Die Sprachakrobatin
6. März 2014Sieht man sie zum ersten Mal, haftet ihr etwas Burschikoses, fast Sprödes an. Eine zurückhaltende junge Frau, dick eingemummt in Wintermantel und Mütze, die Sätze anfängt, abbricht, wieder von Neuem beginnt. Erst auf den zweiten Blick erkennt man hinter dem schrägen Pony, dem nervösen Flirren ihrer braunen Augen, etwas Zerbrechliches. Ann Cotten umweht ein Geheimnis, genauso wie ihre Literatur.
Freiheit ohne Heimat
Mit fünf Jahren zog sie mit ihren Eltern von Iowa nach Wien, tauschte amerikanische Kleinstadt gegen die europäische Kulturmetropole. Die Tochter von zwei Naturwissenschaftlern lernte erst hier Deutsch. Jene Sprache, die sie später minutiös sezieren und zu etwas völlig Neuem zusammensetzen sollte. "Heimat bedeutet mir eigentlich nichts", meint sie lapidar. "Ich fühle mich nicht irgendeinem Land zugehörig. Und das macht einen auf jeden Fall sehr frei."
Diese Freiheit ist auch in den Texten von Ann Cotten zu spüren. Aus der Distanz beobachten, dazwischen statt mittendrin sein – diese Rolle gefällt ihr am liebsten. Begonnen hat sie mit Gedichten, die sie auf Poetry Slams vortrug. Kleine literarische Miniaturen, die sich weder um Grammatik noch um Satzbau scherten. Statt spätpubertärer Lyrik gab es messerscharfe Sprachakrobatik.
"Wozu den Inhalt überhaupt beginnen?
Kaum fängst du an, bist du davon von Sinnen,
besinnst du dich, fängst an mit seinem Ausbau,
beginnst, ihn zu verstehen, geht er aus. Schau."
Weltenbummler auf Sinnsuche
Mit solchen Gedichten beeindruckte Ann Cotten sogar Friederike Mayröcker, die Grande Dame der deutschsprachigen Lyrik, und brachte mit Mitte Zwanzig ihr erstes Gedichtband heraus. "Man ist so darauf trainiert, zu bestimmten Sachverhalten immer die passenden Phrasen drauf zu haben", erklärt die 31-Jährige. "Wenn man aber sprachspielerisch arbeitet wie ich, wird man diese Klischees relativ schnell los."
Eine Zeitlang experimentierte Ann Cotten, mischte Prosasprengsel in ihre Gedichte ein. Jetzt ist ihr erstes Buch mit reinen Erzählungen erschienen. „Der schaudernde Fächer“ ist ein dunkles Tableau mit 18 Geschichten. Sie alle kreisen um die Abwesenheit von Liebe. Von Berliner Bars über die algerische Wüste bis zu einem japanischen Erlebnisbauernhof reicht die geografische Spannweite. Einsame Weltenbummler stürzen sich ins Leben, dröhnen sich mit Drogen voll, immer auf der Suche nach etwas Besonderem.
"Hat sie denn nie erfahren, dass ihr Liebespartner natürlich nur am Trip interessiert ist, von ihr nur den Trip mitbekommt, auf den sie ihn befördert? Was hat ein anderer von ihrem Innenleben, was soll er damit anfangen?"
Die Sprache der Anderen
So nüchtern und abgeklärt kann Ann Cotten unsere Sehnsucht nach Liebe entlarven. Und das so souverän und so präzise, dass sie jetzt mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis geehrt wird. Jener Auszeichnung, die seit 1985 Schriftsteller ehrt, die auf Deutsch schreiben, deren Muttersprache aber eine andere ist.
Damit reiht sich die Austro-Amerikanerin in eine Liste mit Preisträgern wie Rafik Schami, Feridun Zaimoglu und Terézia Mora. "Ich bin sehr dankbar über die Auszeichnung", gibt Ann Cotten zu. Schließlich ist sie auch mit 15.000 Euro dotiert. Viel Geld in einer Branche, wo sich junge Autoren oft von einem Literaturstipendium zum nächsten hangeln müssen.
Fordern statt einlullen
Kompromisse machen, sich dem Marktgeschmack anpassen - das ist nichts für Ann Cotten. Vielleicht ist sie auch deswegen 2007 nach einem Germanistikstudium in Wien nach Berlin gezogen. "Es ist eine extrem fruchtbare, offene Stadt voller Möglichkeiten, wo man gut durchkommen kann", erklärt sie. "In Wien oder in München wäre so ein Leben schier unmöglich. Außer man baut sich sein Schilfhüttchen an der Isar."
Ann Cotten wohnt lieber im ehemaligen Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Die Akademikertochter aus gutem Hause liebt es, Erwartungen zu unterlaufen, auch in ihrer Literatur. Handfeste, lineare Plots sucht man bei ihr vergeblich. Narrative Spuren werden sofort verwischt.
Ihre Bücher gleichen eher Bewusstseinsströmen, wilden Assoziationsketten. "Das ist genau das, was mich interessiert, auch wenn ich selbst lese. Mich unterhalten diese klaren Handlungsstränge und Klischeeanhäufungen nicht", erzählt sie mit einem leicht trotzigen Unterton.
Ihre filigranen Sprachkunstwerke haben nichts von dieser einlullender Gemütlichkeit. Man muss sich Ann Cottens Gedichten und Erzählungen langsam nähern, hellwach und bereit, ein Abenteuer einzugehen. Erst Schritt für Schritt entfalten sie ihre Magie. Aber dann kann man sich ihrem eigenartigen Sog nicht mehr entziehen.