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Die Wunden heilen nur schwer

Sybille Golte22. Dezember 2005

Ein Jahr nach dem Tsunami wird allenthalben Bilanz gezogen. Die Toten werden gezählt, die materiellen Schäden zusammengerechnet - und kritisch wird die Verwendung der Hilfsgelder unter die Lupe genommen.

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Wiederaufbau nach dem TsunamiBild: dpa

Unter dem Strich bleibt: Mit ihrem Einsatz verhinderten die internationalen Hilfsorganisationen die Katastrophe nach der Katastrophe. Nie spendeten die Menschen so viel und so großzügig - aber ein großer Teil kam bisher nicht bei den eigentlich Bedürftigen an. Oft verlief der Wiederaufbau nach der Nothilfe eher schleppend wegen der örtlichen Bürokratie und anderer Missstände. Auch politisch fällt die Bilanz zwiespältig aus: Nach dem Tsunami wurde im indonesischen Aceh zwar ein Friedensabkommen erzielt - in Sri Lanka jedoch ging der Bürgerkrieg über den Gräbern der Opfer weiter.

Nicht vorhersehbar

Lässt sich eine Katastrophe wie die des 26. Dezember 2004 mit solchen Bilanzen verarbeiten? Wohl kaum. Der Wunsch zum Alltag zurück zu kehren, das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle des Lebens - all dies ist zutiefst menschlich. Aber der Tsunami im indischen Ozean zeigte, dass diesem Bedürfnis Grenzen gesetzt sind. Naturkatastrophen von diesem Ausmaß sind nicht beherrschbar, nicht vorhersehbar - und die Wunden, die sie schlagen, heilen nur schwer.

Lehrstück für die Ohnmacht der Menschen

Die Erinnerung an die Katastrophe vor einem Jahr ist daher kein geeigneter Anlass für eine Abrechnung mit möglichen Fehlern und Schwächen der Hilfsaktionen nach der Katastrophe. Natürlich muss kontrolliert werden, ob die Hilfsgelder ihr Ziel erreicht haben. Wahr bleibt allerdings, dass keine noch so gelungene Hilfsaktion die Gewalt der Welle, den hunderttausendfachen Tod, die totale Zerstörung ganzer Landstriche ungeschehen machen kann.

Der Tsunami ist ein Lehrstück für die Ohnmacht des Menschen. Die große Hilfsbereitschaft zeigte ein weltumspannendes Mitgefühl. Und wie die Opfer mit den Folgen umgingen, spiegelte den Wunsch wider, im Chaos ein Stück Normalität zurückzugewinnen. Das ist aber nur materiell möglich: Wenn nicht nach einem Jahr, dann vielleicht nach zwei Jahren werden die Häuser wieder aufgebaut und der Alltag zurückgekehrt sein. Das ungleich größere Leid über den Verlust von Kindern, Eltern, Angehörigen kann niemand ungeschehen machen.

Angst trotz neuer Frühwarnsysteme

Was außerdem zurück bleibt ist Unsicherheit und Angst. Zwar schwimmen vor den vom Tsunami verwüsteten Küsten inzwischen die Bojen eines Frühwarnsystems. Aber kein Mensch weiß, ob, wo und wann die Natur wieder zuschlägt - morgen, in zehn oder erst in hundert Jahren? Im indischen oder pazifischen Ozean oder womöglich sogar im Mittelmeer? Und während vor den Küsten das Warnsystem in Betrieb genommen wurde, bebte im Oktober die Erde in Pakistan - unerwartet, verheerend und ebenfalls durch nichts zu verhindern.

Für den Tsunami gibt es keine Verursacher und keine Verantwortlichen, auch wenn dubiose Heilsprediger das Gegenteil behaupten und, wie andere auch, versuchen Profit aus der Katastrophe zu schlagen. Abgesehen von solch unerfreulichen Begleiterscheinungen haben viele Menschen nach dem Tsunami ihr Bestes gegeben: Helfer haben bis an den Rand der Erschöpfung gegen die Folgen der Katastrophe angekämpft, Gläubige haben die Toten würdig beigesetzt, Spender mehr Geld gegeben, als überhaupt verwendet werden konnte, Rebellen haben ihre Waffen nieder gelegt. Dies ist das mindeste, was Opfer von Naturkatastrophen brauchen, nicht nur nach dem Tsunami, sondern auch nach dem Erdbeben in Pakistan - und es ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Kurzum - es ist das Menschenmögliche. Und der Tsunami hat gezeigt: Das ist viel und wenig zugleich.