Zypernfrage bremst
4. November 2013Symbolik, mehr nicht: Nach drei Jahren Pause haben EU und Türkei am Dienstag (05.11.2013) die Beitrittsverhandlungen fortgesetzt, haben in der Sache allerdings wenig besprochen. Einige allgemeine Reden, eine Pressekonferenz, ein Statement des türkischen Außenministeriums: Die Gespräche seien "ein erster Schritt bei der Wiederbelebung unseres Verhandlungsprozesses."
Das Thema des neuen, am Dienstag eröffneten Verhandlungskapitels birgt auch wenig Zündstoff. Es geht um Regionalpolitik, also die mögliche Förderung von ländlichen Gebieten im möglichen EU-Mitgliedsland Türkei. Damit wird der 14. von insgesamt 35 Verhandlungsabschnitten eröffnet. Zu Gesprächen über relevantere Themen, wie etwa Menschenrechte oder das Justizwesen, konnte sich die Europäische Union bei ihrem letzten Außenministertreffen im Oktober nicht entschließen.
Der für Erweiterungsfragen zuständige EU-Kommissar Stefan Füle hatte der Türkei in seinem jüngsten "Fortschrittsbericht" eine positive Entwicklung bescheinigt, auch wenn es in den Bereichen Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz noch Defizite gebe. Das gewaltsame Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen Demonstranten im Mai und Juni in Istanbul und anderen Städten hielt einige der EU-Außenminister aber davon ab, die schwierigen Verhandlungskapitel zu Menschenrechten und Justiz ernsthaft anzugehen. Der Erweiterungskommissar empfahl den Mitgliedsstaaten der EU dringend, das bald nachzuholen. "Wenn wir wirklich wollen, dass die Türken etwas ändern im Bereich der Grundrechte, dann müssen wir genau darüber mit ihnen reden", so Füle.
Immer im Hintergrund: Der Zypern-Konflikt
Im Jahr 2005 fingen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nach jahrzehntelanger Vorbereitung an. Seither laufen sie schleppend, denn kein einziges Verhandlungskapitel konnte zu Ende verhandelt und juristisch verbindlich abgeschlossen werden. 14 weitere heikle Verhandlungskapitel sind durch Beschluss der EU oder ein Veto Zyperns blockiert. Das EU-Mitgliedsland Zypern wird von der Türkei nicht als Staat anerkannt. Seit 1974 hält die Türkei das nördliche Drittel der Mittelmeerinsel militärisch besetzt.
Im April 2004, nur Tage vor dem Beitritt Zyperns zur EU, scheiterte die Wiedervereinigung der türkischen und griechischen Zyprer in einer Volksabstimmung. Der Süden stimmte gegen die Wiedervereinigungspläne, die von den Vereinten Nationen vermittelt worden waren. Dieser ungelöste historische Konflikt zwischen dem Beitrittskandidaten Türkei und dem Mitgliedsland Zypern behindere Europa, aber auch die Türkei selbst, so die Europa-Abgeordnete Ria Oomen-Ruijten.
Die konservative Niederländerin ist die zuständige Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für die Türkei. "Nach meinen jüngsten Gesprächen mit Ministern und Parlamentariern in der Türkei glaube ich, dass da in den nächsten Tagen oder zumindest Wochen Möglichkeiten geschaffen werden, um endlich einmal aus dieser Krise herauszukommen. Wir brauchen in der EU eine Insel Zypern, die nicht geteilt ist", sagte Ria Oomen-Ruijten der DW.
Vermittlungen zwischen Nord- und Südzypern
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, der im Zypern-Konflikt seit Jahren vermittelt, sagte noch am vergangenen Freitag (01.11.2013), er habe Hoffnung, dass die türkischen und die griechischen Zyprer ihre Meinungsverschiedenheiten bald beilegen. Eigentlich sollte eine neue Runde von Versöhnungsgesprächen bis Ende Oktober begonnen haben, doch konnten sich die Verhandlungsführer nicht auf eine gemeinsame Erklärung einigen.
Der Politikwissenschaftler Professor Hubert Faustmann, der in Nikosia die Friedrich-Ebert-Stiftung leitet, sieht vielschichtige Interessen am Werk. Die Türkei habe, so Faustmann, keinen wirklichen Anreiz nachzugeben. "Es könnte sich relativ schnell sehr viel bewegen, wenn man das will", so Zypern-Experte Faustmann gegenüber der DW. Selbst zwischen der Türkei und der EU sei nicht ganz klar, wohin die Reise gehen soll. "Klar ist aber, dass das Zypernproblem ein ganz wesentlicher Hinderungsgrund bei der ganzen Geschichte ist."
Türkei erfüllt Bedingungen nicht
Der türkische Europaminister Egemen Bagis hatte in der Zeitung "Hürriyet" einige Tage vor seiner Reise zu den Verhandlungen nach Brüssel geschrieben, die Türkei warte länger als jedes andere Land auf die Mitgliedschaft in der EU. Das neue Kapitel in den Verhandlungen sei ein "verspäteter, aber positiver Schritt". Er hoffe, so Bagis, "dass die unsinnigen politischen Blockaden anderer Kapitel so bald wie möglich beseitigt werden." Dazu könnte die Türkei aus Sicht der EU aber auch selbst beitragen, in dem sie das Mitgliedsland Zypern zumindest indirekt anerkennt. Im sogenannten "Ankara-Protokoll" hatte sich die Türkei nämlich verpflichtet, zyprische Schiffe und Flugzeuge ins Land zu lassen. Diese Verpflichtung hat die Türkei bis heute allerdings nicht erfüllt.
Der zyprische Innenminister Socratis Hasikos sagte am Montag der Zeitung "Cyprus-Mail", man wolle eine neue Runde bei den Verhandlungen zwischen türkischen Zyprern und griechischen Zyprern auf keinen Fall scheitern lassen. Deshalb müsse man sie aber auch sehr gründlich und intensiv vorbereiten. Er forderte die Türkei auf, sich stärker zu engagieren. Auch die EU sollte eine gewichtige Rolle spielen. Die Vereinten Nationen sollten auf Zypern in dieser Woche den Versuch fortsetzen, die verfeindeten Volksgruppen an den gemeinsamen Verhandlungstisch zu bekommen.
"Keine Vollmitgliedschaft möglich"
Dem deutschen Europa-Abgeordnete Markus Ferber (CSU) passt die ganze Richtung nicht mehr. Er forderte in einem Interview mit dem Magazin "Focus" Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Kurskorrektur auf. Bislang hatte die Bundesregierung die Verhandlungen der EU mitgetragen, aber stets darauf hingewiesen, dass am Ende nicht zwangsläufig der Beitritt der Türkei stehen müsse. Ferber sagte, die Bundesregierung dürfe den EU-Beitritt der Türkei nicht weiter betreiben. Eine Vollmitgliedschaft könne es für das Land nicht geben. Auch die Linkspartei in Deutschland ist gegen eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, wenn auch aus anderen Gründen. Sevim Dağdelen von der Linkspartei im Bundestag erklärte: "Es entsteht der fatale Eindruck, dass das AKP-Regime und Ministerpräsident Erdogan für ihren bisherigen Kurs in Richtung eines islamistischen Unterdrückungsstaates belohnt werden." Angesichts der Polizeigewalt und grober Menschenrechtsverletzungen sollten keine Verhandlungskapitel eröffnet werden.