Die weißrussische Opposition will ihre Chancen nutzen
3. Februar 2006Bei der Wahl am 19. März 2006 in Weißrussland tritt der seit zwölf Jahren autoritär regierende Alexander Lukaschenko zum dritten Mal an. Viele Beobachter rechnen damit, dass auch diese Wahl manipuliert wird. Lukaschenkos schärfster Gegner ist der Oppositionskandidat Alexander Milinkewitsch. Der 58-jährige ist parteilos und entstammt der polnischen Minderheit in Weißrussland. Der Physikprofessor hat in den USA studiert und spricht vier Fremdsprachen. Bis zu Lukaschenkos Machtübernahme im Jahre 1994 war Milinkewitsch stellvertretender Bürgermeister seiner Heimatstadt Grodno. Danach leitete er die inzwischen verbotene Bürgerrechtsorganisation "Ratusha". Im Oktober 2005 wurde er von den wichtigsten Oppositionsparteien zum gemeinsamen Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl nominiert.
"Zusammen die Diktatur bekämpfen"
"In unserer Koalition finden sich sowohl Kommunisten als auch Sozialdemokraten und Liberale zusammen. Eins haben wir begriffen: Wenn wir uns nicht einigen, wird es in Weißrussland noch sehr lange eine Diktatur geben. Zusammen können wir sie bekämpfen. Wir alle wollen in einem freien und demokratischen Land leben", sagt Milinkewitsch.
Seit seiner Nominierung ist er ständig unterwegs. Für seine Zulassung zur Präsidentschaftswahl muss er mindestens 100.000 Unterschriften seiner potenziellen Wähler nachweisen. Allerdings sind die Möglichkeiten, sich den Wählern vorzustellen, sehr begrenzt.
Wahlkampf von Tür zu Tür
Als Oppositionskandidat hat Milinkewitsch keinen Zugang zu den Massenmedien, die in staatlicher Hand sind. Daher muss er besonders einfallsreich sein: "Wir nutzen diesen Wahlkampf als Mittel, um möglichst viele Menschen zu erreichen und sie über Alternativen zu einem Leben in Angst zu informieren. Wir setzen auf die Kampagne von Tür zu Tür - fahren quer durchs Land und klopfen an jede Tür. So bekamen wir bisher von jedem dritten eine Unterschrift, trotz dafür drohender Repressionen. Statt der benötigten 100.000 Unterschriften haben wir landesweit bereits die doppelte Zahl".
In zahlreichen Gesprächen mit der Bevölkerung stellt der Oppositionskandidat fest, dass der Wunsch nach Veränderungen in Weißrussland immer größer wird. Im Land gebe es eine starke Proteststimmung. Immer mehr Menschen seien bereit, gegen das totalitäre Regime aktiv zu werden: "Die weißrussische Gesellschaft ist gespalten: Die einen - in der Regel junge und gebildete Menschen - sehnen sich nach Freiheit und Demokratie. Die anderen - hauptsächlich ältere Generation - wollen keinen Wechsel, denn im Land gibt es bestimmte soziale Sicherheiten: die Renten sind zwar klein, werden aber rechtzeitig ausgezahlt; die Arbeitslosenquote ist relativ gering. Die meisten wünschen sich jedoch ein anderes Leben. Sie haben es satt, in ständiger Angst und Erniedrigung ein Dasein zu fristen."
"Wir haben es einfach satt"
In seiner Rolle als Herausforderer des autoritären Präsidenten braucht Milinkewitsch auch Mut. Durch sein Vorhaben, Lukaschenko abzulösen, bringt er sich und seine Familie in Gefahr. Trotzdem will Milinkewitsch nicht aufgeben: "Freiheit bekommt man nicht geschenkt, manchmal muss man dafür Opfer bringen. Wie jeder Mensch habe ich natürlich manchmal Angst, fasse aber den Mut, sie zu überwinden. Immer mehr Menschen empfinden das gleiche wie ich. Wir haben es einfach satt, in einer Atmosphäre zu leben, in der es kaum Perspektiven gibt; wenn unsere Kinder nicht ins Ausland gehen wollen, hier aber keine Arbeit finden können; wenn ältere Menschen erniedrigt werden, wenn man im Fernsehen ständig nur Lügen hört, wenn das Land sich nicht mehr entwickeln kann, sondern nur in Isolation abdriftet."
Trotz der Proteststimmung im Land und seiner Bemühungen erwartet Milinkewitsch am 19. März ein klares Wahlergebnis pro Lukaschenko. Auch dieses Mal drohe die Wahl zu einer Farce zu werden: "Es wird mindestens 70 Prozent der Stimmen für Lukaschenko geben. Eine geringere Zahl lässt er nicht zu. Aber wir verfallen nicht in Depression. Unser Ziel ist es, in den Köpfen unserer Mitbürger zu gewinnen, sie davon zu überzeugen, dass sie Recht auf ein besseres Leben haben."
Friedlicher Wandel?
Eine friedliche Revolution, wie in Georgien und in der Ukraine, schließt Milinkewitsch dabei nicht aus: "Wir wollen eigentlich nicht, dass Demokratie auf der Straße erkämpft wird. Wir fordern von der Staatsführung eine freie und demokratische Wahl. Anderenfalls werden viele Menschen auf die Straße gehen, um ihre Würde zu verteidigen. Wir tun alles dafür, damit der Wandel friedlich verläuft".
Der Oppositionskandidat ist auf die Unterstützung durch den Westen angewiesen. Die bisherigen Versuche, Weißrussland zu unterstützen, erwiesen sich als wenig hilfreich, bemängelt Milinkewitsch: "Europa hat verlernt, mit Diktaturen umzugehen. Hier braucht man eine ganz andere Vorgehensweise. Man sollte genau trennen zwischen dem Regime, das demokratische Prinzipien ablehnt, und der Zivilgesellschaft, die nach Demokratie strebt. Europa sollte aktiver mit der weißrussischen Gesellschaft zusammenarbeiten, mit Bürgerinitiativen, unabhängigen Gewerkschaften und Massenmedien. Hier gibt es ein breites Arbeitsfeld."