Kasachstan Wahl Cramon
18. Januar 2012DW-WORLD.DE: Frau von Cramon, Sie gehörten der Wahlbeobachtungsdelegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Kasachstan an und haben die Parlamentswahl unter anderem in der früheren Hauptstadt des Landes, in Almaty, beobachtet. Welche Eindrücke haben Sie dort gewonnen?
Viola von Cramon: In Almaty sind immer noch 90 Prozent der Opposition, die gesamte Presse und die NGO-Szene angesiedelt. Wir haben dort Gespräche geführt und uns ein sehr differenziertes Bild machen können. Die gesamte Wahl war keine, die demokratischen Ansprüchen genügte. Das ist sehr bedauerlich. Die Erwartungen waren sehr hoch. Wir haben uns schon Gedanken gemacht, warum die Wahl vorgezogen wurde. Böse Stimmen haben gesagt: Wer will schon bei minus 40 Grad demonstrieren? Auch die Ferienzeit für Studenten wurde bis Ende des Monats verlängert, um sicher zu gehen, dass es auf den Straßen keine Unruhen geben wird. Das deutet alles darauf hin, dass Präsident Nasarbajew sehr nervös und unruhig ist.
Waren die Proteste der Ölarbeiter gegen niedrige Löhne im westkasachischen Schanaosen, die von Sicherheitskräften im Dezember 2011 gewaltsam niedergeschlagen wurden, bei Ihrem Aufenthalt in Kasachstan ein Thema? Haben sich die Ereignisse auf die Wahl ausgewirkt?
In den Gesprächen und Briefings war das sehr wohl ein Thema. Entscheidend bei der Wahl waren die Ereignisse von Schanaosen am Ende nicht, denn die Wahl war sowieso komplett gefälscht. Wir haben 15 Lokale besucht und haben eine Wahlbeteiligung zwischen sieben und 100 Prozent vorgefunden. In den Kasernen wurden die Soldaten natürlich gezwungen zu wählen. Sie wurden vermutlich auch gezwungen, "Nur Otan", also die Regierungspartei zu wählen. In den beiden Kasernen, in denen wir waren, gab es eine hundertprozentige Zustimmung für die Partei des Präsidenten. Dann haben wir aber auch Wahllokale gesehen, wo sich der Wahlleiter offensichtlich entschieden hatte, nicht dem Druck nachzugeben, die Wahlbeteiligung künstlich nach oben zu ziehen, und den Wählerinnen und Wählern nicht vier, fünf, sechs Wahlzettel auszuhändigen, sondern nur einen. Das hat dazu geführt, dass die Wahlbeteiligung sehr niedrig war. Das war vermutlich auch realistisch. Viele Menschen hatten kein Interesse an der Wahl, weil es niemanden wirklich zu wählen gab. Das Ergebnis stand vorher fest, abgesehen von der Frage, ob die Kommunisten ins Parlament kommen oder nicht. Auch die zweite Partei, die "Ak schol", ist keine echte Oppositionspartei, sondern sehr regierungsnah.
Am 8. Februar besucht der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew Deutschland, um unter anderem ein bilaterales Abkommen zu unterzeichnen. Sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel die politische Situation in Kasachstan, vor allem den Konflikt in Schanaosen, ansprechen?
Es ist selbstverständlich, dass es Bestandteil des Gesprächs sein sollte. Aber auch Kasachstan muss überlegen, wie es solche Konflikte wie in Schanaosen langfristig vermeiden kann. Kasachstan spricht immer von Stabilität, aber wie kann man Stabilität herstellen, wenn man nicht in der Lage ist, eine Gehaltsforderung streikender Ölarbeiter zu erfüllen? Wir müssen Instrumente ausarbeiten und anbieten, gemeinsam mit den Kasachen, wie man solche Auseinandersetzungen vermeiden kann. Möglichkeiten gibt es über die Polizeiausbildung, aber auch im präventiven Bereich. Die Frage ist, wie man mehr demokratische Elemente in die parlamentarische, aber auch in die außerparlamentarische Arbeit einbringen kann. Das muss selbstverständlich die Kanzlerin bei Nasarbajews Besuch ansprechen.
Kasachstan galt bislang als stabiler und verlässlicher Partner. Haben die tragischen Ereignisse in Schanaosen das Kasachstan-Bild in Deutschland verändert?
Schanaosen ist hier in den Medien interessanterweise gar nicht aufgegriffen worden. Die amerikanischen Medien haben Korrespondenten vor Ort. Aber wir sind nur marginal vertreten. Wir hatten nicht einmal in den öffentlich-rechtlichen Medien einen Beitrag über das, was dort passiert ist, dass Menschen erschossen und verletzt wurden. Mit absolut unverhältnismäßigen Mitteln ist in Schanaosen agiert worden. Dort ist über Wochen der Ausnahmezustand verhängt worden. Hier ist das keinen Beitrag in einer größeren Nachrichtensendung wert. Das ist sehr bedauerlich. Daher ist die Wahrnehmung hier über eine abnehmende Stabilität in Kasachstan gar nicht zu finden. In anderen europäischen Ländern und in den USA sieht es anders aus. Ich würde mir wünschen, dass man dies hier auch stärker in die Presse bringt, um ein realistischeres Bild von Kasachstan zu zeichnen, nicht nur als stabilen Energielieferanten.
Viola von Cramon ist Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Das Gespräch führte Mikhail Bushuev.
Redaktion: Markian Ostaptschuk