent liegt? Einer Gesellschaft, die reich an natürlichen Ressourcen wie Kakao oder Öl ist, von deren Reichtum die Ärmsten der Armen aber nicht profitieren? Diesen und anderen Fragen stellten sich Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft bei einer Podiumsdiskussion, zu der die Deutsche Welle in Zusammenarbeit mit dem ivorischen Sender Yackoi FM und dem Goethe Institut geladen hatten.
Auf dem Podium ist Alassane Diakite. Er hatte sein Glück versucht, war in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von zu Hause abgehauen und hatte die Flucht nach Europa über Libyen gewagt. Seine Eltern rief er erst an, als es schon fast zu spät war und ihn Gangster in Tripolis entführt hatten und Lösegeld forderten: "Ich wusste nicht, wie gefährlich es sein würde", erzählt der 18-Jährige. "Meine Freunde, die es schon nach Europa geschafft haben, sagten mir, der Weg durch die Wüste sei harmlos. Sie haben mich sogar ermutigt, zu gehen."
Brahima Sangaré und Souleymané Kanté waren im gleichen Gefängnis wie Alassane. Sie berichten von albtraumhaften Zuständen: "Die Frauen wurden systematisch vergewaltigt, uns haben sie geschlagen." Die beiden jungen Männer sind mit dem Leben davon gekommen, und dennoch war die Rückkehr ins eigene Land hart: "Unsere Freunde hier machen sich über uns lustig", berichtet Brahima. "Außerdem haben wir nach wie vor keine Arbeit, die Familie muss uns unterstützen."
Fehlende Wertschätzung im eigenen Land
Der ivorische Jugendminister Sidi Tiemoko Touré appellierte während der Debatte an die Eigeninitiative der jungen Leute: "Wir können nicht alle Jobsuchenden in der Verwaltung unterbringen. Der Schlüssel liegt in der Selbstständigkeit." Lange blieb der Minister aber nicht. Den bohrenden Fragen der weiteren Podiumsteilnehmer und des Publikums musste sein Vertreter beantworten.
So einfach ließe sich das Problem der hohen Jugendarbeitslosigkeit nicht lösen: "Die jungen Leute wollen alle Beamte sein", meint Soziologe Rodrigue Koné. "Handwerkliche Berufe oder Berufe in der Landwirtschaft sind in unserer Gesellschaft nicht mehr angesehen."
Dabei gebe es in diesen Branchen großes Potenzial, meint Tiziana Meretto der NGO "Fah-So-Kafissa": "Die Landwirtschaft und die Viehzucht sind die Bereiche, in die am einfachsten investiert werden kann und die am meisten Gewinn abwerfen." Im Rahmen ihres Projekts unterstützt die gebürtige Italienerin junge Leute dabei, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen, indem sie Kredite vergibt und Schulungen organisiert. "Viele junge Leute schaffen es, sich etwas aufzubauen", erzählt Meretto. "Leider gibt es aber immer noch Menschen, die sich auf ihre Kosten bereichern, da das bürokratische System nicht transparent ist."
"Fah-So-Kafissa" arbeitet an einer Charta, die eine Veränderung innerhalb des Verwaltungsapparats bewirken soll. Aber nicht nur dort müsse ein Umdenken stattfinden: "Ich spreche auch mit den Eltern. Sie dürfen ihre Kinder nicht ermutigen, illegal nach Europa zu gehen", so Meretto. Der Mythos Europa lebe in den Köpfen der Menschen weiter, vor allem deswegen, weil die, die es nach Frankreich oder Italien geschafft hätten, nicht die Wahrheit über ihre Lebensbedingungen erzählten.
Fluchtursachen und Bleibeperspektiven
Auf dem Podium wurde heiß diskutiert, wobei die Positionen der Redner gar nicht so weit auseinanderklafften. Alle waren sich einig, dass eine Verbesserung der Lage nur durch Zusammenarbeit entstehen könne und im Gespräch mit allen Beteiligten: Denen, die wegwollen, ihren Familien und Freunden, den Politikern in der Elfenbeinküste und auch jenen in Europa. Bei der anschließenden Frage-Antwort-Runde mit knapp 150, größtenteils jugendlichen Gästen im Publikum wurde erneut deutlich, wie groß der Gesprächsbedarf ist und wie komplex das Thema illegale Migration.
Im Rahmen des DW-Projekts "Dilemma Migration" finden dieses Jahr vier weitere Debatten in Banjul, der Hauptstadt Gambias, in Jos (Nigeria), Accra (Ghana) und Conakry (Guinea) statt. Bereits Ende 2016 hatte die DW mit Partnersendern zu Diskussionen in Dakar (Senegal), Bamako (Mali) und Niamey (Niger) eingeladen. Ziel ist es, die Debatte über Fluchtursachen, Migration und Bleibeperspektiven nicht von Europa aus zu führen, sondern direkt vor Ort mit den Betroffenen und ihre Sicht auf die Dinge darzulegen.
Neben den öffentlichen Debatten und Radiodiskussionen entstehen packende TV-, Radio- und Webreportagen, sachliche Info-Videos sowie ungeschminkte Videobotschaften afrikanischer Auswanderer.