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Zehn Jahre Weltsozialforum

25. Januar 2010

Im Jahr 2001 fand das erste Weltsozialforum statt - als Gegenveranstaltung zum Davoser Weltwirtschaftsforum. Seitdem hat es weltweit zig Globalisierungsgegner mobilisiert - und steckt trotzdem in der Krise.

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Some 30,000 people gather in Porto Alegre, Brazil, Thursday, Jan. 31, 2002 for a march to officially inaugurate the five-day World Social Forum of some 40,000 participants.(AP Photo/Douglas Engle)
Porto Alegre - Wiege des Weltsozialforums und auch dieses Jahr wieder GastgeberBild: AP

Im Jahr 2001 fand im brasilianischen Porto Alegre das erste Weltsozialforum statt - als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Seitdem hat die Veranstaltung weltweit Hunderttausende Globalisierungsgegner mobilisieren können - und steckt trotzdem in der Krise. "Eine andere Welt ist möglich, wenn wir es nur wollen" - das ist der Slogan des Weltsozialforums. Eine Welt, in der anders als heute auch einfache Menschen eine Stimme bekommen: Landlose, Gewerkschaften oder Indigene. Eine Welt, in der nicht die Mächtigen das Sagen haben. Eine Welt, in der nicht nur Politiker und Unternehmenschefs die Globalisierung bestimmen.

Ein Forum gegen Davos

Das erste Forum 2001 in Porto Alegre sollte vor allem Gegenbewegung zum Weltwirtschaftsforum in Davos sein. Bewusst wählte man den Termin parallel zur exklusiven Zusammenkunft in den Schweizer Bergen. Auch der Name war an das Weltwirtschaftsforum angelehnt: WSF statt WEF - World Social Forum statt World Economic Forum.

Die Häuserschluchten von Sao Paulo (Foto: DW)
São Paulo - Brasiliens größte Metropole spielt beim Sozialforum eine untergeordnete RolleBild: DW

Eine bunte Gruppe brasilianischer Nichtregierungsorganisationen plante das Forum, vom Gewerkschaftsdachverband CUT über die Befreiungstheologen der nationalen Bischofskonferenz bis zum NGO-Dachverband ABONG auf der siebten Etage eines engen Bürogebäudes im Zentrum São Paulos. Bis heute findet sich hier das "Hauptquartier" der Bewegung.

Porto Alegre läuft São Paulo den Rang ab

Dass die Foren dennoch nicht in der Wirtschaftsmetropole São Paulo stattfanden, sondern in Porto Alegre, war kein Zufall. Die Stadt war damals Hochburg der Linken Brasiliens. Hier ließ die Arbeiterpartei PT von Präsident Lula da Silva zum ersten Mal die Bürger über den Haushalt der Stadt mitentscheiden. Dieser "partizipative Haushalt" wurde später in der ganzen Welt kopiert.

Und noch viel wichtiger: Sowohl die Stadt Porto Alegre als auch der Bundesstaat Rio Grande do Sul waren bereit, das Forum finanziell und logistisch zu unterstützen. Denn das Geld wurde spätestens bei der dritten Auflage des Forums 2003 zu einem entscheidenden Problem. "Es geht nicht mehr", sagte Jürgen Reichel, Mitarbeiter des deutschen Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) und Mitglied im Internationalen Rat des Weltsozialforums damals, "wir bekommen die Mittel nicht mehr zusammen, die nötig sind, um dieses Forum zu unterhalten."

Nachdem 2001 beim ersten Forum lediglich 20.000 Teilnehmer gekommen waren, platzen vor allem die Foren 2005 mit 155.000 Teilnehmern und das Forum 2009 in Belém mit 150.000 Teilnehmern aus allen Nähten. Das Wachstum verursachte aber auch explodierende Kosten.

