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Politik

Zerstritten in fast allem

13. Mai 2020

Der Ton zwischen der Türkei und den Vereinten Arabischen Emiraten wird rauer. Die beiden Staaten haben ideologische, ökonomische und strategische Differenzen. Besonders in einem Land geraten die beiden aneinander.

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Der türkische Aussenminister Mevlut Cavusoglu
Der türkische Chefdiplomat Cavusoglu verwendet nicht immer diplomatische FormulierungenBild: picture-alliance/AA/C. Ozdel

Der türkische Außenminister wählte deutliche Worte: "Wenn Sie fragen, wer die Region destabilisiert, wer Chaos bringt, dann würden wir ohne zu zögern Abu Dhabi nennen", erklärte Mevlüt Cavusoglu (Artikelbild) am Dienstag dieser Woche. "Sie sind die Kraft, die Libyen verunsichert und den Jemen zerstört hat."

Mit seinem Urteil reagierte Cavusoglu auf die Kritik, die mehrere Staaten am Vortag an der türkischen Mittelmeer- und Libyenpolitik geäußert hatten. In einer gemeinsamen Erklärung hatten die Außenminister Zyperns, Ägyptens, Frankreichs, Griechenlands und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) der Türkei vorgeworfen, die Hoheitsgewässer Zyperns und den Luftraum Griechenlands wiederholt verletzt zu haben.

Streit um Erdgasvorkommen

In ihrer Erklärung sprechen die Minister von "laufenden illegalen Aktivitäten der Türkei in der ausschließlichen Wirtschaftszone Zyperns und dessen Hoheitsgewässern" wie auch einer "Eskalation der Verstöße der Türkei gegen den nationalen Luftraum Griechenlands".

Die Erdgasfelder im Mittelmeer - hier eine israelische Förderplattform - sorgen für Streit zwischen der Türkei und anderen Staaten
Gasfelder im Mittelmeer - hier eine israelische Förderplattform - sorgen für Streit zwischen der Türkei und anderen StaatenBild: picture-alliance/dpa/Albatross Aerial Photgraphy

Die Minister, so das Papier weiter, forderten die Türkei nachdrücklich auf, "die Souveränität und die Souveränitätsrechte aller Staaten in ihren Seezonen im östlichen Mittelmeerraum uneingeschränkt zu respektieren."

Die Erklärung der Außenminister bezieht sich auf die Rivalität um die Bewirtschaftung der vor mehreren Jahren im östlichen Mittelmeer entdeckten Erdgasfelder. Griechenland, Zypern und Israel hatten sich zusammengetan, um diese zu bewirtschaften. Die Regierung in Ankara erklärte daraufhin, die drei Länder versuchten, die Türkei auszugrenzen. Man werde ein ohne Beteiligung und Zustimmung der Türkei vorangetriebenes Projekt nicht hinnehmen.

Streit um Rolle der Muslimbrüder

Die Beziehungen zwischen der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten und mit Saudi-Arabien sind seit Längerem angespannt. Ihren Anfang nahm die Verstimmung im Sommer 2017, als mehrere Staaten im Windschatten Saudi-Arabiens ihre Beziehungen zu Katar auf Eis legten. Das saudische Königreich, Bahrain, die VAE und Ägypten warfen Katar Terror-Unterstützung vor. Der Vorwurf gründete auf den guten Beziehungen, die das Emirat zur Bewegung der islamistischen Muslimbrüderschaft pflegt. Die Muslimbrüder gelten in den vier Ländern als Terrororganisation.

Saudi-Arabien und seine Verbündeten fürchten die sozialrevolutionäre Ausrichtung der Muslimbrüder. Insbesondere die drei Golfstaaten setzen auf eine Deutung des sunnitischen Islam, die der etablierten Herrschaftsordnung nicht gefährlich wird. Im Gegenteil: Insbesondere Saudi-Arabien hat mit seiner Staatsreligion, dem Wahhabismus, eine theologische Richtung geschaffen, die die politische Ordnung religiös legitimiert und damit politisch stützt.

