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Terror: Von Pakistan nach San Bernardino

Shamil Shams7. Dezember 2015

Nach dem Blutbad in Kalifornien steht Pakistan erneut als Terror-Exporteur am Pranger. Der in den USA lebende Islamismus-Experte Arif Jamal erläutert im DW-Interview, warum Washington die Bedrohung ernst nehmen müsse.

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Tashfeen Malik (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/FBI

DW: Welche Kontakte hatten die Schützen von San Bernardino, Tashfeen Malik (Artikelbild) und Syed Farook, zu radikal-islamistischen Gruppen in Pakistan? Wie haben diese ihre Morde beeinflusst?

Arif Jamal: Wir haben noch keine gesicherten Informationen über die Verbindungen zwischen den Massenmördern von San Bernardino und radikal-islamistischen Gruppen in Pakistan oder anderswo. Tashfeen Malik war für ihre Familie, die aus der Provinz Punjab stammt, noch bis vor einigen Jahren eine vergleichsweise liberale und moderne Frau. Einige Familienmitglieder sollen der Terrorgruppe Ahlay Sunnat wal Jamaat angehört haben. Diese Gruppierung war früher als Sipah-e-Sahaba (Armee der Gefährten des Propheten) bekannt. Es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt, dass auch sie dazu gehörte.

Darüber hinaus ist die Bahauddin Zakariya-Universität in der Stadt Multan, an der Malik studierte, ein Zentrum islamistischer Gruppen. Obwohl die Indoktrinierung schon viel früher angefangen haben muss, können wir bei ihr einen radikalen Wandel vor einigen Jahren feststellen, vor allem nach ihrem Umzug in die USA. Es scheint, dass islamische Organisationen in Amerika das Paar beeinflussten. Islamische Organisationen beschuldigen ihrerseits die westliche Außenpolitik für das Anwachsen des Dschihadismus.

Wie sehen Sie die Erklärung des "Islamischen Staates" (IS), dass seine "Unterstützer" den Angriff in den USA ausgeführt hätten. Was meint der IS mit "Unterstützern"?

Es ist anzunehmen, dass die Todesschützen von San Bernardino vom IS-Aufruf zum Kampf gegen den ungläubigen Westen beeinflusst wurden, ohne dass die nahöstliche Extremistengruppe sie direkt unterstützte. Die vorliegenden Erkenntnisse führen eindeutig zu diesem Schluss. Der IS-Aufruf zum Dschihad gegen den Westen richtet sich an Leute, die bereits indoktriniert sind und nur noch einen Anstoß zur Gewalt brauchen. Der IS scheint mit seiner Strategie, westliche Staaten zu destabilisieren, Erfolg zu haben.

Arif Jamal (Foto: privat)
Jamal sieht in der salafistischen Koran-Interpretation die Quelle des DschihadismusBild: privat

Tashfeen Malik soll IS-Helfer sowie den Islamgelehrten Maulana Abdul Aziz in Islamabad getroffen haben. Warum ignorieren die pakistanischen Behörden weiterhin die Gefahren, die von IS-freundlichen Gelehrten und Organisationen in dem Land ausgehen?

Die Berichte über ihre Verbindungen zu Abdul Aziz von der Roten Moschee in Islamabad, die dem IS angeschlossen ist, sind anscheinend nicht korrekt. Sie gehen auf ungenannte Quellen in London zurück und sind wohl reine Spekulation. Die US-Behörden wissen offenbar nichts darüber. Wir wissen, dass die Schützen vom IS und dessen Ideologie beeinflusst waren. Dementsprechend ist es durchaus möglich, dass sie auch Verbindungen zur Roten Moschee hatten. Falls solche Verbindungen zwischen den Attentätern und der Roten Moschee bestanden haben sollten, waren diese jedoch sehr wahrscheinlich nur ideologischer Art.

Was treibt Muslime in den USA in die Arme von Gruppen wie den IS?

Der Hauptgrund für die Faszination von Muslimen in den USA und anderswo für den Dschihadismus ist ihr Opfer-Syndrom. Der Dschihadismus vermittelt ihnen, dass Ungläubige für das Scheitern der Muslime als Individuen und als Gemeinschaft (Umma) verantwortlich seien. Die Ungläubigen müssten den islamischen Schriften zufolge bekämpft werden.

Inwieweit beeinflusst der saudi-arabische Wahhabismus, den viele Experten für den ideologischen Antreiber dschihadistischer Gruppen weltweit halten, Muslime in den USA?

Die wahhabitischen und salafistischen Interpretationen des Korans und der Prophetenüberlieferung (Hadith) sind der Ursprung für die Ausbreitung des weltweiten, modernen Dschihadismus. Im Gegensatz zu anderen Gruppen im Islam lehren Wahhabismus und Salafismus eine wortgetreue Auslegung der islamischen Schriften. Ziel des Salafismus ist die Errichtung eines Kalifats wie in früh-islamischer Zeit, als die Muslime dauernd im Krieg mit dem Rest der Welt waren. Die drei größten Dschihadistengruppen - IS, Jamaat ud-Dawa (oder Lashkar-e-Taiba) und Boko Haram - sind salafistisch.

US-Sicherheitskräfte am Anschlagsort in San Bernardino (Foto: epa)
US-Sicherheitskräfte am Anschlagsort in San BernardinoBild: picture-alliance/dpa

Was werden ihrer Meinung nach die Auswirkungen der Morde von San Bernardino auf die Pakistaner und Muslime in den USA sein?

Die Muslime in Amerika sind unter massiven gesellschaftlichen Druck geraten. Es gab einige Angriffe auf Moscheen und islamische Zentren. Muslimische Amerikaner berichten, dass die Atmosphäre bei der Arbeit angespannt sei. Einige haben mir gesagt, dass sie seit den Angriffen vom 11. September 2001 keine solchen Gegenreaktionen mehr erlebt hätten. Da eine der beiden Angreifer eine Frau war, sind nun auch muslimische Frauen in den Augen nicht-muslimischer Amerikaner verdächtig. Zuvor waren muslimische Frauen keinem solchen Hass ausgesetzt.

Wird die Obama-Regierung Druck auf Islamabad ausüben, hart gegen radikal-islamistische Gruppen vorzugehen, oder wird sie ihren Verbündeten weiter schonen?

Die Obama-Regierung wird vermutlich den Druck auf Pakistan erhöhen, die Dschihadgruppen im Zaum zu halten und Dschihadistenlager zu schließen. Aber das wird ohne wirtschaftliche und militärische Sanktionen wohl nicht wirken. Nur verbaler Druck hat in den vergangenen 15 bis 20 Jahren nichts gebracht. Wir werden vermutlich einige halbherzige Aktionen der pakistanischen Behörden gegen die Gruppe an der Roten Moschee sehen, wenn es ausreichende Hinweise auf ihre Verwicklung in den Angriff in San Bernardino geben sollte - mehr aber nicht.

Arif Jamal ist unabhängiger Journalist in den USA. Er schrieb mehrere Bücher, darunter: Call for Transnational Jihad: Lashkar-e-Taiba 1985-2014.

Das Interview führte Shamil Shams.