Frisches Kapital für die Wirtschaftsgegner

Ölkonzern Petrobras - Rio de Janeiro, Brasilien (Foto: DW)
Ohne das Geld großer Konzerne gäbe es das Weltsozialforum wohl nicht mehrBild: DW/Geraldo Hoffmann

Und ohne die finanzielle Hilfe von amerikanischen Stiftungen wie der Ford oder der Rockefeller Foundation, wären die Organisatoren des Weltsozialforums längst pleite. So retten die Stiftungen zweier Unternehmer, die für die Globalisierung der Weltwirtschaft stehen, das Forum der Globalisierungskritiker. 2005 ließ man sich sogar vom brasilianischen Ölmulti Petrobras einen Teil der acht Millionen US-Dollar teuren Veranstaltung bezahlen. Viele Teilnehmer empfanden das als Verrat an den Prinzipien des Forums.

Kritisiert wird aber auch immer wieder, dass die Foren ohne greifbare Ergebnisse bleiben. Sie enden prinzipiell ohne gemeinsame Statements. Andere sehen gerade im offenen Charakter eine Stärke, wie der brasilianische Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer des Forums, Francisco "Chico" Whitaker. Er lobt die "horizontale Bewegung, in die jeder seine Ideen und Erfahrungen einbringen kann." Dies schaffe Platz für Multiplikation. Eine Multiplikation, die auch Probleme schafft. So fanden in Porto Alegre 2005 innerhalb von einer Woche sage und schreibe 2.500 einzelne Veranstaltungen statt - unüberschaubar.

Dezentral, überall und unüberschaubar

Demonstranten auf dem Weltsozialforum in Nairobi (Foto: AP)
Mumbai, Nairobi, Istanbul oder Stuttgart - das Weltsozialforum droht sich zu verzettelnBild: AP

Parallel dazu multipliziert sich auch das Weltsozialforum selbst. Zum einen findet es inzwischen regelmäßig außerhalb Brasiliens statt - beispielsweise in Mumbai und Nairobi. Das soll die Teilnahme von asiatischen und afrikanischen Basisgruppen erleichtern, die sich die Reise nach Porto Alegre zeitlich und finanziell nicht leisten können. Zusätzlich zu den zentralen Treffen finden in der ganzen Welt kontinentale, nationale, regionale und thematische Foren statt. Allein in diesem Jahr sind 38 Foren geplant, vom nationalen US-amerikanischen Forum in Detroit über das Europäische Sozialforum in Istanbul bis hin zu einem Bildungs-Forum in Palästina.

Doch diese Multiplikation der Foren hat die Bewegung geschwächt, sie droht sich in hunderten Subforen zu verzetteln, deren Ergebnisse nicht weiterverfolgt werden, weil keiner mehr den Überblick behalten kann. Und so fordern vor allem europäische Gruppen immer wieder eine stärkere Konzentration und Zentralisierung.

Stelldichein der Präsidenten

Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva (Foto: AP)
Brasiliens Präsident Lula da Silva hat als erster die neue Plattform für sich erobertBild: AP

Auch in einem anderen Punkt droht das Forum Opfer seines Erfolgs zu werden. So nutzen es immer mehr Politiker als Plattform. Dabei sollten sie nach den Prinzipien des Weltsozialforums eigentlich fern bleiben und nur mit einer persönlichen Einladung auftreten dürfen. Zu den ersten, die das Potential des Weltsozialforums erkannten, gehörte der brasilianische Präsident Lula da Silva, der 2003 direkt von Porto Alegre nach Davos flog und so die beiden Gegenpole der Globalisierung persönlich verband. Aber auch sein venezolanischer Kollege Hugo Chávez hat es sehr früh verstanden, auf dem Weltsozialforum die Massen für sich zu mobilisieren.

2005 waren Chávez und Lula noch alleine, aber in Belém im Jahr 2009 glich das Forum der Zivilgesellschaft teilweise eher einem Gipfeltreffen der südamerikanischen Präsidenten. Dieses Jahr wird das Forum in Porto Alegre bewusst klein gehalten. Es dauert vom 25. bis 29. Januar. Das nächste große Forum ist für 2011 im Senegal in Dakar geplant.

Autor: Johannes Beck
Redaktion: Rolf Wenkel