Anhänger des gestürzten islamistischen Präsidenten Mursi  2013 in Kairo beim Gebet
Anhänger des gestürzten islamistischen Präsidenten Mursi 2013 in Kairo beim GebetBild: picture-alliance/dpa/V. Denis

Bislang ist es den drei Golfstaaten gelungen, die bei ihnen seit 2011 auftretenden Protestbewegungen weitestgehend in Schach zu halten. Dazu tragen neben den rabiat einschreitenden Sicherheitsbehörden auch die Theologen bei. Warnendes Beispiel ist diesen drei Regierung die politische Entwicklung Ägypten. Dort mündete der Sturz von Präsident Husni Mubarak 2012 in die - ein Jahr später vom Militär wieder gestürzte - Regierung der Muslimbrüder unter Mohammed Mursi.

Friedensnobelpreisträgerin im Kreuzfeuer

Anders als die drei Golfstaaten und Ägypten scheuen Katar und die Türkei die Nähe zu den Muslimbrüdern nicht. Die AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist den Muslimbrüdern ideologisch verwandt. Und Katar versucht sich durch Beziehungen auch zu den Muslimbrüdern - etwa ihrem Ableger im Gazastreifen, der Hamas - als regionale Ordnungs- und Vermittlungsmacht zu etablieren.

Die Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman (Archvbild)
Die Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman (Archvbild)Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/E. Ozturk

Wie virulent der Konflikt ist, zeigte sich dieser Tage auch im Streit um die Berufung der jemenitischen Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2011, Tawakkul Karman, in ein Facebook-Aufsichtsratgremium. Medien der VAE und Saudi-Arabiens warfen Karman eine übergroße Nähe zu den Muslimbrüdern vor. Karman -  über Twitter deutete sie an, angesichts der gegen sie entfachten Kampagne um ihr Leben zu fürchten - reiste Anfang der Woche in die Türkei, deren Staatsbürgerschaft sie ebenfalls hat.

Stellvertreterkrieg in Libyen

Die Türkei und die VAE tragen einen weiteren, einen geopolitischen Konflikt aus. Die Bühne dafür bietet Libyen. In dem dort seit Jahren anhaltenden Bürgerkrieg unterstützt die Türkei zusammen mit Katar die zwar international anerkannte, aber nicht gewählte Regierung der Nationalen Einheit unter Premier Fajis al-Sarradsch. Im Januar hatte Erdogan angekündigt, türkische Soldaten nach Libyen zu schicken.

Ein Kämpfer in Libyens Hauptstadt Tripolis
Ein Kämpfer in Libyens Hauptstadt TripolisBild: picture-alliance/dpa/A. Salahuddien

Allerdings agiert die Türkei nicht selbstlos: Im Gegenzug für die Unterstützung erhofft der türkische Präsident Erdogan  diplomatischen Beistand Al-Sarradschs im Ringen um die Erdgasvorkommen im Mittelmeer. Denn ein Teil dieser Felder liegt innerhalb des libyschen Seegebiets. Dieses reklamiert die Türkei durch einem Vertrag mit Libyen nun für sich.

Mit diesem Vertrag wie auch der militärischen Unterstützung Al-Sarradschs hat die Türkei einige Nachbarstaaten gegen sich aufgebracht. In ihrem Kommuniqué vom Montag verurteilten die Außenminister der Mittelmeerstaaten auch "die militärische Einmischung der Türkei in Libyen". Zudem forderten sie die Türkei auf, das Waffenembargo der Vereinten Nationen uneingeschränkt zu respektieren und den Zustrom ausländischer Kämpfer nach Libyen zu stoppen. "Diese Entwicklungen stellen eine Bedrohung für die Stabilität der libyschen Nachbarn in Afrika und in Europa dar", so die Außenminister.

Diplomatischer Wink in Richtung Saudi-Arabien?

Der Druck der vergangenen Woche könnte auf die Türkei Eindruck machen, heißt es in einer Analyse des digitalen Polit-Magazins "Al-Monitor". Dass sich die Regierung in Ankara vor allem auf die VAE einschieße, könnte darauf hindeuten, dass sie das Verhältnis zu Saudi-Arabien nicht endgültig verderben wolle, so "Al-Monitor". Allerdings seien auch dort zuletzt einige sehr kritische Berichte über Erdogan und seine Familie erschienen. "Die Feindschaft ist also nicht auf Emiratis beschränkt."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika