"Die Welt soll Syrien nicht vergessen"
12. März 2015"Sag der Welt, dass sie Syrien nicht vergessen soll!" Das ist die Botschaft der siebenjährigen Sara aus Aleppo in Nordsyrien. Hanaa Singer, die Leiterin von Unicef Damaskus, hat das kleine Mädchen in einer Schule getroffen und es nach seinen Erlebnissen in der von Krieg und Gewalt erschütterten Stadt gefragt. Bei der Unicef-Pressekonferenz in Berlin kämpft sie mit den Tränen, als sie von dieser Begegnung berichtet.
Seit fünf Monaten leitet die Ägypterin das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in der syrischen Hauptstadt. Sie koordiniert die Unterstützung für die 5,6 Millionen Kinder, die in dem Bürgerkriegsland selbst akut auf Hilfe angewiesen sind. Mehr als zwei Millionen von ihnen sind für die Helfer derzeit jedoch nicht erreichbar. Sie leben in Kriegszonen oder in den Gebieten, die von der Terrormiliz IS kontrolliert werden. Dort werden sie tagtäglich mit unbeschreiblicher Gewalt konfrontiert. In der IS-Hochburg Raqqa in Nordostsyrien zum Beispiel würden Kinder gezwungen, sich Filme von Hinrichtungen anzuschauen, berichtet Singer: "Das ist kein Bild aus dem Mittelalter. Das geschieht in Syrien. Dieses Beispiel zeigt, dass Kinder zu hilflosen Opfern eines grausamen Krieges geworden sind."
Kinder sind die Hauptleidtragenden des Konfliktes
Seit vier Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien. Mindestens 10.000 Kinder sind ihm bereits zum Opfer gefallen, Tausende wurden schwer verletzt, viele sind für ihr Leben gezeichnet. "Es gibt eine ganze Generation von Verstümmelten, die langfristig auf Betreuung und Hilfe angewiesen sind", so Singer. "Selbst wenn der Konflikt jetzt zu einem Ende kommen würde, wird dieses Erbe die syrische Gesellschaft noch lange belasten." Erst vor einer Woche habe sie ein Krankenhaus in Damaskus besucht, in dem drei Kinder behandelt wurden, die beim Spielen auf dem Dach ihres Hauses von einer Granate getroffen wurden. Alle drei hätten Gliedmaßen verloren, ein weiteres Mädchen sei gestorben. "Diese Kinder waren nicht mal in einer Kriegszone."
Viele der getöteten und verletzten Kinder wurden gezielt angegriffen, davon ist Unicef-Geschäftsführer Christian Schneider überzeugt. "Wir wissen, dass Heckenschützen ganz bewusst auf Kinder anlegen und Schulen attackieren." So seien in Syrien 69 Schulen bombardiert oder beschossen worden, zum Teil mit verheerenden Folgen. Insgesamt können in Syrien 4200 Schulen - das ist jede fünfte Schule - nicht genutzt werden. Sie wurden entweder zerstört oder beschädigt. Oder sie dienen als Flüchtlingsunterkünfte oder Stützpunkte für die Kriegsparteien. 50.000 Lehrer, die Hälfte der syrischen Lehrerschaft, wurden getötet oder sind geflohen. 600.000 syrische Mädchen und Jungen in der Region gehen nicht zur Schule.
Schulbildung, psychologische Unterstützung und Gesundheitsversorgung
Für Unicef ist die Schulbildung darum eines der wichtigsten Themen. Die Hilfsorganisation hat zwei Millionen Kinder in Syrien und in den Flüchtlingslagern der angrenzenden Länder mit Schulmaterial ausgestattet. "Zur Schule zu gehen, ist ein Grundrecht", erklärt Hanaa Singer. "Für die Kinder in Syrien ist es ein Heilmittel. Es gibt ihnen einen Grund, morgens aufzustehen und es gibt ihnen die Chance, ein paar Stunden Kindheit täglich zu genießen." Die meisten Jugendlichen in den Flüchtlingslagern seien ambitioniert und machten Pläne für die Zukunft. Sie wollten Ärzte und Ingenieure werden, Computerexperten und Kaufleute.
Diese Erfahrung hat auch Daniela Schadt gemacht, die Lebensgefährtin von Bundespräsident Joachim Gauck und Schirmherrin von Unicef. Im Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien habe sie syrische Mädchen getroffen, die ihr berichtet hätten, dass sie Ärztinnen oder Architektinnen werden wollten. "Diese Kinder haben für sich eine Zukunft gesehen. Sie wollen helfen und wieder aufbauen." Schadt rief dazu auf, die Krise in Syrien nicht aus den Augen zu verlieren. "Wir sollten uns nicht an diese Situation gewöhnen", sagte sie. "Das haben die Kinder nicht verdient."
Neben der Schulbildung leistet Unicef auch bei der psychosozialen Betreuung und der Gesundheitsversorgung Hilfe. Nach einem Ausbruch von Polio im Jahr 2013 wurden 2,9 Millionen Kinder gegen Kinderlähmung geimpft. 840.000 Kinder wurden außerdem gegen Masern immunisiert.
Um die Hilfe in Syrien und den Nachbarländern auch in diesem Jahr aufrecht zu erhalten benötigt das Kinderhilfswerk mindestens 9 Millionen Dollar. Bislang sei erst ein Siebtel dieser Hilfsmittel zugesagt worden, so Geschäftsführer Schneider. Deutschland habe sich bislang immer sehr großzügig gezeigt und sei nach den USA der wichtigste Geldgeber für Unicef.