Afghanistan-Experte Conrad Schetter zum Anschlag auf das Inter Continental
29. Juni 2011
DW-WORLD: Herr Schetter, die Taliban haben wieder zugeschlagen: Diesmal in Kabul, in einer der sichersten Anlagen der Stadt, im Hotel Intercontinental. Was bedeutet dieser Anschlag?
Conrad Schetter: Zunächst muss geklärt werden, wer hinter dem Angriff steckt. Hier gibt es natürlich die Vermutung, dass es die Taliban sind, zum anderen wird immer wieder das militante Haqqani-Netzwerk genannt. Beide sind in der Lage, solche komplexen Angriffe durchzuführen.
DW-WORLD: Die Taliban haben offiziell die Verantwortung übernommen.
Das stimmt. Dennoch bleibt die Frage, wer wirklich hinter diesem Anschlag gesteckt hat. Die Taliban übernehmen gern für jeden Angriff gegen die afghanische Regierung die Verantwortung. Man weiß aber, dass gerade in den letzten Jahren bei allen großen Anschlägen, die in Kabul verübt wurden, das Haqqani-Netzwerk seine Finger im Spiel hatte, weil sie besser geschult sind und im Kabuler Raum über sehr viele Kontaktpersonen verfügen.
DW-WORLD: Die Haqqani- und die Taliban-Gruppe arbeiten sehr eng miteinander zusammen. Die Haqqani-Gruppe hat ihren Sitz in den pakistanischen Grenzgebieten zu Afghanistan. Wie die Taliban will die Gruppe einen Gottesstaat in Afghanistan errichten.
In Afghanistan kämpfen tatsächlich nicht nur die Taliban gegen die Regierung und NATO-Truppen. Entscheidend ist, dass es den Aufständischen in den letzten Monaten immer wieder gelungen ist, der NATO und der afghanischen Regierung schmerzhafte Nadelstiche zu versetzen, und zwar an ganz unterschiedlichen Stellen. Die Taliban versuchen, ihre Stärke beweisen. Gleichzeitig sind sie aber nicht ganz abgeneigt, mit den USA ins Gespräch zu kommen.
DW-WORLD: Die Taliban wollen offenbar aus einer Position der Stärke heraus verhandeln. Ihre Forderungen lauten: sofortiger Abzug der ausländischen Soldaten und Anerkennung von Mullah Omar als alleinigen Herrscher Afghanistans. Wie steht Washington zu diesen Forderungen?
Zumindest auf den ersten Punkt können sich die US-Truppen und die Taliban sehr schnell einigen. Die Kassen in Amerika sind leer und es ist kein Geheimnis, dass US-Präsident Obama die US-Truppen so schnell wie möglich aus Afghanistan abziehen will und dieses Kapitel beenden möchte. Die zentrale Frage ist, wie soll es nach einem Truppenabzug, der für 2014 vorgesehen ist, weitergehen? Da gehen die Meinungen sicherlich auseinander. Der afghanische Präsident Hamid Karsai ist bemüht, sich immer wieder als derjenige ins Spiel zu bringen, der zwischen Taliban und NATO vermitteln kann, um seine eigene Position zu stärken.
DW-WORLD: Doch die Taliban haben bisher Karsai nicht als Regierungschef anerkannt und wollen auch nicht mit ihm verhandeln, sondern - wenn überhaupt -dann direkt mit den Amerikanern.
Man darf nicht vergessen, dass Karsai mit allen Wassern gewaschen ist. Dass er gerade in Südafghanistan über sehr gute Netzwerke verfügt und alles für sein politisches Überleben tun wird. Er ist ein Machtpolitiker und setzt seine Klientelwirtschaft ein, um seine eigene Macht zu sichern.
DW-WORLD: Im Grunde arbeitet die Zeit für die Taliban. Die Amerikaner ziehen ab und die "Gotteskrieger" hoffen, ganz Afghanistan unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die "Gotteskrieger" fühlen sich auf dem Weg des Sieges. Sie haben seit dem letzten Jahr ihre Truppen zum größten Teil nach Pakistan zurückgezogen, um sie zu schonen. Sie warten nur noch darauf, dass die USA ihre Soldaten abziehen.
DW-WORLD: Bei der engen Zusammenarbeit, die es zwischen der Terrororganisation Al-Kaida und den Taliban gibt, könnte Afghanistan demnach wieder zu einem Zentrum des internationalen Terrorismus verkommen?
Das ist schwer zu sagen. Taliban und Al Kaida haben sich in den letzten anderthalb Jahren weitgehend auseinander gelebt. In Internetforen werfen sie sich gegenseitig Verrat vor. Da gibt es einige Differenzen. Auf der anderen Seite steht die Frage, welche Sicherheiten die Taliban geben können, dass Afghanistan nicht noch einmal zu einem Zentrum des internationalen Terrorismus wird. Ich glaube, dass die USA aus diesem Grund nicht einfach so aus Afghanistan abziehen werden. Sie werden sicherlich einige Druckmittel aufrecht erhalten: zum Beispiel durch eine Sondertruppe, die in Afghanistan stationiert bleibt, oder durch den intensiven Einsatz von Drohnen. Ob diese Maßnahmen Erfolg haben werden, kann zurzeit niemand sagen.
Dr. Conrad Schetter ist Afghanistan-Experte am Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung
Das Interview führte Ratbil Shamel
Redaktion: Alexander Freund