Die Terrorzelle NSU auf der Bühne
7. Februar 2014Janine ist jung, blond und schwanger. Wie eine Prinzessin sieht sie aus in ihrem weißen Rüschenkleidchen. Träume hat sie, von einem besseren Leben. Besser als ihre Wirklichkeit in der tristen ostdeutschen Provinz, mit Einkaufszentren, die da hingebaut wurden, wo früher mal grüne Wiese war. Gräck, der ihr das Kind gemacht hat, ist Türsteher in einer Disko. Und sortiert Menschen aus: "Kanaken" kommen nicht rein, wenn er das Sagen hat. Mit dem Menschensortieren verdient er Geld, aber das reicht nicht für eine Wohnung mit Gegensprechanlage und Satellitenschüssel.
Und dann ist da noch Tosch. Immer auf Achse in seinem Wohnmobil. Er hat jede Menge "Ziele" gesammelt – bewegliche Ziele. Jedenfalls schleppt er in einer Plastiktüte immer eine Pistole mit sich rum. Jetzt ist er heiß auf eine neue Tour, aufs wilde Leben, Gräck soll mitkommen, da lodert was in den beiden.
Aneinandergekettet durch Schuld
Drei fiktive Figuren hat Bühnenautor Lothar Kittstein für sein neues Stück geschaffen. Reales Vorbild: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, das Trio vom "nationalsozialistischen Untergrund" (NSU), dem eine jahrelange Mordserie an acht Deutsch-Türken, einem Griechen und einer deutschen Polizistin zur Last gelegt wird. Ein Foto brachte ihn zum Schreiben, erzählt Kittstein – es zeigt die beiden Uwes. "Die gucken da so verschmitzt braungebrannt in die Kamera und lachen, so wie Jungs auf Urlaub." 2011, fünf Jahre nach dem letzten Mord, nahmen sie sich das Leben.
Was aber macht braungebrannte Jungs zu nationalsozialistischen Serienmördern, und was macht ihre Schuld mit ihnen selbst? Die Frage trieb Kittstein um, lange bevor im Mai 2013 der Münchner NSU-Prozess begann. "Ich hatte nur ganz wenige Fakten. Es war klar, wir haben eine Mordserie. Und da sind die beiden Männer, die mit dieser Frau zusammengelebt haben. Eine klassische Dreiecksgeschichte. Mir war sofort klar, über dieses Trio musst du ein Kammerspiel machen - mit dieser ungeheuren Schuld, die sie aneinanderkettet, von der sie nicht mehr loskommen. Besser geht's gar nicht für einen Dramatiker".
Unbezähmbare Sehnsucht
Die Figuren seiner Versuchsanordnung auf der Bühne entwickeln beängstigende Phantasien. Denn sie träumen nicht nur den kleinbürgerlichen Traum von der Wohnung mit Satellitenschüssel. Tief innendrin in ihren Schädeln und Herzen haben sie verquaste Ideale von Ordnung und Reinheit, die sie in ihrer Welt nicht mehr finden. "Das Land geht so am Arsch", brüllt Janine, die Frau im Trio. Was die drei suchen, ist weit, weit weg, vielleicht in der Vergangenheit, in den Tiefen des kollektiven Gedächtnisses: ein Leben, das nicht aus Plastik und Einkaufzentren besteht. Janine und ihre beiden Männer sind getrieben von unbezähmbaren Sehnsüchten, nach dem Sonnenaufgang im Osten, nach dem wilden Leben. Da, wo echte Kerle Eroberungen machen. Wo böse Männer Helden sind. Und wo der weiße Wolf lebt.
Verschwurbelte Romantiker sind sie alle drei in diesem Bühnenstück, und es gibt Momente, in denen sie fast schon sympathisch werden oder einen Hauch Mitleid erregen. "Ich bin ziemlich sicher, dass die realen Mörder erheblich dümmer, unsympathischer und langweiliger waren, viel banaler als die drei im Stück", sagt Lothar Kittstein. "Aber man muss sich seinen Figuren überlassen, wenn man schreibt. Die machen nur ganz begrenzt das, was man will. Die drehen sich irgendwo hin. In diesem Fall tatsächlich in die Richtung kaputte Romantiker. Nicht weil die realen Menschen so waren, die diese Morde begangen haben, sondern weil durch diese drei Figuren so etwas wie deutsche Geschichte und eine Sehnsucht nach einer historischen Tiefe durchdiffundiert."
Dünne Decke der Demokratie
Eine gefährliche Sehnsucht, wie sie vielleicht auch in den Köpfen der realen Mörder herumspukte. Das Erschreckende daran: In ihr mischt sich berechtigte Zivilisationskritik, die oft auch von links geübt wird, mit rechtsradikaler, rassistischer Blut- und Boden-Ideologie. Unangenehm nah seien ihm die Figuren beim Schreiben gerückt, sagt Lothar Kittstein. "Natürlich schlummert in jedem ein Körnchen von dieser Sehnsucht nach all diesen Dingen, die sehr gefährlich sind, unter der Decke dieser Demokratie, die wir zum Glück haben. Wie dick die ist, und wie nah die Schicht, die darunter liegt, das ist immer eine Frage an solche historische Ausnahmesituationen".
Ob Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht gemordet hätten, wenn sie statt in Ostdeutschland im Westen aufgewachsen wären? Dort, wo nicht ein ganzes System mit all seinen Haltepunkten zusammengebrochen ist? Die Frage lässt sich auch mit einem Theaterstück nicht beantworten. Und dass der Firniss der Zivilisation hauchdünn ist, der Gewaltausbrüche meist verhindert, ist keine neue Erkenntnis. Aber in den Kammerspielen Frankfurt rückt sie beklemmend nah und kriecht unter die Haut. So wie die ungeheuerliche Realität der Morde, die noch immer vor dem Münchner Gericht verhandelt wird.